FRANZ REITINGER, REZENSION: SIGRUN BROX: BILDER SIND SCHÜSSE INS GEHIRN. DAS BILD IN DER WERBEFOTOGRAFIE DER …Wunder also, dass sich Designer und Werbetexter in der Rolle von ›Art Directors‹ gefallen, die siesich selbst auf den Leib geschrieben haben.Sigrun Brox gibt in ihrer Dissertation die Probe aufs Exempel mit einigen herausragenden Beispielen,die sich dem Begriff ›Edelwerbung‹ subsumieren ließen. Der Kern ihrer Arbeit beläuftsich auf die Auslegung dreier Werbeserien, derjenigen einer Tageszeitung, einer Bank und einesStrickwarenherstellers. Anstatt ihre Thesen von den Bildern her zu entwickeln, schickt Brox ihrenBildanalysen einen Verschnitt an Zitaten zur Theorie des Bildes, der Geschichte der Fotografieund der Praxis des Werbens voraus, die ihr Buch insgesamt als bloßes Exzerpt erscheinen lassen.Beim geschickten Zitate-Hopping der Autorin wird geradezu alles mit allem kompatibel. Widersprücheund Ungereimtheiten nisten ungeniert in Leertasten und Leerzeilen, zwischen Sätzen undAbsätzen.Selbst der Buchtitel ist ein verstecktes Zitat aus einem Ratgeber mit dem bezeichneten Titel ›Kreativitätauf Knopfdruck‹, der in manchem an die autonome Erzählästhetik eines André Gide 2 erinnert.Indessen macht sich die Autorin über die von ihr in Anschlag gebrachte Schießmetaphorikund deren Kongruenz mit anderen Bildern wenig Gedanken, jagt sie doch auf ihrer Bilderflucht vonPushbild zu Pushbild. Brox leistet sich – was in kunsthistorischen Dissertationen schon recht aufwendigerscheint – <strong>für</strong> das Titelbild sogar einen professionellen ›Shoot‹. Zu sehen ist der sprichwörtlichpavlowsche Hund, der mit dem Zitat aus ›Anzeigen perfekt gestalten‹ auf Seite 89 desBuches korreliert: »Anzeigen sollen sich dem Umworbenen so stark einprägen, dass ihm durchden bewussten oder unbewussten Erfahrungsspeicher auf dem Weg der Erinnerung Assoziationenkommen, wenn ein entsprechendes Bedürfnis auftritt.«Geographisch, historisch wie sachlich bleiben Brox‘ Ausführungen – um bei der Metaphorik desSchießens und Visierens zu bleiben – unscharf. Geographisch nimmt sich die Arbeit als »Untersuchungzur deutschen Printwerbung« aus. Warum die gesamte Fachterminologie, die die Autorinherbeibemüht, aus dem anglikanischen Raum kommt, erklärt sie nicht. Zwar konstatiert sie, dassman sich nach dem Zweiten Weltkrieg an amerikanischen Werbeagenturen orientierte und diemeisten deutschen Agenturen bis heute Ableger von englischen und amerikanischen Firmen sind.Doch fällt ihr nicht einmal zum Schluss ihrer Arbeit auf, dass sie mit ihrem Kapitel über Benettondie von ihr gesteckten Grenzen längst hinter sich gelassen hat. Die geopolitische Dimension derWerbung bleibt so unangedacht und unausgesprochen.Angesichts der durch das gesamte Buch hindurch beschworenen Bilderflut würde historischenÜberlegungen nach Ansicht der Autorin nur noch die Aufgabe von Hilfskonstruktionen zufallen.Brox macht es sich hier schlichtweg zu einfach, verkennt sie doch die Bedingungen konsekutivenHandelns in der Zeit und die sich hieraus ergebenden Folgen. Ihre historischen Ausführungenbewegen sich entsprechend auf einer Ebene mit bekannten Marken und Produkten, die sich nachdem Zweiten Weltkrieg mit einem ›Hoppla, da bin ich wieder‹ bei den Konsumenten zurückmeldeten.Die stille Werberevolution, die Deutschland in den fünfziger Jahren erfasste und in der2 Die Redewendung dürfte auf Werner Kroeber-Riel (Bildkommunikation. <strong>Image</strong>rystrategien <strong>für</strong> die Werbung, München 1993:53) zurückgehen. Zur Metaphorik des Schießens vgl. Franz Reitinger: Schüsse, die Ihn nicht erreichten. Eine Motivgeschichtedes Gottesattentates, Paderborn 1997, passim.IMAGE I Ausgabe 4 I 7/2006 96
FRANZ REITINGER, REZENSION: SIGRUN BROX: BILDER SIND SCHÜSSE INS GEHIRN. DAS BILD IN DER WERBEFOTOGRAFIE DER …Geschichte der Werbung eine entscheidende Zäsur darstellt, geht so unbemerkt an ihr vorbei.Gemeint sind die von den Agenturen der Madison Avenue entwickelten Strategien der Käuferwerbung,die unter dem Begriff des ›Marketing‹ Furore machten. Erst durch die Technik des Marketingswurde die Werbung wissenschaftlich, psychologisierend und damit berechnend, hinterhältigund perfide.Brox verschläft die historische Wende zum Marketing und bekommt so den unglaublichen Aufstieg,den die Werbung im Kontext der deutschen Medienöffentlichkeit in den vergangenen vierzigJahren erlebte, erst gar nicht ins Blickfeld. So beurteilt sie Werbung noch immer überwiegenddanach, wie sie sein soll, das heißt, vor dem Hintergrund ihrer Funktionalität, und kaum je danach,wie sie tatsächlich ist, das heißt, vor dem Hintergrund der von ihr provozierten Defizienzenund Aporien. Tatsächlich resultiert die Problematik der heutigen Bildwerbung aus der Tatsache,dass diese Öffentlichkeit generiert, ohne letztere selbst in irgendeiner Weise zu repräsentieren.Diesen Mangel an Legitimierung versuchen Werbefachleute durch das hohe Lied von Tabubruch,antibürgerlicher Skandalisierung und schlechthin besserer Gesinnung zu überdecken, das Broxgedankenlos nachbetet.Dabei haben große Konzerne schon längst aufgehört, ihre Kunden zu umwerben. Die Mittel derWerbung dienen ihnen immer öfter, sich selbst in ihrer Macht und Größe zu gerieren und aus eigenerBefugnis Statements von gesellschaftspolitischer Tragweite abzugeben, in denen einzelnePersonen oder <strong>Gesellschaft</strong>sgruppen angefeindet und bestimmte Ideologien propagiert werden.Ein Frauenkörper etwa steht nicht mehr attributiv <strong>für</strong> den Duft und die Zartheit des beworbenenKlopapiers. Die Papierrolle auf dem Werbeplakat birgt vielmehr einen versteckten Vorwurf gegenden idealtypisch posierenden Mann und dessen vorgebliche Unreinlichkeit. Das Bild in der Werbungnimmt so die Züge eines öffentlichen Schandbildes an. Werbung wird zum zweckdienlichenVehikel <strong>für</strong> Zynismen und andere Zusatzbotschaften, die eher die hedonistische Befindlichkeitder Off-Milieus widerspiegeln, aus denen sich Designer, Fotografen und Modelle rekrutieren, alsdiejenige der eigentlichen Konsumenten. Es bleibt nicht bei der gut gemeinten Absicht, Managern,Familienvätern oder auch nur aufmüpfigen Jungen eine Lektion <strong>für</strong>s Leben zu erteilen (dennum ›das Leben‹ im starken Sinne des Wortes geht es in der Werbung allemal). Werbung versuchtunökonomische, ›asketische‹ Lebensformen zu diskreditieren oder fordert mit ›Nimm zwei‹ mehroder weniger unverhohlen zu Bigamie und ehelichem Betrug auf. Sie übt auf diese Weise einestark polarisierende Wirkung aus, die derjenigen des demokratischen Parteienstaats in gewisserWeise analog ist. Im Zeichen des jeweiligen Unternehmens macht sie aus Konsumenten Parteigängerund Anschauungsträger.Indem Brox syntaktische, semantische und pragmatische Zeichenebene weitgehend vermischt,gelingt es ihr nicht, die appellative Grundstruktur der Bildwerbung herauszuarbeiten, die ChristianDoelker dazu bewog, von Bildern der Werbung als ›Pushbilder‹ zu sprechen. Tatsächlich konstituiertsich das Bild in der Werbung um Kategorien der Aufmerksamkeit, die entweder objektiv alsEigenschaft des Bildes oder subjektiv als Eigenschaft des Betrachters gedeutet werden. Instinktivwertet die Autorin die semantischen Prozesse, die Aufmerksamkeit zu lenken und zu kanalisierenimstande sind, ab. Anstatt das von ihr ›Bild-Headline-Mechanik‹ benannte Zusammenspiel vonBild und Text einer eingehenden Analyse zu unterziehen, beschränkt sie sich auf eine Beschlagwortungder Bild- und Textelemente mit Hilfe von fachspezifischen ›tags‹ wie Logo, Slogan, Claim,IMAGE I Ausgabe 4 I 7/2006 97
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