ganz und gar für Christus verfügbar sein

THemA der WoCHe 6./7. Juli 2013 / Nr. 27eXKluSIv-InTervIeW„das hohe gutder einheit“Erzbischof Gerhard Ludwig Müllerist seit einem Jahr Präfekt derGlaubenskongregationAm 2. Juli 2012 hat Papst BenediktXVI. Gerhard Ludwig Mülleran die römische Kurie berufen undihn zum Präfekten der Kongregationfür die Glaubenslehre ernannt.Im Exklusiv-Interview mit unsererZeitung spricht Erzbischof Müllerüber sein Verhältnis zu Papst Franziskus,Verbindungen zu Südamerika,angebliche Missstände imVatikan und über die Piusbrüder.Exzellenz, als vor 100 Tagen PapstFranziskus unter dem Jubel derMenge den Balkon vor dem Petersplatzbetrat, herrschte an vielen anderenOrten erst einmal verblüfftesSchweigen: Den Namen „Jorge MarioBergoglio“ hatte als möglichenPapst kaum ein Journalist auf seinerListe. Und die Gläubigen in Europakannten den sympathischen Jesuitenauch nicht. War die Wahl Bergogliosauch für Sie eine Überraschung?In gewisser Weise ja. Aber ichahnte auch, dass in Richtung Lateinamerikagedacht wurde. Und sowurde es eine freudigeÜberraschung.Als Präfekt derGlaubenskongregationsindSie der wohlengste undwichtigsteMitarbeiterdes HeiligenVaters. Wiewar das, als Siedas erste Malmit PapstFranziskus zusammentrafen? Wasist im alltäglichen Umgang andersals bei Papst Benedikt XVI.?Die Zusammenarbeit ist herzlich.Der Heilige Vater hat vollesVertrauen in die Arbeit der Glaubenskongregation.In den weltweitenBerichten über die Audienz fürdie Ordensleute von Südamerika(CLAR) ist das Wesentliche vergessenworden. Der Papst sagte auf dieFrage, was nach einem Brief vonder Glaubenskongrega tion zu machensei, man müsse den Inhalt desBriefes beherzigen, aber dann nichtin endlosen Auseinandersetzungensich selbst blockieren, sondern mitSchwung und Freude mit der Neuevangelisierungund Mission weiterfahren.Die CLAR hat sich für dienicht autorisierte und selektive Veröffentlichungentschuldigt und dietendenziöse Auslegung bedauert.Sie haben seit Jahrzehnten eine besondereVerbindung zu Südamerika,nicht zuletzt durch ihre dortigenseelsorgerlichen Tätigkeiten in denSommermonaten von 1988 bis2002 sowie durch ihre Freundschaftmit dem BefreiungstheologenGustavo Gutiérrez. DieBefreiung der Menschen vonArmut und Würdelosigkeitist eines der Hauptanliegenvon Papst Franziskus, derja Südamerikaner ist. Wiesteht der Papst zur Theologieder Befreiung?In erster Linie geht es nichtum eine theologische Theorieund schon gar nicht um einideologisches Programm, sondernum die materiell undgeistig Armen, in derenAngesicht wirChristus selbstbegegnenund denenwirdie LiebeGottesinWortund Tatvermitteln dürfen – nicht in einerpaternalistischen Weise, sondernvon gleich zu gleich, von Bruder zuBruder und Schwester zu Schwester,denn das sind wir alle in Jesus Christus.Erst aufgrund dieser christlichenPraxis können wir dann im Lichtdes Wortes Gottes und des Glaubensder Kirche diese Wirklichkeittheologisch reflektieren, um dannwieder verändernd und verbesserndauf die gesellschaftlichen Verhältnisseeinzuwirken.Viele Medien beeilten sich, große Unterschiedezwischen Papst Franziskusund seinem Vorgänger herzustellen.Da wurde auf die Farbe der Schuhegeachtet, auf Details der liturgischenKleidung, auf Körpersprache undähnliches. Sind die Unterschiedezwischen den beiden Päpsten wirklichso groß oder handelt es sich nurum Äußerlichkeiten?Wer sich bei Äußerlichkeiten aufhält,versteht gar nichts. Er bleibtder Gefangene seiner Eindrücke.Denken hilft weiter. Benedikt undFranziskus sind zwei verschiedeneMenschen und prägen ihre Sendung,Nachfolger Petri als Hirteder universalen Kirche zu sein, mitihrem Charakter und ihrer Lebensgeschichte.Wenn für das gewöhnlicheLeben schon gilt, dass keiner dieKopie eines anderen sein kann unddarf – wegen der Gottebenbildlichkeitjedes einzelnen Menschen –,dann gilt dies erst recht für die Päpste.Jeder einzelne Papst ist in seinerPerson der Nachfolger Petri und derStellvertreter Christi, des unsichtbarenHauptes der Kirche, von demder ganze Leib mit seinen vielenGliedern zusammengehalten wird.Der Papst ist als sichtbares Hauptder pilgernden Kirche „immerwährendesPrinzip und Fundament derEinheit der Kirche im Glauben undin der Gemeinschaft mit Christus“(vgl. II. Vatikanum, Lumen gentium18).Als einen der ersten programmatischenSchritte leitete Papst Franziskuseine Kurienreform ein. Allerdingstrifft sich die Arbeitsgruppeerst im Oktober, was viele Beobachterals widersprüchlich empfinden.Sind die angeblichen Missstände imVatikan weniger schlimm, als vielfacherklärt wird – oder so schlimm,dass es erst einmal monatelangerVorbereitung bedarf?Der Eindruck ist völlig falsch,dass es im Vatikan von Missständenund Seilschaften nur so wimmelt.Dass es wie überall in menschlichenGefilden auch Defizite gibt, ist keinBeweis für Verschwörungstheorienund schwarze Legenden. Grundsätzlichund für alle gilt die Feststellungdes Konzils: „Die Kirche ist zugleichheilig und stets der Reinigung bedürftig,sie geht immerfort den Wegder Buße und der Erneuerung“ (Lumengentium 8). Übrigens ist dierömische Kurie, das heißt die Gesamtheitder Dikasterien, vom Vatikanstaatmit seinen eigenen Einrichtungenzu unterscheiden.Die Glaubenskongregation ist mitder wichtigsten Aufgabe betraut: derFörderung und der Bewahrung des