Arbeitspapier / Abteilung Wirtschaft Günter Buchholz, Ralf Hoburg ...
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7. Was Gerechtigkeit im Hinblick auf Gesellschaft bedeuten könnte<br />
In einer gerechten Gesellschaft sollten alle Menschen ihr Leben frei entfaltet können, nicht nur eine<br />
bestimmte soziale Schicht oder Klasse; der historische Entwicklungsstand der Gesellschaft läßt dies<br />
seit langem zu.<br />
Da politische Unfreiheit eine freie Entfaltung aller verhindert, steht sie in jeder Form im Gegensatz<br />
zur Gerechtigkeit.<br />
Gerechtigkeit ist ohne eine funktionierende Demokratie nicht möglich. Demokratie funktioniert<br />
wirklich in dem Maße, in dem sie tatsächlich durch Willensbildungsprozesse von unten nach oben<br />
bestimmt wird, indem sich also die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung Geltung verschaffen<br />
können. Diese Willensbildungsprozesse erfordern kurzfristig Klarheit über die eigenen Interessen,<br />
und sie erfordern politische Bildung sowie politische Urteilskraft.<br />
Ungerecht wird Demokratie, wenn sie durch die Herrschaftspraxis Privilegierter ausgehöhlt wird,<br />
indem die demokratische Willensbildung durch publizistische Manipulation der Bevölkerung, durch<br />
Abkoppelung der Parlamentarier von den Wählern, durch Privilegierung der Abgeordneten, durch<br />
politischen Lobbyismus gegenüber Parteien, Parlamenten und Regierungen, durch Schwächung der<br />
Parlamente und durch konzeptionelle Lenkung der Exekutive seitens privater Stiftungen oder<br />
Verbände erschwert oder durch Willensbildungsprozesse von oben nach unten ersetzt wird.<br />
Brecht hat hierzu die treffende Frage gestellt:<br />
Die Macht geht vom Volke aus – aber wo geht sie hin?<br />
Gerechtigkeit ist aber auch nicht möglich ohne eine fundamentale soziale Gleichheit.<br />
Soziale Gleichheit bedeutet keineswegs Gleichmacherei oder Verneinung der Individualität und der<br />
natürlichen und kulturellen Unterschiedlichkeit der Menschen, sondern vielmehr deren<br />
Anerkennung und Akzeptanz ohne Diskriminierung.<br />
Gleichheit bedeutet mehr als die glücklicherweise verwirklichte Gleichheit vor dem Gesetz und<br />
auch mehr als eine - tatsächlich leider nicht gewährleistete - Gleichheit der Entwicklungschancen.<br />
Soziale Gleichheit bedeutet insbesondere die Abwesenheit von faktischen Privilegien sozialer und<br />
ökonomischer Art.<br />
Es sind diese faktischen Privilegien, die den Kern unseres gesellschaftlichen Gerechtigkeitsproblems<br />
bilden.<br />
Gerechtigkeit existiert erst dann, wenn sich die - in diesem Sinne - freien und gleichen<br />
menschlichen Individuen in ihrer Unterschiedlichkeit dennoch wechselseitig als Mitglieder ein und<br />
derselben menschlichen Gemeinschaft begreifen und wenn sie daraus praktische Konsequenzen für<br />
ihre gemeinsame Lebensgestaltung ziehen.<br />
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