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Arbeitspapier / Abteilung Wirtschaft Günter Buchholz, Ralf Hoburg ...

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hanseatische Leitbild hinausgehen. Diese finden sich z.B. im Collegio del Cambio in<br />

Perugia.<br />

5. Der Saal der Geldwechsler-Zunft, übrigens auch wieder einer der der Globalisierung<br />

verpflichteten Metiers, wurde 1452-57 gebaut und bis 1500 eingerichtet und befindet sich<br />

im Palazzo dei Priori. 25 Dieser Versammlungsraum verfügt über eine ausgesprochen<br />

prächtige und solide Wandverkleidung. Am interessantesten jedoch sind in meinen Augen<br />

die Wandfresken, die ein bemerkenswertes Bildprogramm zeigen. Dieses Programm wurde<br />

von dem in Perugia lehrenden Humanisten Francesco Maturanzio erstellt und von Pietro<br />

Vannucci >il Perugino< ausgeführt. An der linken Wand befinden sich u.a. die<br />

Kardinaltugenden Klugheit, Gerechtigkeit, Stärke und Mäßigung, auf denen die<br />

wesentlichen bürgerlichen Lebensnormen beruhen. Diese Darstellungen wollen wir uns aus<br />

gegebenem Anlass näher anschauen. Je zwei der Kardialtugenden sind zu einer Bildtafel<br />

zusammengefasst. Das Bildprogramm ist so aufgebaut, dass die Allegorie der beiden<br />

Tugenden die obere Hälfte des Bildes dominiert. Jeweils zu ihrer Seite haben sie eine Tafel<br />

mit zwei charakterisierenden und erklärenden Distichen. In der unteren Hälfte finden sich je<br />

drei historische Exempel der jeweiligen Tugend. Werfen wir einen genaueren Blick auf die<br />

zweite Tafel: links sehen wir die Fortitudo (Tapferkeit) in Ritterkleidung mit Schild, Zepter<br />

und Siegesfahne; rechts neben ihr: Temperantia (Mäßigung) Wein und Wasser in zwei<br />

Krügen mischend. Auffallend ist, dass sowohl die Fortitudo als auch ihre historischen<br />

Helden ihre Blicke zur rechten Bildhälfte, der der Temperantia, richten. Von ihr ist offenbar<br />

die höhere Ordnung und größere Orientierung zu erwarten.<br />

Besonders aufschlussreich ist ihre Texttafel. Darin wird ihr das Regieren der Sitten, die<br />

Mäßigung der ungestümen Leidenschaften des Herzens und das Gewachsensein diesen<br />

Leidenschaften gegenüber zugeschrieben. In Aussicht gestellt wird die Selbstüberwindung,<br />

die als der größte Sieg, den man erringen kann, verstanden wird. Ungestüm und<br />

Affektbesessenheit sind das Gegenteil von Balance der Kräfte und Impulse.<br />

Die drei historischen Helden sind Publius Scipio Aemilianus Africanus, Perikles von Athen<br />

und Lucius Quintius Cincinnatus, auf die ich hier nicht weiter eingehe. Sie waren damals<br />

bekannt und ihre Taten populär. Heute müssten wir ihren exemplarischen Charakter erst<br />

wieder herausarbeiten.<br />

Bemerkenswert aber ist, dass die Zunft der Geldwechsler in Perugia sich zur Selbstformung<br />

u.a. die Kardinaltugenden an die Wand malen ließen, auch die Temperantia. Bei jeder<br />

Versammlung, jedem Zusammentreffen in illustrer Runde, trafen sie unweigerlich auch auf<br />

die Tugend der Mäßigung, neben der Tapferkeit, Klugheit und Gerechtigkeit; also eine selbst<br />

inszenierte Konfrontation mit universalen Maßstäben.<br />

6. Temperantia wurde in der Renaissance, aber auch in früheren und späteren Epochen in<br />

vielfältiger Weise dargestellt 26 :<br />

� als Plastik am Dogenpalast<br />

� als Fresko<br />

� als Türrelief<br />

� als Majolika und auch<br />

� als Statue von Niki de Saint Phalle.<br />

Temperantia stellt die Balance her zwischen dem berauschenden und dem ernüchternden<br />

Element (Wein und Wasser), zwischen verschiedenen Interessen, zwischen verschiedenen<br />

Charaktereigenschaften. Temperantia sorgt dafür, dass die gegensätzlichen und<br />

spannungsvollen Kräfte des Lebens in dem bekömmlichen Ausmaß Raum erhalten. Die<br />

Mäßigung ist so gesehen kein Knebel, sondern erst das recht verstandene Lebenselixier.<br />

7. In Italien ging man aber noch weiter, die lebensfördernden Kräfte im öffentlichen Raum<br />

darzustellen. Im Palazzo Pubblico in Siena finden wir die Darstellung der „Guten<br />

Regierung“ (und der „schlechten Regierung“) von Ambrogio Lorenzetti (Folie 18). Die<br />

25 Vgl. Klaus Zimmermann: Umbrien. Eine Landschaft im Herzen Italiens 4 , Köln 1987, 78f.<br />

26 Vgl. z.B.: M.J.Tracy/R.Newhauser/D.Briesemeister: Art. Tugenden und Laster, in LexMA, Bd. VIII, 1085-1090.<br />

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