IM KW 39
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„Unter der Wasseroberfläche hört der Naturschutz auf“<br />
Der WWF wünscht sich mehr Zusammenarbeit bei der Planung neuer Kraftwerke<br />
Laut dem bald zu erwartenden Urteil des Europäischen Gerichtshofs<br />
gilt das Verschlechterungsverbot der EU-Wasserrahmenrichtlinie<br />
für Fließgewässer auch dann, wenn sich nur eine<br />
der Komponenten des ökologischen Zustands ändert. Was das für<br />
Auswirkungen auf die diversen Kraftwerkspläne hat, in welchen<br />
Gebieten die Umweltorganisation WWF den Ausbau der Wasserkraft<br />
völlig ablehnt und welche Flüsse unbedingt saniert werden<br />
müssten, darüber hat sich die RUNDSCHAU mit dem Leiter des<br />
WWF für Tirol und Flussexperten Christoph Walder unterhalten.<br />
Von Agnes Dorn<br />
RUNDSCHAU: Wie werden die<br />
Fließgewässer im Tiroler Oberland<br />
bezüglich ihres ökologischen Zustands<br />
eingestuft?<br />
Christoph Walder: Die Oberländer<br />
Gewässer sind unterschiedlich.<br />
Da gibt es welche, die sind sehr gut<br />
und welche, die sind in der schlechtesten<br />
Zustandsklasse mit der Note<br />
Fünf. Der Inn ist zum Beispiel in vielen<br />
Bereichen von der Tiroler Landesregierung<br />
als sehr schlecht eingestuft<br />
worden, weil er einen großen<br />
Schwall hat, der von der Schweiz<br />
kommt und der im Tagesgang sogar<br />
Meter betragen kann. Das hat natürlich<br />
enorme Auswirkungen für die<br />
Biologie. Und dann gibt es welche,<br />
die sind sehr gut, weil sie sich noch<br />
mehr oder weniger natürlich zeigen.<br />
Das sind Oberläufe wie die der<br />
Ötztaler Ache, die Venter Ache, die<br />
Gurgler Ache – da sind Teile in sehr<br />
gutem ökologischem Zustand.<br />
RS: Was bedeutet das Verschlechterungsverbot<br />
der EU im Konkreten und<br />
was hat sich da jetzt geändert?<br />
Walder: Das Verschlechterungsverbot<br />
hat es immer schon gegeben,<br />
da hat sich eigentlich gar nichts geändert.<br />
Es hat da eine Aufregung<br />
gegeben, die künstlich produziert<br />
worden ist und die auch jetzt politisch<br />
eingesetzt wird. Die Wasserrahmenrichtlinie<br />
von der EU ist sozusagen<br />
die Basis und die hat zwei große<br />
Elemente. Die eine sagt, es darf sich<br />
nichts mehr verschlechtern bei den<br />
europäischen Gewässern – also auch<br />
im Oberland nicht – und es muss<br />
sich dort, wo es schlecht ist, verbessern.<br />
Verbesserungsgebot heißt das.<br />
Das Verschlechterungsverbot haben<br />
die Mitgliedsstaaten immer ein bisschen<br />
unterschiedlich ausgelegt, weil<br />
sie ja Interessen haben und es da und<br />
dort nicht so genau nehmen. Für<br />
die Schifffahrt in Norddeutschland<br />
haben sie es zum Beispiel anders<br />
ausgelegt, weil sie dort Probleme<br />
haben – und bei uns ist es halt die<br />
Wasserkraft. Oder bei Wasserableitungen<br />
für Skigebiete – da hat man<br />
halt gesagt: „Naja, das Verschlechterungsverbot,<br />
das haben wir halt so<br />
ausgelegt…“ Und wenn jetzt das<br />
Urteil des europäischen Gerichtshofs<br />
kommen wird, wird er sagen, es<br />
gibt eine Verschlechterung nicht nur<br />
dann, wenn ihr sagt, es verschlechtert<br />
sich um eine Zustandsklasse,<br />
sondern sobald sich irgendetwas darin<br />
tatsächlich verschlechtert, dann<br />
ist es schon eine Verschlechterung.<br />
Also wenn sich zum Beispiel die Fische<br />
verschlechtern.<br />
RS: Wären dann überhaupt noch<br />
Kraftwerkspläne nach diesem europäischen<br />
Urteil umsetzbar?<br />
Walder: Natürlich. Die Aufregung<br />
ist jetzt halt, dass immer, wenn eine<br />
Verschlechterung festgestellt wird,<br />
dann muss man in der Ausnahme<br />
bewilligen, weil die Verschlechterung<br />
ist ja eigentlich verboten.<br />
RS: Ist das öffentliche Interesse der<br />
einzige Ausnahmegrund?<br />
Walder: Natürlich, private Interessen<br />
gelten nicht. Und das<br />
schreckt sie jetzt ein bisschen, weil<br />
streng genommen ist die Tiwag<br />
auch ein Privatunternehmen. Aber<br />
für die großen Kraftwerke argumentieren<br />
sie: „Ja, da werden wir halt<br />
das öffentliche Interesse geltend<br />
machen und nach der Ausnahme<br />
bewilligen“. Aber wir können natürlich<br />
nicht alle 120 Wasserkraftwerke,<br />
die es in Österreich gibt,<br />
nach der Ausnahme bewilligen.<br />
Und das ist auch das, was wir seit<br />
Jahren sagen. Wir sagen immer:<br />
„Ihr werdet so viele Verschlechterungen<br />
haben – überlegen wir uns<br />
doch endlich, welche bauen wir<br />
und welche bauen wir nicht. Ihr<br />
werdet nicht alle in der Ausnahme<br />
bewilligen dürfen. Das wird euch<br />
die Kommission nicht lassen. Ausnahme<br />
ist halt Ausnahme“.<br />
RS: Wie sieht das der WWF?<br />
Walder: Für uns ist das relativ einfach,<br />
weil wir in den letzten Jahren<br />
den Ökomasterplan erstellt haben,<br />
wo wir den Zustand der Gewässer in<br />
ganz Österreich zusammen mit der<br />
Universität für Bodenkultur untersucht<br />
haben und wir können sagen,<br />
wo die besten Gewässer nach den 40<br />
ökologischen Kriterien liegen. Die<br />
liegen zum Beispiel an der Venter<br />
und der Gurgler Ache. Das ist auch<br />
kein wahnsinniges Aha-Erlebnis,<br />
weil das hat man gewusst. Sie liegen<br />
auch vor allem an dem Oberlauf<br />
der Gewässer in den Gebirgen, da<br />
sind noch die unberührtesten Strecken.<br />
Gebiete wie die Sanna steigen<br />
da nicht so gut aus, weil die sind<br />
vielfach verbaut. Es kann trotzdem<br />
gute Gründe geben, dort nichts zu<br />
bauen, aber nicht nach unserem<br />
Ökomasterplan.<br />
RS: Und am Inn?<br />
Walder: Der Inn ist österreichischer<br />
Meister in der freien Fließstrecke.<br />
Es gibt keinen Fluss in<br />
Österreich, der auf einer so langen<br />
Strecke, 120 Kilometer, frei fließt<br />
ohne Stau, ohne Ausleitung, ohne<br />
Flussverbauung. Und das ist ein<br />
großer Wert, das sehen das Ministerium<br />
und die EU auch so. Bei Imst<br />
fängt die freie Fließstrecke an, weil<br />
da kommt das Kraftwerk Imst herein,<br />
und geht herunter bis Kirchbichl.<br />
RS: Wenn man jetzt in Haiming<br />
bauen würde, würde sich diese Strecke<br />
verkürzen?<br />
Walder: Genau. Wobei ja Imst-<br />
Haiming keine neue Mauer aufstellt<br />
und das ist ja das Interessante. Für<br />
das neue Kraftwerk Imst-Haiming<br />
wird ja keine Staumauer aufgestellt<br />
werden und das ist schon besser.<br />
Wir haben beim Inn gesagt, da<br />
sollte man schauen, dass man die<br />
lange, freie Fließstrecke so lang wie<br />
möglich und so groß wie möglich<br />
frei hält.<br />
RS: Wo will der WWF im Oberland<br />
auf keinen Fall ein Kraftwerk?<br />
Walder: Wo wir definitiv dagegen<br />
sind, das sind die Ableitungen<br />
der Venter und Gurgler Ache für<br />
das Kraftwerk Kaunertal. Und was<br />
wir auch ein bisschen kritisch sehen,<br />
das sind die Ableitungen für<br />
Flussexperte Christoph Walder würde<br />
sich mehr Einbindung von Naturschutz,<br />
Wissenschaft und Fischerei bei der<br />
Wasserkraft wünschen. RS-Foto: Dorn<br />
Kühtai, weil da sind auch zwei sehr<br />
gute ökologische Strecken. Und<br />
sonst haben wir im Oberland eigentlich<br />
kaum Tabuzonen, wenn<br />
wir den Lechtaler Raum einmal<br />
weglassen. Dann sind die Tabuzonen<br />
im Oberland durch die Verordnung<br />
des Ministers eigentlich ganz<br />
gut geschützt, schon mit Ausnahme<br />
von dieser Venter und Gurgler Ache<br />
und ein paar kleinen Strecken in<br />
den Stubaier Alpen.<br />
RS: Wären mehr Ausgleichsbecken<br />
zur Schwallreduktion wie das geplante<br />
für Sellrain-Silz sinnvoll?<br />
Walder: Ausgleichsbecken sind<br />
eine Möglichkeit, um eine gewisse<br />
Schwalldämpfung zu erreichen.<br />
Wir sind natürlich dafür, dass es die<br />
Schwalldämpfung gibt, was uns aber<br />
nicht gefällt, wie das angegangen<br />
wird: Es darf keiner mitreden. Es<br />
gäbe ja mehr Möglichkeiten. Man<br />
kann ja auch mit der Betriebsweise<br />
was tun, man kann ja den Stausee<br />
anders fahren, dann gibt es auch<br />
weniger Schwall. Aber niemand darf<br />
mitreden. Die Tiwag macht das halt<br />
und legt irgendwas vor und wenn<br />
du Glück hast, siehst du irgendwas<br />
kurz bevor sie den Bescheid<br />
erstellen. Also da würden wir uns<br />
schon viel mehr wünschen von der<br />
zukünftigen Tiwag-Führung. Vielleicht<br />
gibt’s da ein bisschen mehr<br />
Einbindung. Oder beim Kaunertal<br />
ist zum Beispiel geplant, dass man<br />
den großen Speicher einmal ablassen<br />
muss, weil da der Grundablass<br />
oder so kontrolliert werden muss.<br />
RUNDSCHAU Seite 26 23./24. September 2015