Hinz&Kunzt 278 April 2016
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Stadtexpedition<br />
HINZ&KUNZT N°277/ MÄRZ <strong>2016</strong><br />
Im Kunden-WC im vierten Stock von C&A wird der Besuch<br />
mit Glück zum Konzert. Dann greift Toilettenfrau<br />
01.<br />
Stefanie Ansul-Weissner zur Gitarre und erfreut ihre Kunden mit einem<br />
Lied von Joan Baez oder Sarah Connor. Was kaum jemand weiß:<br />
Die gelernte Bäckerin arbeitet als Selbstständige. Sie lebt ausschließlich<br />
von dem Geld, das ihre Kunden auf den Teller legen. Zufrieden<br />
ist Steffi dennoch: „Ich bekomme ganz viel Positives zurück.“ Unter<br />
Obdachlosen ist sie so beliebt wie bekannt. „Steffi ist immer gut<br />
drauf und die Toiletten sind sauber“, schwärmt Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufer<br />
Justin, der uns die versteckte Künstlerin empfohlen hat.<br />
C&A, Mönckebergstraße, Mo-Sa, 9–20 Uhr<br />
Am Hauptbahnhof wird offenkundig, dass manche<br />
Menschen gleicher sind als andere: Wer eine Frau<br />
ist oder Rollstuhlfahrer, muss bis zu einem Euro berappen,<br />
um eine der WC-Anlagen im Bahnhofsinnern<br />
betreten zu dürfen. Stehpinkler dagegen können<br />
kostenlose Pissoirs draußen auf dem Vorplatz nutzen. Rund<br />
1000 Männer täglich erleichtern sich hier, so das Bezirksamt. Die<br />
Folge: „Wesentlich weniger Wildpinkler.“ Eine kostenlose Alternative<br />
für das weibliche Geschlecht brauche es am Bahnhof aber nicht:<br />
„Wir haben keine Beobachtungen über wild pinkelnde Frauen.“<br />
Hauptbahnhof, Ausgang Richtung St. Georg/Schauspielhaus/Kirchenallee<br />
drei<br />
Unter dem Rathausplatz können Sie auf Toilette gehen<br />
und damit Gutes tun: Hier befindet sich die Rathauspassage,<br />
ein Diakonie-Projekt, das rund 20 Langzeitarbeitslose<br />
beschäftigt. Einer von ihnen ist Toilettenmann Bodo Steffens. „Ich<br />
habe hier den Umgang mit Kunden gelernt“, sagt er stolz. Am liebsten<br />
würde er bis zur Rente die sozialste Toilette Hamburgs säubern.<br />
Doch weil das Jobcenter höchstens zwei Jahre lang eine sozialversicherungspflichtige<br />
Stelle bezuschusst, droht dem Toilettenmann ab<br />
Mai das Nichtstun. Steffens sucht also eine Perspektive und sagt:<br />
„Ich würde auch in einem anderen WC arbeiten.“ Zugang über Rathausmarkt<br />
oder von der U-/S-Bahn-Station Jungfernstieg, Mo-Sa, 10-19 Uhr,<br />
60 Cent, www.rathauspassage.de<br />
Wohl kein Fotograf hat das Leben auf St. Pauli so<br />
eindrucksvoll mit seinen Bildern eingefangen wie<br />
Günter Zint. In den Toilettenräumen der „Clouds“-<br />
Bar (4a), im 23. Stockwerk der Tanzenden Türme,<br />
haben sie ihm dafür ein Denkmal gesetzt: Mit Augenzwinkern<br />
in Szene gesetzte Halbakte und stimmungsvolle<br />
Straßenaufnahmen der Fotografen-Legende schmücken<br />
hier die Wände. Zints Lieblingstoilette (4b) befindet sich in dem von<br />
ihm gegründeten Sankt Pauli Museum. Der Collagen-Künstler Olav<br />
Wittenberg hat die WC-Räume mit grafisch verfremdeten D-Mark-<br />
Scheinen verziert. Als Zint bei der Eröffnung einen Bankangestellten<br />
fragte, ob er erkenne, was auf den Tapeten zu sehen sei, meinte der:<br />
„Nein.“ Zint lacht. „Ein Banker weiß heute nicht mal mehr, wie ein<br />
Geldschein aussieht“, sagt er. Und betont: „Bei uns darf jeder auf<br />
die Toilette – kostenlos.“ Clouds, Reeperbahn 1, www.clouds-hamburg.de<br />
und Sankt Pauli Museum, Davidstraße 17, www.kiezmuseum.de<br />
In der WC-Anlage unter dem Spielbudenplatz hat Theatermacher<br />
Corny Littmann 1980 die Welt verändert. Litt-<br />
05.<br />
mann, bekennender Homosexueller und damals Spitzenkandidat<br />
18<br />
9<br />
10. Die letzte öffentliche<br />
Toilette in Mümmelmannsberg<br />
– leider schon<br />
seit Jahren geschlossen.<br />
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