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Hinz&Kunzt 278 April 2016

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<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

Vom platten Land<br />

auf die Bühne<br />

Josef Ostendorf ist einer der großen Hamburger Schauspieler.<br />

Ein Gespräch über seine Herkunft aus einer Viehhändlerfamilie,<br />

den Einfluss von 120 Ritterfiguren und warum er im<br />

Theater auch als Zuschauer immer wieder glücklich wird.<br />

TEXT: FRANK KEIL<br />

FOTOS: ANDREAS HORNOFF<br />

Kürzlich hat ihm eine<br />

Hamburgerin recht<br />

schnippisch Folgendes<br />

gesagt: „Dass es der<br />

Dritten Welt schlecht<br />

geht, weiß ich auch, aber dafür gehe ich<br />

doch nicht ins Theater.“ Nicht?<br />

Josef Ostendorf schüttelt sachte<br />

sein Haupt. Ja, diese Haltung gebe es:<br />

Theater als Unterhaltung, als Amüsement.<br />

Das uns nicht mit dem Problematischen<br />

unserer Welt zu behelligen habe.<br />

Er sieht das komplett anders: Ist nicht<br />

gerade das Theater dafür da, uns immer<br />

wieder aus der Lethargie zu reißen und<br />

uns ganz klassisch aufzurütteln?<br />

In gut einer Stunde macht er sich<br />

dafür auf den Weg. Dann wird er in seiner<br />

Garderobe verschwinden. Wird<br />

sich umziehen, wird sich sein Textheft<br />

vornehmen und die Passagen lesen, die<br />

er ab 20 Uhr im Schauspielhaus auf<br />

großer Bühne in Gesten und Handlung<br />

verwandeln und mit großer Leidenschaft<br />

spielen wird. „Ich mache immer<br />

den Text, ein, zwei Mal, mindestens“,<br />

sagt er. Und ein bisschen Lampenfieber<br />

habe er stets auch, das gehöre dazu.<br />

Es ist diesmal formal keine allzu<br />

große Rolle, die er spielt – aber der<br />

Stoff hat Gewicht: „Johanna von Orleans“<br />

also Schiller, 1801 uraufgeführt.<br />

Johanna, die Freiheitskämpferin, die<br />

mit ihrer Freiheitsliebe die Massen zu<br />

begeistern versteht – und die von den<br />

Mächtigen benutzt wird, während sie<br />

selbst als Person, als Mensch am Ende<br />

untergeht. Geht es aktueller?<br />

Es ist Josef Ostendorfs dritte Zeit an<br />

einem Hamburger Theater: Von 1993<br />

bis 2000 spielte er am Schauspielhaus,<br />

verließ die Stadt Richtung Zürich, kam<br />

zurück und ging ans Thalia Theater.<br />

Und wechselte von dort vor zwei Jahren<br />

wieder an die Kirchenallee, als Karin<br />

Baier die Intendanz übernahm.<br />

Dabei lag das Theater so gar nicht<br />

am Anfang seines Lebensweges. „Mein<br />

Zuhause war sehr musisch, wir haben<br />

viel und oft gesungen“, erzählt er. Aber<br />

ins Theater sei er mit seinen Eltern nie<br />

gegangen. Was daran lag, dass es in seiner<br />

Geburtsstadt Cloppenburg nun mal<br />

kein Theater gab und bis heute nicht<br />

gibt, so wie er auch als Schulkind nie eine<br />

Schulaufführung besuchte.<br />

Sein Vater ist Viehhändler. Führt<br />

auch eine Notschlachterei und ist entsprechend<br />

zur Stelle, wenn ein Tier<br />

schnell verwertet werden muss. „Ich habe<br />

nie mitgeschlachtet, das mochte ich<br />

nicht“, erzählt er. „Aber ich bin wahnsinnig<br />

gerne mitgefahren, wenn mit<br />

Vieh gehandelt wurde. Das war sehr<br />

abenteuerlich, denn wir haben noch<br />

Bauernhöfe gesehen, die hatten keinen<br />

47<br />

elektrischen Strom. Da gab es noch offenes<br />

Herdfeuer, und die Familie saß um<br />

einen Tisch und aß mit einem Löffel aus<br />

einem Topf. Und das waren keine armen<br />

Leute, die wohnten nur sehr weit<br />

ab vom Schuss.“ Und er sagt: „Das war<br />

schon toll, wie es da gerochen, um nicht<br />

zu sagen – gestunken hat. Wir haben<br />

auch nur am Samstag gebadet, aber die<br />

haben sich nur ein Mal die Woche<br />

gewaschen.“<br />

Es sind die frühen 60er-Jahre. In<br />

der Familie gilt, was der Vater sagt, und<br />

in der Welt zählt das Wort des Pfarrers –<br />

nicht nur sonntagsmorgens, wenn man<br />

in der Kirche sitzt: Die Stadt Cloppenburg<br />

und die umliegenden emsländischen<br />

Gemeinden sind stramm katholisch<br />

ausgerichtet. Allein in seiner Klasse<br />

hören acht Jungen auf den Namen Josef.<br />

So, wie auch sein Vater Josef heißt.<br />

„Der Nachbarkreis Vechta war damals<br />

in Deutschland der Landkreis mit<br />

den meisten Stimmen für die CDU –<br />

und mit den meisten Alkoholikern.“<br />

Und Josef Ostendorf lacht sein herzhaftes<br />

Lachen: „Sie glauben ja nicht, was<br />

bei uns getrunken wurde und bis heute<br />

getrunken wird.“ Er mag die Gegend, in<br />

der er aufgewachsen ist, bis heute: „Das<br />

flache Land, der weite Horizont, dazwischen<br />

mal Wald, sehr schön.“ Er sagt:<br />

„Berge sind nicht mein Ding.“

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