Hinz&Kunzt 278 April 2016
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Seit fünf Jahren lebt die Familie des schwer kranken Ahmad (oben) schon im Camp in der Bekaa-Ebene. Die Kinder im Camp liegen<br />
Ordensschwester Amira Tabet (oben rechts) am Herzen. Bildung sei der Schlüssel, damit die syrischen Flüchtlinge im Libanon eine ZUKUNFT haben.<br />
Was wünscht sich ein Elfjähriger, der schwer<br />
krank ist? Der mit seiner Familie aus dem syrischen<br />
Homs geflohen ist, als es so stark<br />
bombardiert wurde, dass seine Mutter ihn<br />
und seine Geschwister ins Auto gezerrt hat und so lange gefahren<br />
ist, bis sie an den Soldaten vorbei die Grenze in den<br />
nahen Libanon passieren konnte? Was wünscht sich ein Junge,<br />
dessen wertvollster Besitz ein klappriges Fahrrad ist, auf<br />
dem er zwischen den Zelten seine Runde dreht, in denen seine<br />
Familie nun mit den anderen Syrern wohnt?<br />
Eine Geburtstagstorte! Mit elf Kerzen! Auch wenn das<br />
Ausblasen aufgrund des geringen Lungenvolumens Ahmad<br />
drei Anläufe kostet. Auch wenn er dabei die Kappe, die verbirgt,<br />
dass er keine Haare hat, festhalten muss, damit sie nicht<br />
zurückrutscht. „Auch wenn“ ist eine Konstante im Leben des<br />
stillen, freundlichen Geburtstagskindes, das so viel schmächtiger<br />
ist als seine Altersgenossen.<br />
Hinter den Bergen, die man von dem Zelt, in dem<br />
Ahmads Familie wohnt, gut sieht, liegt die alte Heimat Syrien.<br />
Manchmal, früh am Morgen, wenn es ganz still ist hier in<br />
der Bekaa-Ebene, hört man Schüsse. Libanesische Hisbollah-<br />
Milizen kämpfen dort. Die einen sagen: gegen Rebellen, die<br />
einen gnadenlosen Diktator stürzen wollen. Die anderen sagen:<br />
gegen vom Ausland schwer bewaffnete islamistische<br />
Gruppen, die Krieg und Terror bringen.<br />
Die Bekaa-Ebene ist die Kornkammer des Libanon. Auf den<br />
fruchtbaren Böden zwischen den beiden Bergzügen wachsen<br />
Kartoffeln, Tabak, Mandeln. Die Gegend hier ist berüchtigt<br />
für ihren Exportschlager: den Roten Libanesen, Haschisch,<br />
dessen Erzeugung und Verkauf verboten und zugleich im<br />
Land und auf dem Weltmarkt begehrt ist. Derzeit boomt der<br />
Anbau, da die libanesischen Sicherheitskräfte mit der Sicherung<br />
der Grenzen zu Syrien beschäftigt sind.<br />
Ahmads Familie und rund 10.000 weitere Menschen aus<br />
Syrien haben, seit der Aufstand von 2011 in einen nicht enden<br />
wollenden Bürgerkrieg mündete, ihre Zelte rund um<br />
Deir el Ahmar aufgeschlagen. Ahmads Vater hatte vor dem<br />
Krieg saisonal als Landarbeiter geholfen. Wie die Männer<br />
vieler anderer Familien, die nun hier sind. Und eine neue,<br />
besondere Situation enstand: 10.000 Muslime aus Syrien<br />
treffen auf die 10.000 christlichen Einwohner von Deir el<br />
Ahmar.<br />
Dass die Kapazitäten nahezu erschöpft sind, spürt und<br />
hört man allerorten. Aber auch, und das ist bemerkenswert,<br />
dass das Zusammenleben friedlich verläuft, dass es keine<br />
signi fikante Zunahme an Gewalt, an Unsicherheit gibt.<br />
Miled Akoury, Vorsitzender des Stadtrats, kennt die<br />
Zahlen und die damit verbundenen Realitäten: „Heute ist<br />
wieder ein Schreiben eingetroffen, in dem einer unserer<br />
Bürger 15 syrische Familien als Erntehelfer einstellen will. Da<br />
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