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Hinz&Kunzt 278 April 2016

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Alltag im INOFFIZIELLEN Camp, für das die Gemeinde und Bauern Land zur Verfügung gestellt haben. UN und Organisationen wie „Missio München“<br />

und „Oxfam“ sorgen für Zelte, Öfen und Trinkwasser. Das ist nötig, denn nicht alle Flüchtlinge finden Arbeit bei der Ernte oder auf Baustellen.<br />

Das Geld war noch nie reichlich in Rouas Familie. Aber das<br />

Leben auf engs tem Raum in den Zelten fordert seinen Tribut.<br />

An Rückkehr nach Syrien, da sind sich alle einig, ist<br />

nicht zu denken. Immer noch wachen die Kinder auf ihren<br />

Matratzen in den Zelten nachts wegen Alpträumen auf und<br />

immer noch verlassen Syrer ihr Land.<br />

Deutschland und Europa sind bei den Zeltbewohnern<br />

der Bekaa-Ebene kein Gesprächsthema. Wohl, weil man<br />

seit Jahren hier gearbeitet hat, die gleiche Sprache spricht,<br />

ein wenig zu Hause ist. Und vielleicht auch, weil da, wo die<br />

Ebene endet, schon die Berge sind, hinter denen die alte<br />

Heimat liegt.<br />

Ghassam Habchi ist Landbesitzer in der Bekaa-Ebene.<br />

Er baut Tabak an, aber auch Trauben, Oliven und Nüsse,<br />

denn vom Tabak allein könne man nicht mehr leben. Sieben<br />

Arbeiter aus Syrien arbeiten für ihn. Ihre Zelte sind auf Land<br />

aufgeschlagen, das ihm gehört. Noch beschäftigt ein Vorfall,<br />

der sich in der Woche zuvor ereignet hat, die Gemüter: Vier<br />

halbwüchsige Syrer waren nachts auf einem Motorrad unterwegs,<br />

ohne Licht, und prallten mit einem Auto zusammen:<br />

ein Toter und drei Verletzte. „Das ist fürchterlich, und<br />

sicher, man muss solche Dinge in den Griff bekommen. Das<br />

sind eben junge Menschen, das kommt vor“, sagt Habchi. In<br />

Deir el Ahmar, hat man den Eindruck, behält man einen<br />

kühlen Kopf, zugleich fehlt es nicht an Mitgefühl.<br />

Ghassam Habchi sitzt im Rollstuhl infolge einer Schussverletzung,<br />

die er während des libanesischen Bürgerkriegs erlitt.<br />

Des Kriegs, der von 1975 bis 1990 tobte und dessen Folgen<br />

noch heute spürbar sind. Nach wie vor ist das Land bewaffnet,<br />

ist jedes Dorf bewaffnet. In der Bekaa-Ebene trennt eine<br />

Tankstelle die Felder der Christen von denen der Schiiten.<br />

Hinter der Tankstelle beginnt Hisbollah-regiertes Territorium.<br />

Dort liegt das berüchtigte Palästinensercamp, in dem<br />

1975 der Krieg seinen Anfang nahm und in dem noch heute<br />

gesuchte Terroristen Unterschlupf finden, Waffenhandel<br />

und Drogenlabore florieren, weil die libanesische Polizei sich<br />

nicht hineinwagt.<br />

„Darum ist es auf lange Sicht wichtig, die Leute und die<br />

Verhältnisse zu kennen, wenn man effizient helfen will“, sagt<br />

Schwester Amira Tabet. „All die schnelle Nothilfe war nötig.<br />

Aber nun müssen wir den Kindern Bildung ermöglichen und<br />

vor allem schauen, dass wir die Gesellschaft hier stabil halten<br />

können, denn sie steht vor einer Zerreißprobe.“<br />

Einer von denen, die hier für die Zukunft lernen, ist der<br />

elfjährige Ahmad. Vielleicht bleibt die nahe Heimat hinter<br />

den Bergen unerreichbar. Aber das Leben geht weiter. •<br />

Barbara Brustlein ist Chefredakteurin des Missio Magazins,<br />

der Zeitschrift des katholischen Hilfswerks missio in München.<br />

Jörg Böthling arbeitet als freier Fotojournalist in Hamburg.<br />

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