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Das Stadtgespräch August 2016

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TIPPS<br />

37<br />

selbst erklärter Fernsehjunkie (am<br />

liebsten US-Serien und BBC-Episodendramen)<br />

flimmerten andauernd<br />

Bilder durch ihren Kopf und weil sie<br />

darüber hinaus jede freie Minute<br />

mit einem Buch verbringt, musste<br />

es ja irgendwann so kommen: Eine<br />

eigene Geschichte bahnte sich ihren<br />

Weg in ihre Gedanken, eine Geschichte<br />

über ein magisches Dorf in<br />

England, über ein Mädchen namens<br />

Emily, einen Jungen namens Matt …<br />

ALTE LITERATUR NEU<br />

ENTDECKT: BUKOWSKI<br />

»Roter Mercedes«<br />

Die Bukowski-Gesellschaft (ja, die<br />

gibt es seit 1996) sagt über das eben<br />

im MaroVerlag erschienene »Roter<br />

Mercedes und andere Gedichte« (156<br />

Seiten, 16,80 Euro): Ein erstklassiger<br />

Gedichtband des späten Bukowski.<br />

Andere halten Bukowski schlicht<br />

für einen Säufer und Hurenbock.<br />

Sicherlich war er das auch. Doch<br />

auch wenn ich den Spruch »Dummheit<br />

frisst, Genie säuft« nicht unterschreiben<br />

würde, gibt es dennoch in<br />

der Geschichte der Literatur einige<br />

geniale Säufer. Ich denke da an den<br />

nicht zufällig früh verstorbenen begnadeten<br />

Dichter Dylan Thomas,<br />

hinter dessen Lyrik sich Bob Dylan,<br />

der sich als Robert Alan Zimmerman<br />

den Namen des großen Walisers<br />

als Künstlernamen zugelegt hat,<br />

getrost verstecken kann. Die 1986<br />

erschiene amerikanische Ausgabe<br />

von »You get so alone at times that<br />

it just makes sense« hat der Verlag<br />

schon im vergangenen Herbst unter<br />

dem Titel »Alle reden zu viel und<br />

andere Gedichte« herausgebracht.<br />

Zusammen mit dem jetzt erschienenen<br />

»Roter Mercedes und andere<br />

Gedichte« bilden sie die stärksten<br />

Gedichtbänden aus Bukowskis Spätwerk.<br />

Direkt und klar wie eh und je<br />

hämmert er seine Verse in die Welt.<br />

Dennoch fällt auf, dass ganz andere,<br />

neue Themen zur Sprache kommen:<br />

Bukowski befasst sich vermehrt mit<br />

seinen Ängsten, dem Vergehen der<br />

Zeit und dem amerikanischen Albtraum.<br />

Ein Werk von großer Einsicht<br />

und gleichzeitig erfreulicherweise<br />

frei von jeder bürgerlichen Altersmilde.<br />

Bukowskis große Errungenschaft<br />

war sicherlich nicht, in Bars herum zu<br />

hängen und zu saufen. Aber der Liebhaber<br />

klassischer Musik beherrschte<br />

die Kunst, die Wirklichkeit hochsensibel<br />

wahrzunehmen und tatsächlich<br />

mit wenigen Worten zu verdichten,<br />

im wahren Sinne des Wortes.<br />

Darin war er ein Meister, auch wenn<br />

sein persönliches Leben nicht unbedingt<br />

eine Erfolgsgeschichte war.<br />

Zweimal war er verheiratet und hatte<br />

eine Tochter, mit deren Mutter er<br />

nicht verheiratet war. Der Alkohol<br />

spielte eine dominierende Rolle. Bukowski<br />

wohnte den Großteil seines<br />

Lebens in den Armenvierteln von<br />

East-Hollywood, nur in den letzten<br />

16 Jahren war ihm ein hübsches Haus<br />

in San Pedro beschert. Was bleibt<br />

von Bukowski sind die kleinen, aber<br />

scharf beobachteten und großartig<br />

verdichteten Bilder, der Romancier<br />

John Updike nannte das in einer seiner<br />

Kurzgeschichten »Gemmen«. Ein<br />

Beispiel für den späten Scharfsinn<br />

des Meisters: In dem titelgebenden<br />

Gedicht »Roter Mercedes« erzählt<br />

Bukowski einen Zwischenfall, als<br />

ihm ein reicher Schnösel im roten<br />

Mercedes (ist Ihnen schon aufgefallen,<br />

dass die Bösewicht in Hollywood<br />

andauernd Mercedes fahren?)<br />

die Parklücke wegschnappt. So etwas<br />

lässt das Macho-Ego natürlich<br />

nicht zu: »Sofort schoss es mir/<br />

durch den Kopf:/ Den Wichser zerr<br />

ich/ aus seinem Wagen und/mach<br />

ihn/ kalt!« Der Schnösel jedoch zeigt<br />

sich unbeeindruckt, als das lyrische<br />

Ich (klingt bei Bukowskis Wortwahl<br />

komisch) versucht, an ihn heranzukommen.<br />

Vielmehr lässt er sich von<br />

seiner Begleiterin eine Pistole reichen,<br />

die er in aller Ruhe entsichert.<br />

Daraufhin dreht sich der Sprecher<br />

um und widmet sich der Rennsportveranstaltung,<br />

für die er angereist<br />

war: »Die Rennen/ die an diesem<br />

Tag/ auf dem Programm standen/<br />

sahen verdammt/ gut aus.« Soviel<br />

Selbstironie habe ich Bukowski gar<br />

nicht zugetraut – aber vielleicht<br />

habe ich früher auch einfach nicht<br />

gut genug gelesen oder mich vom<br />

Säufer-Image beeindrucken lassen.

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