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TIPPS<br />
37<br />
selbst erklärter Fernsehjunkie (am<br />
liebsten US-Serien und BBC-Episodendramen)<br />
flimmerten andauernd<br />
Bilder durch ihren Kopf und weil sie<br />
darüber hinaus jede freie Minute<br />
mit einem Buch verbringt, musste<br />
es ja irgendwann so kommen: Eine<br />
eigene Geschichte bahnte sich ihren<br />
Weg in ihre Gedanken, eine Geschichte<br />
über ein magisches Dorf in<br />
England, über ein Mädchen namens<br />
Emily, einen Jungen namens Matt …<br />
ALTE LITERATUR NEU<br />
ENTDECKT: BUKOWSKI<br />
»Roter Mercedes«<br />
Die Bukowski-Gesellschaft (ja, die<br />
gibt es seit 1996) sagt über das eben<br />
im MaroVerlag erschienene »Roter<br />
Mercedes und andere Gedichte« (156<br />
Seiten, 16,80 Euro): Ein erstklassiger<br />
Gedichtband des späten Bukowski.<br />
Andere halten Bukowski schlicht<br />
für einen Säufer und Hurenbock.<br />
Sicherlich war er das auch. Doch<br />
auch wenn ich den Spruch »Dummheit<br />
frisst, Genie säuft« nicht unterschreiben<br />
würde, gibt es dennoch in<br />
der Geschichte der Literatur einige<br />
geniale Säufer. Ich denke da an den<br />
nicht zufällig früh verstorbenen begnadeten<br />
Dichter Dylan Thomas,<br />
hinter dessen Lyrik sich Bob Dylan,<br />
der sich als Robert Alan Zimmerman<br />
den Namen des großen Walisers<br />
als Künstlernamen zugelegt hat,<br />
getrost verstecken kann. Die 1986<br />
erschiene amerikanische Ausgabe<br />
von »You get so alone at times that<br />
it just makes sense« hat der Verlag<br />
schon im vergangenen Herbst unter<br />
dem Titel »Alle reden zu viel und<br />
andere Gedichte« herausgebracht.<br />
Zusammen mit dem jetzt erschienenen<br />
»Roter Mercedes und andere<br />
Gedichte« bilden sie die stärksten<br />
Gedichtbänden aus Bukowskis Spätwerk.<br />
Direkt und klar wie eh und je<br />
hämmert er seine Verse in die Welt.<br />
Dennoch fällt auf, dass ganz andere,<br />
neue Themen zur Sprache kommen:<br />
Bukowski befasst sich vermehrt mit<br />
seinen Ängsten, dem Vergehen der<br />
Zeit und dem amerikanischen Albtraum.<br />
Ein Werk von großer Einsicht<br />
und gleichzeitig erfreulicherweise<br />
frei von jeder bürgerlichen Altersmilde.<br />
Bukowskis große Errungenschaft<br />
war sicherlich nicht, in Bars herum zu<br />
hängen und zu saufen. Aber der Liebhaber<br />
klassischer Musik beherrschte<br />
die Kunst, die Wirklichkeit hochsensibel<br />
wahrzunehmen und tatsächlich<br />
mit wenigen Worten zu verdichten,<br />
im wahren Sinne des Wortes.<br />
Darin war er ein Meister, auch wenn<br />
sein persönliches Leben nicht unbedingt<br />
eine Erfolgsgeschichte war.<br />
Zweimal war er verheiratet und hatte<br />
eine Tochter, mit deren Mutter er<br />
nicht verheiratet war. Der Alkohol<br />
spielte eine dominierende Rolle. Bukowski<br />
wohnte den Großteil seines<br />
Lebens in den Armenvierteln von<br />
East-Hollywood, nur in den letzten<br />
16 Jahren war ihm ein hübsches Haus<br />
in San Pedro beschert. Was bleibt<br />
von Bukowski sind die kleinen, aber<br />
scharf beobachteten und großartig<br />
verdichteten Bilder, der Romancier<br />
John Updike nannte das in einer seiner<br />
Kurzgeschichten »Gemmen«. Ein<br />
Beispiel für den späten Scharfsinn<br />
des Meisters: In dem titelgebenden<br />
Gedicht »Roter Mercedes« erzählt<br />
Bukowski einen Zwischenfall, als<br />
ihm ein reicher Schnösel im roten<br />
Mercedes (ist Ihnen schon aufgefallen,<br />
dass die Bösewicht in Hollywood<br />
andauernd Mercedes fahren?)<br />
die Parklücke wegschnappt. So etwas<br />
lässt das Macho-Ego natürlich<br />
nicht zu: »Sofort schoss es mir/<br />
durch den Kopf:/ Den Wichser zerr<br />
ich/ aus seinem Wagen und/mach<br />
ihn/ kalt!« Der Schnösel jedoch zeigt<br />
sich unbeeindruckt, als das lyrische<br />
Ich (klingt bei Bukowskis Wortwahl<br />
komisch) versucht, an ihn heranzukommen.<br />
Vielmehr lässt er sich von<br />
seiner Begleiterin eine Pistole reichen,<br />
die er in aller Ruhe entsichert.<br />
Daraufhin dreht sich der Sprecher<br />
um und widmet sich der Rennsportveranstaltung,<br />
für die er angereist<br />
war: »Die Rennen/ die an diesem<br />
Tag/ auf dem Programm standen/<br />
sahen verdammt/ gut aus.« Soviel<br />
Selbstironie habe ich Bukowski gar<br />
nicht zugetraut – aber vielleicht<br />
habe ich früher auch einfach nicht<br />
gut genug gelesen oder mich vom<br />
Säufer-Image beeindrucken lassen.