08.12.2012 Aufrufe

Arbeitsrechtliche Entscheidungen Ausgabe 2010-04

Arbeitsrechtliche Entscheidungen Ausgabe 2010-04

Arbeitsrechtliche Entscheidungen Ausgabe 2010-04

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

248. Kündigung, zwingendes Erfordernis vorheriger<br />

Anhörung des Arbeitnehmers, Verletzung der Menschenwürde<br />

(Mindermeinung)<br />

Der Ausspruch einer Kündigung durch den Arbeitgeber ohne<br />

die vorherige rechtliche Möglichkeit des Arbeitnehmers zur<br />

Gegenäußerung verletzt die Menschenwürde des Arbeitnehmers<br />

sowie dessen Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung.<br />

Ohne die vorherige Anhörung wird der Arbeitnehmer auf<br />

diese Weise zum Objekt der Maßnahme eines Dritten, die<br />

für ihn erhebliche materielle und ideelle Nachteile hat und<br />

ihn in seiner freien Persönlichkeitsentfaltung hindert. Wenn<br />

durch eine einseitige, „einsame“ Entscheidung des Arbeitgebers<br />

demnach dem Arbeitnehmer materielle und ideelle Konsequenzen<br />

für die weitere Lebensgestaltung auferlegt werden<br />

könnten, ohne dass diesem in Form der Anhörung die Möglichkeit<br />

gegeben wird, diese Kündigungsentscheidung vorher<br />

durch eine Stellungnahme zu beeinflussen, abzumildern<br />

oder abzuwenden, würde der Arbeitnehmer im Ergebnis zum<br />

bloßen Träger der dem Arbeitgeber nicht mehr interessierenden<br />

Arbeitskraft reduziert. Dies würde die menschliche Würde<br />

des Arbeitnehmers sowie sein Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung<br />

missachten.<br />

■ Arbeitsgericht Gelsenkirchen<br />

vom 17.3.<strong>2010</strong>, 2 Ca 319/10<br />

Anmerkung: Der Vorsitzende der 2. Kammer setzt ankündigungsgemäß<br />

nach Rückkehr in die Richterfunktion seinen<br />

einsamen Kreuzzug fort. (me)<br />

249. Außerordentliche Kündigung, Interessenabwägung,<br />

Vertrauenskapital durch langjährige Beschäftigung überwiegt<br />

Betrugsdelikt bei Schaden von € 150<br />

1. Vermögensstraftaten gegenüber dem Arbeitgeber sind als<br />

„wichtiger Grund“ im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB „an sich“<br />

zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung geeignet.<br />

Die Wirksamkeit der Kündigung ist dann im Rahmen einer auf<br />

den Einzelfall bezogenen umfassenden Interessenabwägung<br />

zu prüfen (ständige Rechtsprechung des BAG).<br />

2. Den Hinweisen, die der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts<br />

ausweislich der Pressemitteilung in seiner nunmehrigen<br />

Entscheidung vom 10.6.<strong>2010</strong> (2 AZR 541/09 – „Pfandbon“) für<br />

die diesbezüglich anzustellende Interessenabwägung gegeben<br />

hat, ist zu entnehmen, dass einer sehr langjährigen beanstandungsfreien<br />

Betriebszugehörigkeit und dem damit angesammelten<br />

Vertrauenskapital ein sehr hoher Wert im Rahmen<br />

der Interessenabwägung zukommt, so dass auch eine erhebliche<br />

Pflichtverletzung – jedenfalls im „Erstfalle“ – nicht ohne<br />

weiteres zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen<br />

muss.<br />

3. Dieser Gesichtspunkt, der im dortigen Fall bei einer erheblichen<br />

Pflichtwidrigkeit einer Kassiererin sogar im Kernbereich<br />

ihrer Tätigkeit an der Kasse zu einer Unwirksamkeit<br />

der Kündigung führte, war im Streitfalle in noch höherem<br />

<strong>04</strong>/10<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

Maße zugunsten der seit 40 Jahren beschäftigten Klägerin zu<br />

berücksichtigen, die in einer besonderen Ausnahmesituation<br />

außerhalb des Kernbereichs ihrer Tätigkeit eine Betrugshandlung<br />

gegenüber dem Arbeitgeber mit einem Schadensbetrag<br />

von rd. 150 € vorgenommen hatte.<br />

■ Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg<br />

vom 16.9.<strong>2010</strong>, 2 Sa 509/10<br />

250. Betriebsbedingte Kündigung, Unternehmerentscheidung,<br />

Wegfall eines leidensgerechten Arbeitsplatzes<br />

Die unternehmerische Entscheidung einen leidensgerechten<br />

Arbeitsplatz in Wegfall zu bringen, erweist sich dann als<br />

unsachlich bzw. willkürlich, wenn der Arbeitgeber aus § 81<br />

Abs. 4 SGB IX gleich wieder verpflichtet wäre, durch Umorganisation<br />

der Tätigkeiten einen solchen zu schaffen.<br />

■ Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg<br />

vom 30.3.<strong>2010</strong>, 7 Sa 58/10<br />

251. Betriebsbedingte Kündigung, Erfordernis eines betrieblichen<br />

Eingliederungsmanagements<br />

Die Pflicht nach § 84 Abs. 2 SGB IX existiert nicht nur im Vorfeld<br />

von personenbedingten Kündigungen, sondern – nach<br />

Erreichen des dortigen Schwellenwertes – immer dann, wenn<br />

gesundheitliche Beeinträchtigungen eines Arbeitnehmers die<br />

Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten im Betrieb beeinflussen<br />

(können). Auch vor einer betriebsbedingten Kündigung ist<br />

das betriebliche Eingliederungsmanagement durchzuführen,<br />

um etwaige Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten beurteilen<br />

zu können.<br />

Da das betriebliche Eingliederungsmanagement auch dazu<br />

dient, zur Re-Integration arbeitsunfähiger Arbeitnehmer etwaige<br />

Möglichkeiten der Umorganisation zu prüfen, um einer<br />

Kündigung entgegenzuwirken – einschließlich eines Freimachens<br />

von Arbeitsplätzen durch Umsetzungen –, reicht es<br />

nicht aus, wenn lediglich eine Anpassung vergleichbarer Arbeitsplätze<br />

geprüft wird. Der Arbeitgeber muss dem Arbeitnehmer<br />

vielmehr auch mitteilen, welche – auch besetzten –<br />

Arbeitsplätze aus seiner Sicht für eine Versetzungsmaßnahme<br />

in Betracht kommen. Sodann ist im Rahmen des betrieblichen<br />

Eingliederungsmanagements zu klären, ob bei einer etwaigen<br />

Versetzung ebenfalls mit erheblichen Arbeitsunfähigkeitszeiten<br />

zu rechnen ist oder eine positive Zukunftsprognose abgegeben<br />

werden kann, und ob eine solche Maßnahme möglich<br />

und dem Arbeitgeber zumutbar ist.<br />

■ Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg<br />

vom 4.1.<strong>2010</strong>, 10 Sa 2071/09<br />

252. Personenbedingte Kündigung, negative Zuverlässigkeitsprüfung<br />

in sicherheitsrelevanter Beschäftigung, Beeinträchtigung<br />

betrieblicher Interessen<br />

1. Der Wegfall der behördlichen positiven Zuverlässigkeitsüberprüfung<br />

(ZUP) gemäß § 7 Abs. 1 LuftSiG (früher § 29d<br />

LuftverkehrsG a.F.) verhindert die Ausübung der vertraglich<br />

243

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!