Ausgabe vom 04.11.2012 - Kehrwieder am Sonntag
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KEHRWIEDER <strong>am</strong> <strong>Sonntag</strong> · 4. November 2012 · Seite 3 IM BLICKPUNKT<br />
KEHRWIEDER-Interview mit Strafverteidiger Henning Sonnenberg über Recht, Moral und Pflicht<br />
„Wir machen uns nicht<br />
zu Dienern der Mandanten“<br />
Hildesheim. Einen Kindermörder<br />
verteidigen? Für Juristen wie Henning<br />
Sonnenberg ist das auch eine<br />
Frage des Prinzips. Der Hildesheimer<br />
Anwalt hat das Mandat für Andreas<br />
S., der gestanden hat, seine vier<br />
Kinder umgebracht zu haben. Am<br />
kommenden Donnerstag verkündet<br />
das Landgericht das Urteil gegen den<br />
Angeklagten. KEHRWIEDER-Redaktionsleiter<br />
Jan Fuhrhop hat mit dessen<br />
Verteidiger Sonnenberg über Recht<br />
und Moral gesprochen – und über<br />
den Balanceakt zwischen Pflicht und<br />
persönlichem Empfinden.<br />
KEHRWIEDER: Herr Sonnenberg,<br />
wie sind Sie Verteidiger von Andreas<br />
S. geworden?<br />
Henning Sonnenberg: Ich bin bei<br />
Gericht als Pflichtverteidiger registriert,<br />
und nachdem die in diesem<br />
Fall zuständige Staatsanwaltschaft<br />
Hildesheim Haftbefehl für Andreas<br />
S. beantragt hatte, bin ich angerufen<br />
worden.<br />
Sie haben es sich also nicht<br />
selbst ausgesucht, sondern wurden<br />
aus einer Liste ausgewählt?<br />
Jeder Haftrichter hat einen gewissen<br />
Pool an Anwälten, von denen sie<br />
einen fragen – in diesem Fall wurde<br />
ich gefragt.<br />
Wussten Sie sofort, worum es<br />
geht, als Sie den Anruf bek<strong>am</strong>en?<br />
Ich war d<strong>am</strong>als zwar gerade eine<br />
Woche im Urlaub gewesen, aber ich<br />
wusste davon. Ein Freund hatte mir<br />
von der Tat in Ilsede erzählt und<br />
gesagt: Mensch, wenn das in Hildesheim<br />
verhandelt wird, kann das<br />
ja auch auf dich zukommen. Und es<br />
ist auf mich zugekommen.<br />
Sie hätten auch ablehnen können.<br />
Ich habe mit der Übernahme des<br />
Mandats erst einmal gar kein Problem<br />
gehabt, weil ich davon ausgegangen<br />
bin, dass solch eine Tat<br />
eigentlich nur von jemandem mit<br />
extremen psychischen Beeinträchtigungen<br />
begangen worden sein<br />
kann.<br />
„Ich würde nie vorweg<br />
prinzipiell nein sagen.<br />
Dann wäre ich falsch<br />
in meinem Beruf.“<br />
Das heißt, in Ihren Augen war<br />
Andreas S. kein durch und durch<br />
böser Killer, sondern eher ein<br />
kranker Mann, der wegen seiner<br />
Krankheit etwas sehr Schlimmes<br />
getan hat?<br />
Ja.<br />
Hätten Sie sonst länger überlegt<br />
oder das Mandat abgelehnt?<br />
Das ist theoretisch sehr schwer zu<br />
beantworten. Ich kann Täter auch<br />
nicht so leicht kategorisieren in „die<br />
vertrete ich“ und „die vertrete ich<br />
nicht“. Ich kann mir aber durchaus<br />
vorstellen, dass mir Mandate angetragen<br />
werden, bei denen ich sage:<br />
Nein, das mache ich nicht. Ich würde<br />
zum Beispiel nach den Erfahrungen<br />
aus dem Verfahren gegen Moh<strong>am</strong>ad<br />
O. (Sonnenberg war im vergangenen<br />
Sommer Nebenklagevertreter in dem<br />
Mordprozess gegen O., der den Liebhaber<br />
seiner Frau erschossen hatte,<br />
Anmerk. d. Red.) kein Mandat für<br />
jemanden übernehmen, dessen Umfeld<br />
die Verteidigungsstrategie bestimmen<br />
will.<br />
Ihr aktueller Mandant Andreas<br />
S. hat gestanden, seine vier Kinder<br />
umgebracht zu haben –für<br />
viele Menschen ist das wohl das<br />
schlimmste Verbrechen, das man<br />
begehen kann.<br />
Es ist auch so ziemlich das<br />
schlimmste. Und wenn es jemand<br />
begangen hätte, der geistig völlig gesund<br />
wäre, wäre die Situation auch<br />
für mich als Anwalt eine andere. Aber<br />
auch dann würde ich nicht vorweg<br />
Anwalt Henning Sonnenberg im Gerichtssaal. Bei Aufsehen erregenden Prozessen wie dem gegen Sonnenbergs<br />
Mandanten Andreas S. steht auch der Hildesheimer Verteidiger im Blickpunkt. Foto: Fuhrhop<br />
prinzipiell „nein“ sagen. Dann wäre<br />
ich falsch in meinem Beruf.<br />
Was gibt es in einem Prozess wie<br />
dem aktuellen für Sie noch zu verteidigen?<br />
Alle Angeklagten haben in derartigen<br />
Verfahren sinnvollerweise das<br />
Recht auf einen Anwalt. Im aktuellen<br />
Verfahren war zwar nichts im klassischen<br />
Sinne zu verteidigen – wir<br />
haben ja nicht darüber gestritten, ob<br />
er es war oder nicht – es ging aber<br />
um die Frage: Welche Strafe ist die<br />
richtige? Und dabei ist es wichtig,<br />
dass der Angeklagte einen Verteidiger<br />
an seiner Seite hat.<br />
Merken Sie schnell, ob ein Mandant<br />
Sie anlügt oder ob Sie ihm<br />
glauben können?<br />
Wenn mir ein Mandant sagt: „Ich<br />
war das nicht“, dann werde ich ihm<br />
erst einmal glauben müssen. Das<br />
kann sich im Verlauf des Verfahrens<br />
aber auch ändern. Ich habe vor<br />
Jahren in einem Prozess um einen<br />
Prostituiertenmord aus dem Gifhorner<br />
Bereich jemanden vertreten,<br />
der Stein und Bein geschworen hat,<br />
dass er es nicht war. Das Gericht hat<br />
ihn schließlich wegen Mordes verurteilt.<br />
Ich war bis zum Schluss nicht<br />
davon überzeugt, dass er es gewesen<br />
ist, die Beweisführung war meiner<br />
Auffassung nach nicht überzeugend.<br />
Aber das Urteil hat gehalten, also<br />
muss ich es akzeptieren und es ist<br />
jetzt die offizielle Wahrheit. So<br />
etwas passiert auch.<br />
Sind Sie in der Vergangenheit<br />
oder während des aktuellen Verfahrens<br />
wegen Ihres Mandats beleidigt<br />
oder bedroht worden?<br />
Nein, noch nie ... niemals.<br />
Während des Prozesses um den<br />
vierfachen Kindermord von Ilsede<br />
hat es keine Zwischenrufe oder<br />
ähnliches gegeben, die Zuschauer<br />
waren sehr ruhig. Hatten Sie befürchtet,<br />
dass dies anders wird und<br />
Ihr Mandant angegangen und beschimpft<br />
wird?<br />
Wenn ich mir in Erinnerung rufe,<br />
wie nach der Tat die ersten Schlagzeilen<br />
in den Boulevardzeitungen<br />
lauteten, hätte ich mir das schon<br />
vorstellen können. Aber die Menschen<br />
in Ilsede, von denen auch an<br />
jedem Prozesstag mehrere im Gerichtssaal<br />
dabei waren, haben offensichtlich<br />
viel miteinander geredet.<br />
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greifen. Die Menschen dort machen<br />
sich Gedanken und wollen das Geschehene<br />
verstehen. Das finde ich<br />
erstaunlich – und erfreulich.<br />
In seinem Plädoyer hat Staatsanwalt<br />
Wolfgang Scholz <strong>am</strong> Mittwoch<br />
in bedrückender Genauigkeit<br />
die Morde an den vier Kindern beschrieben.<br />
Denken Sie in solchen<br />
Situationen oder bei Zeugenaussagen<br />
manchmal: Ich sitze auf der<br />
falschen Seite?<br />
Das ist eine gemeine Frage ... ja,<br />
so etwas kann einem passieren. Aber<br />
da ist Professionalität gefragt: Wenn<br />
ich für jemanden die Verteidigung<br />
übernommen habe, dann ist es meine<br />
Aufgabe, das beste Ergebnis für den<br />
Mandanten herauszuholen. Das muss<br />
ich trennen können – und ich denke,<br />
ich kann es auch – von den ganz persönlichen<br />
Empfindungen. Etwa der,<br />
dass ich die angeklagte Tat absolut<br />
grauenvoll finde. Wir vertreten die<br />
Leute, aber nicht als Freund und<br />
Kumpel. Wir machen uns nicht zu<br />
Dienern der Mandanten. Man kann<br />
auch nicht jeden Fall an sich persönlich<br />
heranlassen. Das würde man gar<br />
nicht aushalten.<br />
Die professionelle Sichtweise<br />
eines Strafverteidigers können viele<br />
Opfer und Angehörige sicher nur<br />
schwer nachvollziehen. Suchen Sie<br />
den Kontakt zu ihnen während eines<br />
Verfahrens oder versuchen Sie,<br />
ihn möglichst zu vermeiden?<br />
Das ist ganz unterschiedlich und<br />
hängt immer von der jeweiligen<br />
Situation ab. Ich habe einmal im<br />
Gerichtssaal jemanden gesehen,<br />
den ich gut kannte. Und es stellte<br />
sich heraus, dass sie eine nahe Angehörige<br />
des Opfers war. Das ist eine<br />
ziemlich komische Lage: Ich bin in<br />
dem Moment die Gegenseite, und<br />
ich bin vielleicht auch das Objekt<br />
von Ärger und Hass, das kann ich<br />
auch verstehen. In den Augen der<br />
Angehörigen bin ich dann häufig<br />
derjenige, der versucht, den Täter da<br />
irgendwie rauszuhauen. D<strong>am</strong>it muss<br />
ich leben.<br />
Spielt Moral als Kategorie eine<br />
Rolle für die Verteidigung oder geht<br />
es um eine ganz nüchtern-sachliche<br />
Betrachtung des Falls?<br />
Ich denke schon, dass man seine<br />
Verteidigungslinie auch unter moralischen<br />
Gesichtspunkten prüfen sollte,<br />
aber jeder bewertet das natürlich<br />
unterschiedlich. Ich habe zum Beispiel<br />
einmal einen bekannten Strafverteidiger<br />
erlebt, der es in einem<br />
Prozess ausgenutzt hat, dass ein<br />
Zeuge schlecht hören konnte. Er hat<br />
seine Fragen immer leiser formuliert,<br />
der Zeuge hat sie immer schlechter<br />
verstanden. Irgendwann stand er<br />
wie ein Schuljunge fast vor der Anklagebank,<br />
weil der Verteidiger nur<br />
noch flüsterte. Das fand ich eklig<br />
und höchst unmoralisch, weil der<br />
Verteidiger versucht hat, den Zeugen<br />
klein zu machen, madig zu machen,<br />
aus dem Tritt zu bringen. So etwas<br />
mag ich nicht. Genauso wenig mag<br />
ich, wenn Prozessbeteiligte ihre intellektuelle<br />
Überlegenheit gegenüber<br />
dem Angeklagten ausspielen.<br />
Das muss nicht sein. Es ist nicht<br />
fair, weil viele Angeklagte aus ganz<br />
anderen Lebenswelten kommen und<br />
überhaupt nicht verstehen, was sie<br />
da gefragt werden, weil viele Juristen<br />
ein so abgehobenes Deutsch<br />
sprechen.<br />
„Ich bin vielleicht auch<br />
das Objekt von Ärger<br />
und Hass. Das kann<br />
ich verstehen.“<br />
Wäre es für Sie ein juristischer<br />
Erfolg, wenn ein Mandant freigesprochen<br />
wird, obwohl Sie wissen,<br />
dass er schuldig ist?<br />
Puhh ... das geht jetzt ja in Richtung<br />
Moraltheologie ... schwierig.<br />
Also, das ist kein Problem, das ich<br />
ständig im Kopf habe, weil ich so<br />
etwas in einem schwerwiegenden<br />
Fall noch nie hatte. Wahrscheinlich<br />
würde es mir Sorgen bereiten, wenn<br />
es so käme. Generell kann ich sagen:<br />
Es ist nicht <strong>am</strong> Strafverteidiger, die<br />
Taten nachzuweisen, dafür gibt es<br />
das andere Lager.<br />
Wird man eigentlich während<br />
des Studiums auf die vielschichtige<br />
und auch psychisch belastende Situation,<br />
mit der man als Verteidiger<br />
eines Straftäters umzugehen hat,<br />
ausreichend vorbereitet?<br />
Ich muss mich jeder Kommentierung<br />
über die heutige Juristenausbildung<br />
enthalten, weil ich überhaupt<br />
nicht genau weiß, wie das abläuft.<br />
D<strong>am</strong>als war die ges<strong>am</strong>te Ausbildung<br />
darauf ausgerichtet, dass man entweder<br />
Richter wird oder in die Verwaltung<br />
geht. In Tests spielten Fälle<br />
aus der Praxis selten eine Rolle. Das<br />
hatte nicht viel mit realistischem<br />
Gerichtsalltag zu tun und hat nur<br />
begrenzt geholfen.<br />
Sie mussten sich jetzt auch die<br />
schrecklichen Tatortbilder ansehen,<br />
die Unmengen Blut und die grausig<br />
zugerichteten Kinder von Andreas<br />
S. zeigen. Wie gehen Sie d<strong>am</strong>it<br />
um?<br />
Ich glaube, man muss ein gewisses<br />
Alter erreicht haben, um so etwas<br />
auszuhalten. Und man muss darüber<br />
reden, mir hilft das. Ich muss meine<br />
eigenen, vielfältigen Eindrücke loswerden.<br />
Das hilft auch, den richtigen<br />
Weg für die Verteidigung zu finden.<br />
Und die Antwort auf die Frage: Wie<br />
macht man es richtig, was macht<br />
man mit so einem Menschen?<br />
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