Alnatura Magazin - Dezember 2017
Alnatura: Ihr kostenloses, monatliches Kundenmagazin der Alnatura Super Natur Märkte.
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KOLUMNE<br />
Darf ’s ein bisschen weniger sein?<br />
Seit dem Sommer lassen mich die Gedanken zu<br />
einem bestimmten Thema nicht mehr los: Auf<br />
dem Campingplatz schnappte ich auf, wie eine Frau<br />
zu ihrem Mann sinngemäß sagte, dass man allein schon<br />
deshalb keine Flüchtlinge mehr reinlassen dürfe, weil dies<br />
zur Konsequenz hätte, dass man hier in Deutschland den<br />
Lebensstandard herunterschrauben müsse. Und das ginge<br />
ja mal gar nicht!<br />
Wenn man sich in der Welt mal umschaut, müssten wir<br />
eigentlich jeden Morgen mit einem tiefen Gefühl der Dankbarkeit<br />
für unsere privilegierte Situation aufwachen. Und ich<br />
spreche da noch nicht einmal von dem Vergleich zu Staaten,<br />
deren Bevölkerung in richtiger Armut lebt: Auch in Relation zu<br />
anderen europäischen oder »westlichen« Ländern geht es<br />
uns nämlich in Deutschland ziemlich gut: Wir haben niedrige<br />
Lebens haltungskosten, ein verhältnismäßig gutes Gesund heits -<br />
system, eine freie Presse und viele andere Vorteile, die wir als<br />
selbst ver ständlich wahrnehmen. Die meisten von uns können ihr<br />
Leben frei gestalten und sich regelmäßig kleine Träume erfüllen.<br />
Dass wir von diesem Standard zugunsten der Gemeinschaft<br />
lieber nichts abgeben wollen, ist für mich ein befremdlicher<br />
Gedanke. Denn schließlich möchten wir weiterhin Dinge behalten<br />
und erneuern, die gar nicht aus Deutschland kommen,<br />
sondern oft billig in anderen Ländern hergestellt werden. Profitieren<br />
wollen wir wohl von der Globalisierung. Aber die<br />
Schattenseiten sollen uns möglichst nicht die Sonne verdecken.<br />
Schauen wir uns beispielhaft die immer knapper werdenden<br />
landwirtschaftlichen Nutzflächen unseres Planeten an:<br />
Es stehen jedem Menschen auf der Erde rein rechnerisch 2 000<br />
Quadratmeter Anbaufläche zur Verfügung. Der durchschnittliche<br />
Europäer benötigt mit seinem derzeitigen Essverhalten<br />
aber ein Äquivalent von 2 700 Quadratmetern.<br />
Und auch außerhalb unserer Ernährungsgewohnheiten<br />
leben wir über die Verhältnisse hinaus. Dass wir uns das finanziell<br />
leisten können, bedeutet nicht, dass es auch in Ordnung<br />
ist. Unser eigenes Bankkonto mag am Ende des Monats ausgeglichen<br />
sein. Das Konto der Erde müsste aber ins Minus gehen.<br />
Da dies nicht möglich ist und die Ressourcen begrenzt sind,<br />
zahlt jemand anders den fehlenden Teil unserer Rechnung<br />
durch geringere Löhne, weniger Essen oder eben nur alle paar<br />
Jahre ein neues Paar Schuhe. Die günstigen Preise der Güter<br />
sagen nichts mehr über ihren wahren Wert aus.<br />
Wenn wir mit steigender Weltbevölkerung in Frieden leben<br />
wollen, werden wir uns an den Gedanken gewöhnen müssen,<br />
weniger zu konsumieren, weniger zu besitzen und mehr zu<br />
teilen. Wachstum ist begrenzt und Ressourcen müssen sinnvoller<br />
genutzt werden.<br />
Wir können schon<br />
viel durch den Einkauf bei<br />
den richtigen Quellen erreichen:<br />
Bio-Lebensmittel, nachhaltige Kleidung<br />
et cetera – dies ist möglich, ohne dass man dafür einen<br />
großen Umweg machen müsste. Den Durchbruch aber<br />
wird es erst geben, wenn wir verstehen, dass es auf Dauer<br />
nur mit »weniger für alle« funktioniert.<br />
Wie schlimm sind denn die kleinen Löcher in den<br />
Socken oder Flecken auf einem Unterhemd wirklich?<br />
Muss es alle zwei Jahre ein neues Handy sein? Wenn wir<br />
die Anschaffung von neuen Dingen nur ein wenig<br />
hinauszögern, erreichen wir schon viel.<br />
Gesellschaftlich bedarf es einer Veränderung der Wahrnehmung,<br />
die bei uns selbst anfängt. Das könnte dann<br />
so klingen: »Oje, musstest du schon wieder shoppen?<br />
Ja, ich verstehe, dass es dir so schlecht geht, das ist auch<br />
wirklich schlimm! Und bei den neuen Klamotten sieht<br />
man es auch sofort, du Armer!« Oder: »Wow, schau mal,<br />
die Frau da drüben! Die Jacke muss doch schon locker<br />
fünfzehn Jahre alt sein. Ich bin ganz neidisch, dass sie es<br />
schafft, sie so lange zu nutzen …«<br />
Klingt surreal, nicht wahr? Aber man wird ja wohl<br />
noch träumen dürfen.<br />
››› Julian Stock, 35, ist Sortiments manager bei <strong>Alnatura</strong>.<br />
Er befasst sich mit den Entwick lungen und Trends bei den<br />
Ernährungsgewohnheiten und<br />
setzt sich für eine nach haltige<br />
Le bensweise ein. Seine Artikel<br />
finden Sie auch online unter<br />
alnatura.de/kolumne<br />
Schreiben Sie ihm, wenn Sie<br />
möch ten:<br />
julian.stock@alnatura.de