Alnatura Magazin - Dezember 2017
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NACHHALTIG LEBEN<br />
»Das Wunder von Mals«<br />
Pestizide gehören zur Landwirtschaft dazu. Oder?<br />
Die kleine Gemeinde Mals in Südtirol wehrt sich und will als erste in Europa<br />
den Einsatz von Glyphosat und Co. verbieten lassen.<br />
Zwischen den beiden höchsten Gebirgszügen der<br />
Zentralalpen öffnet sich im Oberen Vinschgau ein<br />
erstaunlich breiter Talkessel. An einem sonnigen Berghang<br />
liegt dort das kleine Dörfchen Mals, Hauptort der gleichnamigen<br />
Gemeinde, zu der rund ein Dutzend weitere Dörfer<br />
gehören und die zu den größten Gemeinden Südtirols zählt.<br />
Hier, auf mehr als tausend Meter Seehöhe, hat sich eine vielfältige<br />
Landschaft und Landwirtschaft erhalten. Verschiedenste<br />
Traditionen werden gepflegt, von einer erstaunlichen Fülle<br />
an unterschiedlichen Charakteren. Doch diese werden bedroht.<br />
So weit das Auge reicht, sieht man in den großen Haupttälern<br />
Südtirols Betonpfeiler an Betonpfeiler. Diese stützen<br />
Millionen deformierter Apfelbäumchen, abgedeckt durch graue<br />
Hagelnetze. Erst wenn man die Berghänge emporsteigt, erkennt<br />
man das volle Ausmaß der Zerstörung von Südtirols Landschaft<br />
und Natur. Und das Schlimmste: Mehrmals pro Woche<br />
fahren Traktoren durch die Fahrgassen und behandeln die<br />
Apfel bäumchen mit meterhohen Pestizidwolken. Rund 50 Kilo<br />
Pestizide pro Hektar werden in Südtirol eingesetzt. Der<br />
Italien-Durchschnitt liegt bei sechs Kilogramm.<br />
Der Wind weht diese Chemie-Nebel auf alle angrenzenden<br />
Flächen. Ein giftiger Niederschlag entsteht, der Bio-Anbau unmöglich<br />
macht. Dieser Niederschlag trifft aber auch Privat gärten<br />
und Spielplätze, die fast alle an riesige Apfelanlagen grenzen.<br />
Auch Radwege und Hotelterrassen bleiben nicht verschont. Ja,<br />
sogar auf den schneebedeckten Gletschern des Ortler konnte<br />
der Giftcocktail nachgewiesen werden.<br />
Von alledem unbeeindruckt, ignoriert eine mächtige und<br />
gut organisierte Bauernlobby die zahlreichen Beschwerden von<br />
Einhei mischen und Gästen. Zwar ist allgemein bekannt, dass<br />
die industrielle Landwirtschaft längst zur größten Ursache der<br />
weltweiten Umweltzerstörung geworden ist – angefangen<br />
vom Klimawandel über Bodenzerstörung und den Verbrauch<br />
von Wasser bis hin zum Artensterben. Dennoch verwüstet sie<br />
weiterhin Südtirols Täler. Der Schmetterlingsforscher Prof. Tarmann<br />
spricht von einem »komplett kontaminierten Gebiet«.<br />
Dem weltweiten Konsens zum Trotz, dass nämlich die Zukunft<br />
der »regionalen, biologischen Landwirtschaft nach<br />
agrarökologischen Prinzipien« gehört, will Südtirols Obstlobby<br />
ihr veraltetes Landwirtschaftsmodell nun auch nach Mals exportieren.<br />
(Möglich gemacht wird der intensive Apfelanbau in<br />
diesen hohen Lagen durch die globale Erwärmung.)<br />
Doch eine Handvoll mutiger Malser wehrt sich und organisiert<br />
eine Volksabstimmung gegen die Zerstörung ihres<br />
Lebensraumes. 76 Prozent der Bevölkerung stimmen im September<br />
2014 für ein Pestizidverbot auf dem Gemeindegebiet<br />
und damit gegen die Industrialisierung der Landwirtschaft.<br />
Südtirols Bauernfunktionäre scheren sich jedoch einen<br />
Dreck darum. Sowohl die Volksabstimmung als auch das Pestizidverbot<br />
werden mit prall gefüllter Kriegskasse vor Gericht<br />
bekämpft. Und vor Gericht bekommt, wie wir wissen, selten<br />
der recht, der im Recht ist. Aber die Malser geben nicht auf.<br />
Sie tragen ihren Protest in die Welt hinaus. Die Folge: eine<br />
erstaunliche Welle der Solidarität, die bis heute dafür sorgt,<br />
dass Mals nicht in einem Meer von Betonpfeilern versinkt.<br />
Und der Kampf geht weiter. Aktueller Höhepunkt: Gegen<br />
mich, den Autor des Buches »Das Wunder von Mals«, sowie<br />
gegen meinen Verlag und auch gegen das Münchner Umweltinstitut<br />
wurde Klage eingereicht. Von Südtirols Obstbauernbund,<br />
Südtirols Landwirtschaftsminister und Südtirols Obstgenossenschaften.<br />
Doch ein loderndes Feuer kann man nicht ausblasen.<br />
Wer hineinbläst, entfacht es zusätzlich. Mit der zunehmenden<br />
Aggression der Pestizidlobby wächst auch der Widerstand<br />
gegen deren Zerstörungswut. Mals wird zum Zeichen der<br />
Hoffnung, zum Symbol des regionalen Aufbruchs. Die halbe<br />
Welt steht mittlerweile hinter dem kleinen Dorf im Vinschgau.<br />
Und von diesem Wunder erzähle ich in meinem Buch »Das<br />
Wunder von Mals«.<br />
››› Gastbeitrag Alexander Schiebel<br />
Lese-Tipp: »Das Wunder<br />
von Mals« von Alexander<br />
Schiebel ist eine Inspirationsquelle<br />
für Aufständische in<br />
aller Welt – und ein lebendiges<br />
Porträt des kleinen Dorfes<br />
Mals, das sein Schicksal selbst<br />
in die Hand nimmt.<br />
oekom Verlag, München <strong>2017</strong>,<br />
ISBN 978-3-96006-014-7,<br />
19,– Euro<br />
36 <strong>Alnatura</strong> <strong>Magazin</strong> 12.<strong>2017</strong>