E_1929_Zeitung_Nr.072
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ICTn 79 _ 1090 AUTOMOBIL-REVUE 11<br />
Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Automobilisten<br />
und<br />
ihre Grenzen.<br />
KüTzlich haben sich die Schaffhauser mit dem Vorderteil des Personenwagens<br />
Gerichte mit einem Straftatbestand zu befassen<br />
gehabt, der insbesondere in Auto-<br />
verletzt.<br />
zusammen, wurde umgeworfen und schwer<br />
mobilistenkreisen allgemeinem Interesse Der Brauerei-Chauffeur wurde in der<br />
begegnen dürfte. Der Fall ist auch insofern<br />
bemerkenswert, als der angeklagte Hinblick auf Art. 43 des Konkordates bzw.<br />
Folge polizeilich mit Fr. 10.— gebüsst im<br />
Automobilist auf Grund des durchaus deshalb, weil er sein ausser Gebrauch gesetztes<br />
Motorfahrzeug nicht so am Rande<br />
gleichen Aktenmaterials von der ersten Instanz<br />
einstimmig der fahrlässigen Körperverletzung<br />
schuldig erklärt und von derfreien Verkehr nicht hinderte.<br />
der Strasse aufgestellt hatte, dass es den<br />
.Ausserdem<br />
zweiten Instanz (jeweils ein fünfgliedriges<br />
Richterkollegium) mit gleicher Einmut<br />
freigesprochen worden ist.<br />
Der Sachverhalt, welcher zu beurteilen<br />
war, ist folgender:<br />
Der Chauffeur einer Bierbrauerei hatte,<br />
wie üblich Bier und Eis in das Restaurant<br />
zum «Gemeindehaus» in Beringen (Kanton<br />
Schaffhausen) zu führen. Die fragliche<br />
der fahrlässigen Körperverletzung schuldig<br />
Liegenschaft ist ein Eckhaus mit der<br />
erklärt und ihn zu einer Geldbusse und zur<br />
Hauptfront gegen die stark befahrene<br />
Uebernahme der beträchtlichen Untersuchungs-<br />
und Gerichtskosten verurteilt.<br />
•Hauptstrasse, mit einer Schmalseite gegen<br />
die sogenannte Herrengasse. Das Terrain<br />
vor dem Wirtshaus gegen die Hauptstrasse<br />
fällt leicht ab und wird erst wieder eben<br />
gegen die Herrengasse zu. Vor dem Abladen<br />
des Eises, das im einachsigen Anhängewagen<br />
mitgeführt war, stellte der<br />
Angeklagte das Bierauto in der Weise vor<br />
dem Restaurant zum Gemeindehaus auf,<br />
dass es 4,24 m in die Herrengasse hineinragte.<br />
Hiezu war der Chauffeur genötigt,<br />
wenn er den Anhängewagen im Hinblick<br />
auf die leicht abfallende Strasse horizontal<br />
stellen und vermeiden wollte, dass das<br />
Stangeneis durch die offene Hintertüre des<br />
Anhängers hinausrutschte. Nach vollendeter<br />
Arbeit begab sich der Chauffeur in die<br />
Wirtschaft, um mit den Wirtsleuten abzurechnen.<br />
Während dieser Zeit kam eine<br />
Velofahrerin die Herrengasse herunter.<br />
Nach ihren eigenen Angaben erkannte sie<br />
sofort die Gefährlichkeit der Situation,<br />
was sie veranlasste, ihr Tempo auf ein<br />
Minimum zu reduzieren. Sie kreuzte das<br />
Bierauto etwa 1 m vor dessen Kühler und<br />
Hess den ihr rechter Hand zur Verfügung<br />
stehenden freien Raum der Herrengasse<br />
von weitern ca. 3 m unbenutzt. Im gleichen<br />
Augenblick fuhr ein Personenauto,<br />
dessen Signale sie gehört hatte, auf der<br />
Hauptstrasse links am Lastwagen der<br />
Brauerei vorbei. Die Velofahrerin stiess<br />
Zwar gab das Gericht zu, dass für die<br />
Velofahrerin trotz des Hineinragens des<br />
Bierautos in die Herrengasse immer noch<br />
ein freier Raum von mindestens 4 m zur<br />
Verfügung stund und dass u. a. «ein mit<br />
2 Kühen bespanntes Fuhrwerk ohne weiteres<br />
vor dem Auto hätte durchkommen<br />
können.» Dennoch habe der Angeklagte<br />
mit der verkehrswidrigen Placierung des<br />
Lastwagens die Uebersichtlichkeit der<br />
Strassenkreuzung stark behindert und damit<br />
mindestens die Hauptursache für die<br />
spätere Kollision der Velofahrerin mit dem<br />
Personenautomobil geschaffen. Von einem<br />
wesentlichen Mitverschulden der Letztern<br />
erhob die Staatsanwaltschaft gegen ihn<br />
Anklage wegen fahrlässiger Körperverletzung<br />
unter Berufung darauf, die Kol-fahrerin sei langsam gefahren. Allerdings<br />
könne nicht gesprochen werden. Die Velolision<br />
der Velofahrerin mit dem Personenautomobil<br />
sei vom Brauerei-Chauffeur fuhrwerkes vorbeifahren, sondern rechts<br />
hätte sie nicht hart am Kühler des Bier-<br />
durch das konkordatswidrige Placieren .ausbiegen sollen. Doch könne in diesem<br />
des Lastautos verursacht und verschuldet ihrem Verhalten ein wesentliches Ver-<br />
worden.<br />
Das Kantonsgericht hat den Angeklagten<br />
schulden nicht erblickt werden, noch viel<br />
weniger aber war ihr — wie die Verteidigung<br />
des Angeklagten geltend machte —<br />
zuzumuten, angesichts der erkannten Gefährlichkeit<br />
der Situation vem Rade abzusteigen,<br />
i<br />
Der Automobil-Club von Varese auf Besuch bei der Sektion Zürich dea A. G. S. Die Cfubkdflegen von<br />
«hüben und drüben> vereinigten sich auf der prächtigen Kursaalterrasse Zürich zu einem Aperitif. In<br />
der vordersten Reihe sitzend von links nach rechts: Sig. Bianchi, ital. Konsul von Zürich; Herr Kantonsrat<br />
Gassmann, die ihm überreichte Plaquette haltend; Sig. Grandi, Präsident des Vareser A. C<br />
-:-, (Photo N. Aluf, Zürich.)<br />
Das Obergericht hat den Entscheid der j<br />
ersten Instanz — wie bereits erwähnt —><br />
einstimmig aufgehoben und den Angeklagten<br />
von Schuld und Strafe freigesprochen<br />
unter Ueberbindung sämtlicher Kosten an<br />
den Fiskus. Die Berufungsinstanz stellte<br />
zunächst mit Entschiedenheit fest, dass die<br />
Verletzung irgend welcher Konkordatsbestimmungen<br />
den Richter keineswegs berechtigt,<br />
den betreffenden Automobilisten<br />
auch strafrechtlich kurzerhand für alle<br />
diejenigen Ereignisse verantwortlich zu<br />
machen, die sich im Anschluss an die Konkordatsübertretung<br />
einstellen. Während<br />
die Polizeiübertretung strafbar mache ohne<br />
Rücksicht auf das Verschulden und die<br />
sonstigen Verhältnisse des Falles, hänge<br />
die strafrechtliche Verantwortung in allen<br />
Fällen davon ab, ob auf Seiten des Aage-,<br />
klagten Fahrlässigkeit vorlag und insbesondere,<br />
ob das Schadenereignis in ursächlichem<br />
. Zusammenhang stehe mit seinem<br />
Verhalten; Richtig sei zwar, dass an sich<br />
durch das vorschriftswidrige Hinstellen<br />
des Lastautos die Gefährlichkeit der Situation<br />
erhöht wurde, speziell mit Rücksicht<br />
auf die dortige Strassenkreuzung. Dagegen<br />
gehe es nicht an, lediglich vom Automobilisten<br />
alle nur wünschbare Sorgfalt bei<br />
Benutzung der Strasse zu verlangen, viel-,<br />
mehr würden die nämlichen Sorgfalts-.<br />
pflichten auch für alle diejenigen Personen<br />
gelten, die sich ohne Automobil auf;<br />
der Strasse aufhalten. Von diesem Gesichtspunkte<br />
aus ergebe sich sofort, dass die<br />
Velofahrerin — wenn nicht ausschliesslich,<br />
so doch jedenfalls zur grossen Hauptsache<br />
— ihre Kollision mit dem Personenautomobil<br />
allein verursacht und verschuldet<br />
habe. Nach ihren eigenen Zugeständnissen<br />
sei sie sich der Gefährlichkeit der Situation<br />
sofort bewusst gewesen. Sie war ferner<br />
durch das Signal des daherfahrenden Personenautomobils<br />
gewarnt. Wenn sie trotzdem<br />
hart am Kühler des Bierautos vorbeifuhr,<br />
statt sich pflichtgemäss ganz auf<br />
der rechten Seite der Strasse zu halten,<br />
so habe sie damit die elementarsten Verkehrsvorschriften<br />
in grober Weise verletzt.<br />
Dies um so mehr, als sie von einer Nebenstrasse<br />
in eine Hauptstrasse einfuhr, von<br />
der sie als Ortskundige wissen musste, dass<br />
sie sehr stark befahren und begangen war.<br />
Noch weit richtiger wäre es gewesen, wenn,<br />
die Velofahrerin angesichts der gefährlichen<br />
Situation überhaupt vom Rade gestiegen<br />
wäre, statt sich die Passage trotz<br />
der vorhandenen Versperrung kurzerhand<br />
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