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Berliner Zeitung 28.11.2018

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22 * <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 278 · M ittwoch, 2 8. November 2018<br />

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Feuilleton<br />

Ein Ort<br />

der<br />

Freiheit<br />

Das Gefangenentheater<br />

Aufbruch spielt „Hamlet“<br />

Jeder<br />

trägt sein<br />

Kreuzchen<br />

Die Potsdamer Winteroper<br />

zeigt Händels „Theodora“<br />

VonJanis El-Bira<br />

Selbst Schloss Kronborg dürfte<br />

kaum besser bewacht gewesen<br />

sein. Im Herzen des grimmigen <strong>Berliner</strong><br />

Gefängnisviertels entlang des<br />

Friedrich-Olbricht-Damms wartet<br />

man zunächst lange voreiner meterhohen<br />

Stahlpforte, bis diese sich irgendwann<br />

wie von Geisterhand einen<br />

Spalt weit öffnet, um Einlass in<br />

die Jugendstrafanstalt zu gewähren.<br />

Im ersten Hofwerden sämtliche mitgeführten<br />

Gegenstände unter freiem<br />

Himmel an kotzgrüne Schließfächer<br />

überantwortet, Personal- gegen Besucherausweise<br />

getauscht. Funktionsräume<br />

der vollständigen Kontrolle<br />

sind das, wie sie das Theater<br />

zurzeit gern imRahmen immersiver<br />

Erfahrungswelten verkauft. Aber das<br />

hier ist kein Spiel. Gespielt wird erst<br />

hinter zwei weiteren Türen. Dort, im<br />

Veranstaltungsraum der JVA, ist es<br />

warm und gutgläubig wie in einer<br />

Schulaula. Nur ein Banner mit der<br />

fies-freundlichen Losung „Jugend<br />

braucht Zukunft –wir feilen daran“<br />

erinnertandie vergitterten Fenster.<br />

So viel Talent<br />

Gefeilt wird andiesem Abend mithilfe<br />

vonShakespeares „Hamlet“, jenem<br />

Stück also, das auf vielfältige<br />

Weisen Gefangenschaft thematisiert<br />

– vor allem solche, die nicht von<br />

Stein und Ketten, sondernvom eigenen<br />

Kopf ausgeht. Kondensierte 70<br />

Minuten lang spielen junge Männer<br />

im Alter von 17bis 27 Jahren, deren<br />

Namen im Programmheft zumeist<br />

nicht ihre echten sind, auf zwei beweglichen<br />

Treppen. Es ist der erste<br />

Shakespeare inder zwanzigjährigen<br />

Geschichte des <strong>Berliner</strong> Gefangenentheaters<br />

Aufbruch und so viel Talent<br />

ist dabei zu erleben, dass man<br />

meint, einige dieser Jungs gehörten<br />

eigentlich unbedingt auf die Nachwuchsspielstätten<br />

des Gorki-Theaters<br />

oder der Volksbühne.<br />

Ein sagenhaft viriler Laertes verkörpert<br />

muckibuden-gestählte Bruderehre,<br />

König Claudius ist ein Hinterzimmer-Pate<br />

mit Halskrause und<br />

Rauschebart und ein gewichtiger<br />

Kollege zwängt seinen Körper mit erkennbarem<br />

Spaß in Königin Gertrudes<br />

üppigen Reifrock. Zwischen ihnen<br />

und der porzellanenen Ophelia<br />

irrtund zaudertHamlet, die Last der<br />

übergroßen Rolle gleich auf mehrere<br />

Spielerschultern verteilt. Mühelos<br />

füllen diese Stimmen den Raum.<br />

Die inüber sieben Wochen Probenzeit<br />

erarbeiteten Texte kommen<br />

ohne jeden Fehltritt. Ein bisschen<br />

wünscht man sich, der Regisseur Peter<br />

Atanassowhätte etwas mehr Freiheiten<br />

zugelassen und einige panzerharte<br />

Müller- und Koltès-Einsprengsel<br />

zugunsten eigener Gedanken<br />

der Häftlinge eingedampft. Aber<br />

vielleicht ist das Selbstverständnis<br />

seines Ensembles an diesem Abend<br />

ja auch schlicht das einer Schauspielertruppe<br />

–nicht das performender<br />

Insassen. So oder so: Diese Gefängnisbühne<br />

ist ein Ortder Freiheit, der<br />

seine Zuschauer nur widerwillig<br />

durch verriegelte Türen nach draußen,<br />

in die Kälte,entlässt.<br />

Hamlet 28., 30.11.; 3., 5., 7.12., um 17.30Uhr,<br />

JSA Berlin (Kultursaal), Friedrich-Olbricht-Damm<br />

40/III, Karten:gefaengnistheater.de<br />

„Hamlet“ −der erste Shakespeare in<br />

20 Jahren Aufbruch-Theater THOMAS AURIN<br />

Hans Ticha, Berlin (Ost) 1981: „Redner“. Symbolik für die unechte deutsch-sowjetische Freundschaft. GAL.LÄKEMÄKER/H. TICHA/VG BILDKUNST BONN/ U. FISCHER<br />

Maikäfer flieg<br />

In Frankfurt (Oder) ist deutsche Malerei zwischen Agit Pop und kapitalistischem Realismus zu sehen<br />

VonIngeborg Ruthe<br />

Außen backsteinerne Neo-<br />

Gotik, innen Pop-Moderne:<br />

Unterm Gewölbe<br />

kommt farbknallend zusammen,<br />

was −erstaunlicherweise −<br />

zusammengehört, mit Blick auf die<br />

gesellschaftlichen und politischen<br />

Verhältnisse im geteilten Deutschland,<br />

damals,imKalten Krieg.<br />

In der weitläufigen Rathaushalle<br />

von Frankfurt (Oder), Ausstellungsort<br />

des Brandenburgischen Landesmuseums<br />

für moderne Kunst, wird<br />

ein hartnäckiges Vorurteil ad absurdum<br />

geführt: Eine spezielle Kunstrichtung<br />

im Osten wie im Westen –<br />

die PopArt deutscher Prägung in den<br />

Jahren 1960 bis 1985 –bestätigt so<br />

gar nicht die zäh behaupteten Unterschiede<br />

etwa vonder freien Kunst im<br />

Westen und der doktrinären, angepassten<br />

in der DDR.<br />

Was bitte wäre sozialistisch-realistisch<br />

an Hans Tichas plakativ-böser<br />

Kritik an den heuchlerischen Reden<br />

von der verordneten deutschsowjetischen<br />

Freundschaft? Was<br />

wäre linientreu an Willy Wolfs „Erbsenstillleben“<br />

im kleinen Erbsenzählerland<br />

von Kap Arkona bis Fichtelberg?<br />

Und was ideologisch angepasst<br />

anWasja Götzes feinironischen<br />

Bildern von der Liebe im Dreischichtsystem<br />

der volkseigenen<br />

Kombinate, von den roten Vögeln,<br />

die der ummauerten Landschaft<br />

entfliehen? Warummusste Ticha damals<br />

in Ost-Berlin seine „Großen<br />

Klatscher“, diese beißende Satireauf<br />

die Jubel-Parteitage der Einheitspartei,<br />

vorder Stasi verstecken?<br />

Solche Bilder sah das Publikum<br />

nie auf zentralen Ausstellungen der<br />

DDR. Diemussten ihreMaler bei diversen<br />

Besuchen der Kunstaufpasser<br />

eher „mit der Butterseite“ zur Wand<br />

stellen, wie Ticha es schildert. Sonst<br />

hätte es Ärger gegeben, auch übel<br />

ausgehen können, existenziell sogar.<br />

Doch die damaligen bezirklichen<br />

Kunstsammlungen Cottbus und<br />

Frankfurt (Oder) unterliefen die Inquisition<br />

und deren mutige Direktionen<br />

sammelten diese Bilder. Samt<br />

etlicher Leihgaben aus anderen Museen<br />

und Privatsammlungen befinden<br />

sich nun viele der Motiveindieser<br />

Ausstellung im intensiven Dialog<br />

mit den gesellschaftskritischen Bildern<br />

der Gruppe „Kapitalistischer<br />

Realismus“ in der BRD. Der Begriff<br />

wurde 1963 an der Kunstakademie<br />

Düsseldorf von den aus dem Osten<br />

geflohenen jungen Malern Gerhard<br />

„…der Vater ist im Krieg“ –gemalt von Bettina von Arnim 1974 in West-Berlin zur<br />

Hochrüstung zwischen den politischen Systemen. BETTINA VON ARNIM/PPC FRANKFURT A.MAIN/W.GÜNZEL<br />

„Rote Vögel entfliegen“ malte Wasja Götze in Halle 1970<br />

REAL POP 1960-1985 AUF BEIDEN SEITEN DER MAUER<br />

Deutsche PopArt: Knallige<br />

Farben, Plakatives, Sarkasmus<br />

kennzeichnen die Bilder<br />

der „Pop-Artisten“ aus dem<br />

deutschenOsten wie Westen<br />

der 1960er- bis80er- Jahre.<br />

Die Künstler: Aufbeiden<br />

Seiten der Mauer übten sie<br />

Gesellschaftskritik zu Politik<br />

und Alltag.Inder DDR hatte<br />

diese Haltung oft auch existenzielle<br />

Folgen.<br />

BLMK/WASJA GÖTZE<br />

Die Ausstellung: Das Landesmuseum<br />

zeigt in der Rathaushalle<br />

Frankfurt(Oder)<br />

„Real Pop1960–1985“,<br />

bis 17. Februar,Marktplatz1,<br />

Di–So 11–17 Uhr.<br />

Richter,Sigmar Polke,Manfred Kuttner<br />

und dem Rheinländer Konrad<br />

Lueg eingeführt. Die„bessereGesellschaft“,<br />

allen voran die Anbeter der<br />

abstrakten Kunst fanden die figürlich<br />

und gegenständlich malenden<br />

Kunstverstörer infernalisch, das gehöreverboten.<br />

Luegs „Geschirrtuch“<br />

symbolisierte die Kleinkariertheit<br />

der Wohlstandsgesellschaft. Polkes<br />

Grafik „HöhereWesen befehlen“ lästert<br />

über die Abhängigkeit von<br />

Trends und Markt. Und Richters fotomalerisch<br />

verhuschte „Sekretärin“<br />

zielt scharf auf das patriarchalische<br />

Prinzip,dass damals in der BRD verheiratete<br />

Frauen nur mit Erlaubnis<br />

der Ehemänner arbeiten durften.<br />

Die „Kapitalistischen Realisten“<br />

provozierten mit Selbsthilfe-Ausstellungen<br />

und Aktionen als ironischer<br />

Konter zum Sozialistischen Realismus,aber<br />

auch als politisch aufgeladene<br />

Kritik an dem vonder Konsumwelle<br />

und dem Freizeitwahn geprägten<br />

„realen“ Kapitalismus der 1960er<br />

Jahre, dem aufkommenden Revanchismus<br />

und Konservatismus, der<br />

Aufrüstung, dem oft verlogenen Umgang<br />

mit der NS-Geschichte.<br />

In der Frankfurter Rathaushalle<br />

hängen die 150 Bilder von 30Künstlern<br />

ohne ideologische Abgrenzung<br />

nebeneinander. Geistverwandte:<br />

Konrad Klapphecks surreal-poppige<br />

„Diva“ nahe Dieter Tucholkes grafischen<br />

„Negativbildern zur Preußischen<br />

Geschichte“. Die ostdeutschen<br />

Collagisten Ingo Kirchner und<br />

Wolfgang Petrovsky treffen auf die<br />

„Bürgerschreck“-Montagen des aus<br />

Bitterfeld nach Heidelberg emigrierten<br />

Klaus Staeck. Wolf Vostells „B52<br />

betoniert“ vereint sich west-östlich<br />

mit Willy Wolfs „Warnung (Autoreifen)“.<br />

Und Ruth Wolf-Rehfeldts<br />

abstrakte Liniengebilde und die Entgrenzung<br />

einfordernden Mail-Art-<br />

Blätter ihres früh gestorbenen Mannes<br />

RobertRehfeldt stören –sozusagen<br />

als Rufe hinter der Mauer –den<br />

bundesdeutschen Wirtschaftswunder-Wohlstand,<br />

kitschig spöttisch<br />

aufgemalt von der Hamburgerin Almut<br />

Heise.<br />

Nicht zuletzt schließt sich Bettina<br />

von Arnims Bild „…der Vater ist im<br />

Krieg“ wortlos kurzmit dem Bild des<br />

jung verstorbenen Dissidenten Jürgen<br />

Jentsch aus Frankfurt(Oder) und<br />

dessen ebenso resignativem, zugleich<br />

ätzend kritischem „Rotlackiertem<br />

Mäusestaat“. Die Pop-Satirewar<br />

gemünzt auf die DDR –jeder<br />

Arbeitsplatz, jedes private Örtchen<br />

ein Kampfplatz für den Weltfrieden.<br />

VonClemens Haustein<br />

Ein letztes Malnoch spielt die Potsdamer<br />

Winteroper im Ausweichquartier,<br />

in der Friedenskirche am<br />

Rande des Schlossparks von Sanssouci.<br />

Im nächsten November soll sie<br />

wieder zurückkehren an den alten<br />

Ort, das dann hoffentlich fertig renovierte<br />

Schlosstheater im Neuen Palais<br />

am gegenüberliegenden Ende des<br />

Parks. Mozarts „La clemenza di Tito“<br />

soll dann aufgeführt werden, geleitet<br />

vonAlte-Musik-Urgestein Trevor Pinnock.<br />

Noch steht ein klein gedrucktes<br />

„Änderungen vorbehalten!“ unter der<br />

Ankündigung. Aber das bezieht sich<br />

bestimmt nur auf das Programm.<br />

Potsdam ist ja nicht Berlin.<br />

Dieses Jahr also noch einmal,<br />

dem Spielort angemessen, ein geistliches<br />

Stück: Georg Friedrich Händels<br />

Oratorium „Theodora“, ein<br />

Werk,das selten gespielt wird, in Berlin<br />

aber vor zwei Jahren vom Rias-<br />

Kammerchor schon einmal aufgeführt<br />

wurde. Schon Händels Zeitgenossen<br />

stießen sich an der demonstrativ<br />

vorgeführten Opferlust der<br />

beiden Hauptfiguren, der Christin<br />

Theodora und dem von ihr bekehrten<br />

römischen Offizier Didymus.<br />

Beide müssen schließlich sterben,<br />

verurteilt durch den römischen<br />

Statthalter Valens, der sie erfolglos<br />

zur Anbetung seiner römischen Götter<br />

zwingen wollte. Und sie wollen<br />

auch sterben im Wissen, dass „Drüben“<br />

das viel bessere Leben wartet.<br />

Eine Sichtweise, die zu Händels Zeit<br />

offenbar schon unpopulär war −das<br />

Stück wurde schon nach zwei Aufführungen<br />

wieder abgesetzt −und<br />

die uns heute nicht weniger fremd<br />

vorkommt.<br />

Weihnachtlicher Schluss<br />

Sabine Hartmannshenn als Regisseurin<br />

versucht dann auch, „Theodora“<br />

als ein Stück der inneren Dramen<br />

in Szene zu setzen. Im Zentrum<br />

die beiden Hauptfiguren, die sich zu<br />

ihrer eskapistisch anmutenden Sicht<br />

auch erst durchringen müssen, dann<br />

der Offizier Septimius,zerrissen zwischen<br />

Pflichterfüllung dem römischen<br />

Statthalter gegenüber und seiner<br />

Sympathie für die unterdrückten<br />

Christen. Rundherum allerhand<br />

heidnischesVolk, das KostümbildnerinEdith<br />

Kollath mit reicher Fantasie<br />

eingekleidet hat. Eine Wave-Gothic-<br />

Truppe präsentiert sich hier, über<br />

und über behangen mit christlichen<br />

Symbolen: Handy-Kettchen in<br />

Fisch-Form, Rosenkränze, Bischofsmützen,<br />

Barockengelchen. Jeder (bis<br />

auf die gläubigen Hauptfiguren)<br />

trägt sein Kreuzchen mit sich herum.<br />

Waseswirklich bedeutet, weiß niemand<br />

mehr.Bis am Ende Bibeln verteilt<br />

werden und die Wave-Gothic-<br />

Leute begierig zu lesen beginnen.<br />

Einrecht weihnachtlicher Schluss.<br />

Dass die Ausstattung in ihrem Lederjacken-und-Sonnenbrillen-Stil<br />

nach einem Operntheater aussieht,<br />

das gern für modern gehalten werden<br />

würde, macht die Sache etwas<br />

ranzig. Freuen darfman sich aber an<br />

den Sängerinnen und Sängern und<br />

ihrer Darstellung: der feine Tenor<br />

Hugo Hymas etwa, der den Offizier<br />

Septimius singt als Mann, der zwischen<br />

Sensibilität und Verhärtung<br />

schwankt; die Sopranistin Ruby Hughes’<br />

mit einer mild strahlenden<br />

Theodora; Countertenor Christopher<br />

Lowrey, der die Rolle des Didymus<br />

trotz schwerer Stiefel mit Noblesse<br />

erfüllt. Freuen darf man sich<br />

erst recht an Händels streichelnder,<br />

schmeichelnder, labender Musik,<br />

die die Kammerakademie Potsdam,<br />

angeleitet von Konrad Junghänel<br />

nicht nur mit Verstand, sondern<br />

auch mit Herz spielt. Das spricht<br />

ganz direkt zum Hörer und wärmt<br />

ihn, wenn es in der Kirche kühler<br />

wird, je länger das Stück dauert. Aber<br />

wersagt schon, dass es in einer Winteroper<br />

warmsein muss?

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