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Berliner Zeitung 16.02.2019

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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 40 · 1 6./17. Februar 2019 11<br />

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Berlin/Brandenburg<br />

In der Lausitz steht das Ende eines Zeitalters an.<br />

Mit der Braunkohle ist Schluss. Spätestens 2038 endet<br />

der Abbau in Deutschland. Aber was kommt dann?<br />

Ein Besuch vor Ort<br />

VonFrederik Bombosch<br />

Öffentliche Nettostromerzeugung<br />

Strom, der aus der Steckdose kommt,<br />

Angaben in Terawattstunden<br />

2018 2008<br />

Braunkohle<br />

Wind<br />

41,4<br />

111,5<br />

131,4<br />

134,5<br />

Unmittelbar Beschäftigte<br />

in der Kohlewirtschaft<br />

in Tausend<br />

79,0<br />

Steinkohle<br />

72,7<br />

105,7<br />

Kernenergie<br />

72,2<br />

140,7<br />

Solar<br />

4,4<br />

45,7<br />

Biomasse<br />

23,3<br />

44,7<br />

Gas<br />

44,1<br />

66,9<br />

8,64<br />

Wasserkraft<br />

16,3<br />

20,4<br />

BLZ/REEG; QUELLE: FRAUNHOFER INSSTITUT, DEBRIV<br />

1989 * 2017 **<br />

*Daten für 1989 ohne Beschäftigte in den Kraftwerken<br />

**Daten für 2017 mit Beschäftigten in den Kraftwerken<br />

sion findet sich eine Liste mit Projektvorschlägen<br />

der Landesregierungen.<br />

Sieumfasst 58 Seiten und alleine<br />

für Brandenburg 174 höchst<br />

unterschiedliche Vorhaben. Eine Koordinierungsstelle<br />

für sorbische<br />

Volkskultur soll eingerichtet werden,<br />

der See Cottbusser Ostsee soll einen<br />

Wanderweg bekommen und die<br />

Bahnstrecke Cottbus–Lübbenau ein<br />

zweites Gleis – womit wieder der<br />

Vorkriegsstandarderreicht wäre. Anruf<br />

bei einem, der die Lausitz und<br />

ihreWirtschaft gut kennt. Waserauf<br />

die Liste gibt? „Wenn man viel jammert,<br />

kriegt man viel Geld“, sagt er.<br />

Und dann müsse man solche Listen<br />

schreiben, um zumindest den Anschein<br />

zu erwecken, man hätte einen<br />

Plan. Aber es gebe keinen.<br />

Nicht einmal die sind zufrieden,<br />

für die das Ende der Tagebaue nicht<br />

früh genug kommen kann. Zwischen<br />

Großräschen und Welzow liegt Proschim,<br />

ein Straßendorf mit Backsteinhäusern,<br />

einer Kirche und einem<br />

großen landwirtschaftlichen<br />

Betrieb. Dessen Inhaberin, Petra<br />

Rösch, ist die Ortsvorsteherin. Jahrelang<br />

hat sie gegen die Pläne der Bergbauunternehmen<br />

–erst die schwedischeVattenfall,<br />

jetzt die tschechische<br />

Leag –gekämpft, den Tagebau Welzow<br />

nach Südwesten hin zu erweitern.<br />

Proschim sollte 2024 überbaggert,<br />

also zerstörtwerden.<br />

Sie möchte nicht mehr reden<br />

über das Thema, sagt Rösch am Telefon.<br />

„Was haben wir nur verbrochen,<br />

dass wir unsereZeit jahrelang opfern<br />

mussten, um für unser Dorf zu<br />

kämpfen?“ Sie glaube nicht, dass<br />

Proschim weichen müsse – auch<br />

wenn in der sächsischen Lausitz gerade<br />

die Abbaggerung des Dorfs<br />

Mühlrose beschlossen wurde. Aber<br />

dass ihr Dorf anders als der Hambacher<br />

Forst im Bericht der Kohlekommission<br />

mit keinem Wort erwähnt<br />

wird, das schmerzt. Aus Proschim<br />

stammt auch das einzige Mitglied<br />

der Kommission, das gegen den Bericht<br />

stimmte, die Kommunalpolitikerin<br />

Hannelore Wodtke. Hätte sie<br />

dafür gestimmt, dann hätte sich das<br />

wie Verrat an ihrem Dorf angefühlt,<br />

sagte sie anschließend.<br />

Der Weg zu Adrian Rinnert führt<br />

am Kraftwerk Schwarze Pumpe vorbei.<br />

Kurz dahinter überquert man<br />

auf maroden Brücken die beiden<br />

Arme der Spree. Weiter flussaufwärts<br />

muss sieWasser aus den stillgelegten<br />

Tagebauen aufnehmen, das voller<br />

Eisenoxid ist und den Fluss rotbraun<br />

färbt. Verockerung heißt das,<br />

noch so eine sprachliche Schönfärberei.<br />

Treffender wäre die Feststellung:<br />

Der Fluss, für Berlin eine der<br />

wichtigsten Trinkwasserquellen, ist<br />

an seinem Oberlauf ökologisch tot.<br />

Spreetal ist die Gemeinde, inder<br />

Gerhard Gundermann am Ende seines<br />

kurzen Lebens lebte, der singende<br />

Baggerfahrer,der seine Lieder<br />

aus dem Tagebau in die kleine DDR<br />

trug. Es ist eine Ansammlung von<br />

Dörfern, eingeklemmt zwischen Tagebau<br />

und Kraftwerk. Adrian Rinnert,<br />

aufgewachsen in Neukölln, ist<br />

vor acht Jahren hierhergekommen,<br />

zusammen mit seiner damaligen<br />

WG, vier Erwachsene und mittlerweile<br />

zwei Kinder. Das Haus, das sie<br />

bewohnen und mühsam Stück für<br />

„Dass die erneuerbaren Energien den Platz<br />

der Braunkohle einnehmen könnten, glauben<br />

hier nur wenige. Oder sie wollen es nicht<br />

wahrhaben, je nach Betrachtungsweise.“<br />

Stück renovieren, liegt im Wald unterhalb<br />

der Straße.<br />

Eigentlich wollten sie ein Seminarhaus<br />

aufbauen in der verfallenen<br />

Fabrik, nach der sie ihren Verein benannt<br />

haben: „Eine Spinnerei“. Es<br />

sollte ein Treffpunkt werden für<br />

Menschen, die eine andere, eine<br />

ökologischere Gesellschaft wollen –<br />

10%<br />

auch in der Lausitz. Aber mit dem<br />

Vorhaben ist es nicht recht vorangegangen,<br />

auch wenn die Genehmigung<br />

erteilt ist, Teile des Baumaterials<br />

bereitliegen.„Das wirdauch nicht<br />

besser im Regen“, grummelt er.Aber<br />

seine Mission ist eben gewachsen.<br />

„Wir wollen die Lebensgrundlagen<br />

hier erhalten“, sagt Rinnert.<br />

Wo fängt man da an, wo hörtman<br />

da auf? Rinnert ist ein hochgewachsener<br />

Mann, der schnell redet, wenn<br />

er sich aufregt, und er regt sich<br />

schnell auf, wenn er über seine<br />

Wahlheimat redet. 34,8 Prozent bekam<br />

die AfD in Spreetal bei der Bundestagswahl,<br />

die Grünen holten 1,6<br />

Prozent. „Wer hier etwas bewegen<br />

will, der bekommt auf die Finger“,<br />

sagt Rinnert. Er nimmt das in Kauf,<br />

es gibt so viel, was er bewegen<br />

möchte, das Engagement ist für ihn<br />

zur Vollzeitbeschäftigung geworden.<br />

Der Bach hinter der alten Spinnerei<br />

etwa, die Struga, ist tot. Das hat<br />

wahrscheinlich mit Tagebauabwässernzutun,vielleicht<br />

auch mit einer<br />

Halde. Rinnert wüsste es gern genauer,<br />

die Behörden offenbar nicht.<br />

„Die werden dem Betreiber keine<br />

Auflagen erteilen.“ Irgendwann sei<br />

der Betreiber dann weg, weil keine<br />

Kohle mehr gefördert wird. Und<br />

dann bliebe die Gesellschaft auf dem<br />

Schaden sitzen –eine Rücklage für<br />

die Sanierung der heutigen Tagebaue<br />

gibt es nämlich bislang nicht.<br />

Wozu soll er ein Öko-Tagungszentrum<br />

aufbauen, wenn dahinter<br />

ein Gewässer stirbt und sich keiner<br />

drum kümmert, fragt Rinnert. Es sei<br />

ein Problem der Strukturen, sagt er.<br />

Undwer die ändernwolle,der müsse<br />

mit den Menschen arbeiten.<br />

Und das ist wohl die wahre Herausforderung<br />

für alle,die die Lausitz<br />

entwickeln wollen – das Engagement<br />

zu wecken in einer Gesellschaft,<br />

die jahrzehntelang vonharter<br />

Arbeit lebte und daraus ihre Rechtfertigung<br />

zog. Die Ziegel hinter Adrian<br />

Rinnerts Haus werden wohl<br />

noch eine Weile liegen bleiben. Es<br />

gibt jetzt Wichtigereszutun.<br />

Fred Bombosch<br />

glaubt an die Zukunft<br />

ohne Kohle.<br />

Verkaufsoffener<br />

Sonntag<br />

auf ALLES *<br />

in allenteilnehmendenFilialeninBerlin<br />

Morgen, 17.02.19•Geöffnet von 13 –18Uhr<br />

*ausgenommen sind: Pfand, Tabakwaren, Eduscho/Tchibo, Buch- und Presseerzeugnisse, Gutschein- und Guthabenkarten, Pre- und Anfangsmilchnahrung. Bereits reduzierte Artikel sind nicht mit anderen Aktionen kombinierbar.<br />

KW 07 /Be

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