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16./17. FEBRUAR 2019 7<br />
Wann begann das? Woher kam<br />
das? Und wohin führte das<br />
schließlich? In den Olymp<br />
der Kunst. Was denn sonst!<br />
„Ich wollte Maler sein und bin Picasso<br />
geworden!“ Mehr Selbstüberzeugung geht<br />
nicht. Das die Wand am Entrée zur Ausstellung<br />
der Basler Fondation Beyeler füllende<br />
Schwarz-Weiß-Foto des 23-jährigen<br />
Pablo Picasso sagt alles: über den steilen,<br />
wohl auch andalusisch sturen Stolz des<br />
Spaniers aus bescheidenen Verhältnissen,<br />
seinen rastlosen Ehrgeiz, seinen unbändigen<br />
Hunger nach Bildern, Ruhm und dem<br />
Nie-mehr-arm-Sein. Über seinen Ernst<br />
und seine Obsessionen. Und seine Unwiderstehlichkeit,<br />
die jedermann spürte,der<br />
dem Genie begegnete.<br />
ZAHLLOSE PICASSO-AUSSTELLUNGEN weltweit,<br />
unzählige Bücher,Filme,Essays,wissenschaftliche<br />
Abhandlungen und Schulbuch-<br />
Seiten scheinen diesen Genius des 20. Jahrhunderts<br />
noch immer nicht ausgeleuchtet zu<br />
haben. In dieser Basler Schau geht es nicht<br />
um das ganze Phänomen Picasso, sondern<br />
darum, wie er zu Picasso wurde.Die Anfänge<br />
werden erzählt, und die Aufeinanderfolge der<br />
frühen Stile. Nur gut, dass er das alles nicht<br />
kommentieren kann, die Analysen, die Interpretationen.<br />
Leute, die Bilder erklären wollten,<br />
so ein ironisches Bonmot des Spaniers –<br />
der übrigens sein Heimatland wegen des faschistischen<br />
Diktators Franco ab 1936 nie<br />
mehr betreten hat –bellten für gewöhnlich<br />
den falschen Baum an.<br />
Es hat, wie man in Basel betont, in Europa<br />
noch nie eine Picasso-Schau ausdrücklich<br />
zur emotionalen, melancholischen,<br />
vonTodesgedanken durchzogenen<br />
Blauen und der lebensprallen, „primitivistischen“<br />
Rosa Periode gegeben. Daher<br />
leistet sich die kunstbeseelte 180 000-Bürger-Stadt<br />
denn auch das aufwendigste,<br />
kostspieligste Ausstellungsprojekt in der<br />
Geschichte der weltbekannten Fondation<br />
Beyeler. Kostbarste Leihgaben wurden<br />
aus aller Welt zusammengeholt. Das betonen<br />
die Aussteller und ihre Förderer besonders.<br />
Man scheute nicht einmal die<br />
Kosten von vier Milliarden Schweizer<br />
Franken Kaution für die Versicherungen.<br />
Dafür tut sich der Bilderkosmos des<br />
jungen Picasso auf, all das Gefühlige, Existenzielle,<br />
die Albträume und Obsessionen<br />
des so frühreifen wie tiefgründigen Sohnes<br />
eines akademischen Taubenmalers aus Andalusien,<br />
der seine Familie als Zeichenlehrer<br />
inKatalonien ernährte. Der junge Pablo<br />
trieb sich schon mit sechzehn heimlich in<br />
Bordellen Barcelonas herum, das obszöne<br />
Treiben mit seinen wachen großen schwarzenAugen<br />
begierig beobachtend. Unddann<br />
hat er sich mit seinen wechselnden, sich indes<br />
zeitlich verschränkenden Stilen und revolutionären<br />
Erfindungen in die Kunstgeschichte<br />
des 20. Jahrhunderts eingeschrieben<br />
wie kein Zweiter seines Metiers. „Für<br />
mich gibt es in der Kunst weder Vergangenheit<br />
noch Zukunft. Wenn ein Werk nicht<br />
stets seinen Platz in der Gegenwartbehauptet,<br />
ist es bedeutungslos“, so absolut war<br />
sein Anspruch.<br />
PICASSO WAR SCHÖPFER, nie Nachahmer<br />
oder Destillierer der Werke anderer<br />
großer Künstler,sosehr er auch Alte Meister<br />
wie El Greco, berühmte Maler des 19.<br />
Jahrhunderts wie van Gogh, Cézanne,<br />
Gauguin, Toulouse-Lautrec, später Matisse<br />
und den Kubisten Braque verehrte.<br />
Der Jahrhundertkünstler hat immer wieder<br />
Neues geschaffen, zuerst mit seinem<br />
Alter Ego des Harlekins, diesem Vertreter<br />
der den jungen Maler faszinierenden Welt<br />
des Zirkus, der Gaukler und Varietés.<br />
Dann, angestachelt von der Rivalität mit<br />
dem Farbzauberer Matisse, als radikal kubistischer<br />
Form-Zerleger. Jahrzehnte und<br />
mindestens sechs Lebensabschnittsgefährtinnen<br />
später ist er der mythische Minotaurus<br />
und in der Abenddämmerung<br />
seines Lebens der alte melancholische,<br />
umso lüsternere Musketier.<br />
Zu Füßen lagen dem egozentrischen<br />
Genie vor allem die Frauen, jene, die ihn<br />
von klein auf begleiteten. Die kleine,<br />
dunkle Mutter, die dicke Großmutter, die<br />
beflissenen Tanten, die Schwester. Alle<br />
waren sie dem ängstlichen, bisweilen hysterischen,<br />
schulscheuen, aber dafür dau-<br />
Die Form war<br />
es, die Picasso<br />
ständig aufs<br />
Neue suchte.<br />
Und so folgte<br />
1907 der<br />
Bruch hin zum<br />
Kubismus:<br />
„Femme“<br />
könnte eine<br />
Studie für die<br />
„Demoiselles<br />
d’Avignon“<br />
gewesen oder<br />
danach<br />
entstanden<br />
sein.<br />
Kardinales Trauerwerkfür<br />
den toten Freund Casagemas:<br />
„La Vie“, 1903.<br />
Ich, Picasso<br />
Wasließ den jungen, obsessiven Ehrgeizling aus Málaga zum<br />
Jahrhundertgenie werden? Eine Schau in Basel gibt Antwort<br />
Pablo Picasso<br />
1904 auf<br />
der Place<br />
Ravignan,<br />
Montmartre<br />
CLEVELAND MUSEUM/SCHENKUNG FUND/SUCC.PICASSO/PROLITTERIS ZÜRICH<br />
VonIngeborg Ruthe<br />
„Akrobat und junger Harlekin“,<br />
1905, einst im Museum Elberfelde,<br />
1939 von den Nazis verkauft.<br />
MUSEE OICASSO PARISANONYM<br />
SUCC.PICASSO/PRIVATS./PRO LITTERIS ZÜRICH<br />
Esprit Montmartre,<br />
um 1901: „Harlekin und<br />
Gefährtin“.<br />
Der jungePicasso. Blaue und Rosa Periode<br />
Pablo Picasso, geboren 1881 in Málaga/Andalusien, gestorben 1973 in<br />
Mougins, Südfrankreich, nahe Cannes, schuf rund 50 000 Werke.<br />
Fondation Beyeler,Basel/Riehen, Baselstrasse 101: „Der jungePicasso,<br />
Blaue und Rosa Periode“ bis 26. Mai, tgl. 10–18 Uhr.Katalog (Hatje Cantz)<br />
60 Euro, Begleitband 12 Euro. Die Schau ist eine Kooperation mit den<br />
Pariser Museen Orsayund Orangerie und dem Nationalmuseum Picasso. Das<br />
Galeristen-, Sammler- und Museumsgründerpaar Ernst und HildyBeyeler war<br />
mit Picasso befreundet und hatte für seine Foundation 30 Bilder erworben.<br />
Kunstreisen/Exkursionen zur Ausstellung über Schweiz-Tourismus Berlin:<br />
www.myswitzerland.com oder Tel.: 030/6957 97112<br />
FONDATION BEYELER/ SUCC. PICASSO 2018 PRO LITTERIS ZÜRICH/R. BAYER BASEL<br />
LEIHGABE SMBK/PUSCHKIN MUSEUM MOSKAU/SUCC. ÜICASSO/2018 PROLITTERIS ZÜRICH<br />
erzeichnenden Knaben völlig ergeben. Ab<br />
1901, er war 19, signierte Pablo Ruiz mit „Picasso“,<br />
dem Mädchennamen der Mutter.Er<br />
nutzte die Stationen Barcelona, Madrid und<br />
Paris, wo er mit der Bohème, Anarchisten,<br />
später den Surrealisten und noch viel später<br />
mit Kommunisten verkehrte, invollen Zügen,<br />
um seine „Form“ zu finden. Bild für<br />
Bild ist es an den Wänden des Museums abzulesen<br />
–Picasso ist der Maler der Form.<br />
Farbe ist ihm Mittel, nicht vorrangig Zweck.<br />
Wohl darum fiel es ihm schon früh leicht,<br />
die Form auch ins Bildhauerische zu treiben.<br />
Oder 1937„Guernica“ zu malen.<br />
Aber zunächst wurde ihm um 1900 die<br />
vereinfachende Konzentration auf die<br />
Farbe Blau zum Ausdrucksmittel. Der intimste<br />
Freund, der mit dem Geld seiner<br />
Familie ausgestattete Bohèmian und Morphinist<br />
Casagemas hatte sich das Leben<br />
genommen. Heftige Trauer mischte sich<br />
bei Picasso mit jenem Verlustschmerz,<br />
den er schon empfunden hatte, als seine<br />
kleine Schwester Conchita 1895 an Diphtherie<br />
gestorben war. Zudem hatte er als<br />
Halbwüchsiger heimlich das Sezieren eines<br />
ermordeten Mädchens beobachtet.<br />
Fast möchte man meinen, der martialische<br />
Akt der Schädelöffnung spiegele sich<br />
auf Picassos späteren deformierten (weinenden)<br />
Frauenköpfen.<br />
Sich stilistisch permanent wandelnd,<br />
zugleich Zurückliegendes immer wieder<br />
vereinnahmend, verwandelte Picasso das<br />
scheinbar Unerträgliche produktiv in<br />
Kunst. Er tat das so robust wie sensibel.<br />
Den aufgebahrten Selbstmörder Casagemas<br />
malte er 1901 mit lebendig flammender<br />
Kerze, 1903 entstand das symbolischste<br />
Trauerwerk der Blauen Periode:<br />
„La Vie“. Abermals unverkennbar ist darauf<br />
der leichenblasse Freund im blauen<br />
Raum zu sehen. DieseTafel hat in der Ausstellung<br />
den zentralen Platz. Der junge Picasso,<br />
besagt das Bild, hat die Welt der visuellen<br />
Analogien betreten. Wenig später<br />
sitzt sein Harlekin am Caféhaustisch in<br />
Montmartre traurig vorseinemAbsinth.<br />
IM MUSEUM KANN MAN die Szene nachahmen:<br />
Ins Untergeschoss wurde ein pittoreskes<br />
Pariser Café wie zu Toulouse-Lautrecs<br />
Zeiten eingebaut, die Decke in Harlekin-Dekor,<br />
mit Kronleuchtern, an den Wänden Ornament-Tapeten,<br />
runde Tischchen –Pernod,<br />
Pastis, sogar Absinth gibt’s an der Bar. Die<br />
Treppe hoch, steht man vor Picassos Selbstbild<br />
in Schwarzvor Blau: „Diese Malerei, die<br />
so naß ist, wie die feuchte Tiefedes Abgrunds<br />
und so jammervoll ...“, schrieb der Freund<br />
Apollinaire über dieses „Ich. Picasso“ von<br />
1901. Dann folgen zärtlichen Szenen von<br />
Narren mit Frauen und Babys, auch jene mit<br />
dem alten Akrobaten und dem jungen Harlekin<br />
von 1905. Das stille Gouache-Motiv, auf<br />
dem sich Blaue und Rosa Periode rätselhaft<br />
mischen, hatte 1911 das Museum Elberfeld<br />
in Wuppertal angekauft, als einziges deutsches<br />
Museum, das damals einen Picasso<br />
besaß. Die Nazis konfiszierten das Bild, verkauften<br />
es 1939. Heute gehörteseiner Privatsammlung;<br />
als Raubkunst gilt es nicht.<br />
Ab dem Jahr 1906 modellierte Picasso alles<br />
in Rosa, die Körperformen antik und<br />
massig, wie in Sandstein gehauen, sinnliche<br />
Riesinnen und archaische Urmütter. Den<br />
Augen gibt er den wie umsäumten breiten<br />
Ausdruck der Leere, die asymmetrische Gestaltung<br />
der Stirn hin zur Nase hat seltsame<br />
Vergrößerungswirkung. Diese Malphase ist<br />
verbunden mit jungen Frauen: Picasso hatte<br />
sich in Paris verliebt, erst in die zarte Madeleine,<br />
dann in die schöne Fernande Olivier.<br />
Letztere diente dem Geliebten, genoss seinen<br />
Erfolg, ertrug aber nicht seinen Sprung<br />
in die kubistische Deformation mit den zerlegten<br />
„Demoiselles d’Avignon“ 1907. Picasso<br />
aber verlangte Gefolgstreue.Fernande<br />
ging, endgültig. Sielitt. Er war erleichtert.<br />
Neue Frauen teilten seine Laufbahn zu<br />
noch größerem Ruhm. Auch war die einflussreiche<br />
Gertrude Stein seine Mäzenin geworden.<br />
Siehatte früh erkannt, was er selber<br />
später niederschrieb: Jeder Mensch besitze<br />
viele Fähigkeiten. „Ich habe meine Energien<br />
auf eine einzige verwandt: die Malerei.“<br />
Ingeborg Ruthe<br />
begreift Picasso als rastlosen<br />
Formsucher.