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Berliner Zeitung 05.04.2019

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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 80 · F reitag, 5. April 2019 11 *<br />

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Berlin<br />

Unverblümt und unverbindlich<br />

Franziska Giffey ist Hoffnungsträgerin der <strong>Berliner</strong> SPD. Überihre Zukunftwill sieöffentlichnicht sprechen. Wiesehr ihrihre Plagiatsaffäre schadet, wirdsich zeigen<br />

VonElmar Schütze<br />

Die <strong>Berliner</strong> Landespolitik<br />

ist in Bewegung wie selten<br />

in den zwei Jahren<br />

seit der Abgeordnetenhauswahl.<br />

Die Grünen sind stärkste<br />

Partei. DieLinke surft auf der Enteignungswelle.<br />

Die CDU wählt demnächst<br />

einen neuen Chef, der einen<br />

Neuanfang verspricht. Die FDP profitiert<br />

immer noch von der Debatte<br />

um den FlughafenTegel. DieAfD zerbröselt<br />

sich derzeit wenigstens nicht<br />

weiter selbst. Und die SPD? Verliert.<br />

Umfrage für Umfrage,Monat für Monat<br />

–scheinbar unaufhaltsam.<br />

Ebenso unaufhaltsam und folgerichtig<br />

drängt sich die Frage auf, ob<br />

der Regierende Bürgermeister und<br />

Parteivorsitzende Michael Müller<br />

noch der richtige Mann ist, mit dem<br />

die Sozialdemokraten bei der nächsten<br />

Wahl 2011 antreten sollten? Kann<br />

er den Trend umkehren und den ersten<br />

Machtverlust der SPD seit derVereinigung<br />

abwenden? Oder kann das<br />

Innensenator Andreas Geisel besser,<br />

wie es manche –auch in der Partei –<br />

glauben? Oder doch Franziska Giffey?<br />

Die 40-jährige Bildungsministerinist<br />

für viele immer noch ein Lichtblick<br />

in einer ansonsten blassen<br />

Bundesregierung. Das liegt auch<br />

daran, dass Giffey eine hervorragende<br />

Verkäuferin in eigener Sache<br />

ist.Wenn sie aus dem Namensmonster<br />

„Gesetz zur Weiterentwicklung<br />

der Qualität und zur Teilhabe in der<br />

Kindertagesbetreuung“ schlicht ein<br />

„Gute-Kita-Gesetz“ macht, freuen<br />

sich viele über diese volksnah-zupackende<br />

Artder Vereinfachung.<br />

In Berlin muss sich Giffey nicht<br />

ins Rampenlicht drängen. Seit ihrer<br />

Zeit als Bildungsstadträtin und später<br />

auch Bürgermeisterin von Neukölln<br />

ist sie hier ohnehin eine große<br />

Nummer. Und beliebt sowieso. Bei<br />

einer Umfrage des Instituts Forsa im<br />

Auftrag der <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> im vorigen<br />

Herbst erhielt sie von den <strong>Berliner</strong>n<br />

die mit Abstand besten Werte<br />

aller SPD-Politiker im Bund. Da wird<br />

jemand gemocht.<br />

Die Freie Universität prüft<br />

DieUmfrage fand statt, bevor im Februar<br />

bekannt wurde,dass es Zweifel<br />

an der Professionalität von Giffeys<br />

Doktorarbeit von 2009 gibt. In „Europas<br />

Wegzum Bürger“ geht es um<br />

die Frage,obesder EU-Kommission<br />

gelingt, mehr Bürgernähe herzustellen.<br />

Giffey untersuchte dies am Beispiel<br />

von Neukölln, wo sie als Europabeauftragte<br />

fürs Bezirksamt jahrelang<br />

Geldtöpfe in Brüssel angezapft<br />

hatte. Das Internetforum VroniPlag<br />

Wiki, auf der selbst ernannte Detektivenach<br />

Plagiaten in wissenschaftlichen<br />

Arbeiten fahnden und damit<br />

bereits diverse Politiker zu Fall<br />

brachten, hat auf 49 der 205 Textseiten<br />

problematische Stellen identifiziert.<br />

Jetzt prüft die Freie Universität.<br />

Es gehört zum Phänomen Franziska<br />

Giffey, dass die Öffentlichkeit<br />

Mag positive Menschen: SPD-Politikerin Franziska Giffey.<br />

DPA/BERND VON JUTRCZENKA<br />

die ersten Plagiatsvorwürfe eher beiläufig<br />

wahrgenommen hat. Anders<br />

als bei den Ex-Ministern Karl Theodor<br />

zu Guttenberg (Verteidigung,<br />

CSU) oder Annette Schavan (Bildung,<br />

CDU) schien man eher zu<br />

Milde zu neigen. Nach dem Motto:<br />

Schon wieder eine? Na und?<br />

Bis vor drei Tagen Peter Grottian,<br />

uralt-linker Politologe am Otto-<br />

Suhr-Institut der FU, an dem einst<br />

auch Giffey ihre Arbeit eingereicht<br />

hat, in einem Gastbeitrag in der Süddeutschen<br />

<strong>Zeitung</strong> schrieb: „Wenn<br />

Giffey klug ist, tritt sie zurück!“ Zu<br />

eindeutig seien die handwerklichen<br />

Fehler in ihrer Dissertation.<br />

Doch stimmt das? Ist ihr Ruf bereits<br />

so beschädigt, dass sie politisch<br />

nichts mehr werden kann? Endet<br />

hier eine Parteikarriere, die vorzwölf<br />

Jahren in Neukölln begonnen hat?<br />

Giffey spricht nicht öffentlich<br />

über ihre Doktorarbeit. Einen ihrer<br />

ersten öffentlichen Auftritte seit Veröffentlichung<br />

des Grottian-Texts absolvierte<br />

sie am Donnerstagmorgen<br />

bei der Industrie- und Handelskammer<br />

(IHK) an der Fasanenstraße.<br />

Auch dort: Kein Wort zur Doktorarbeit,<br />

und sie ist auch nicht gefragt<br />

worden.<br />

Stattdessen berichtete sie voller<br />

Verve von ihrem Job als Ministerin,<br />

von ihrer Lust, über Probleme nicht<br />

zu reden, sondern sie anzugehen.<br />

Die Sache sei doch so, sagt sie: Es<br />

gebe einerseits „die Mauerbauer“,<br />

die Miesmacher, Nörgler und Zweifler.<br />

Und es gebe auf der anderen<br />

Seite „die Windmühlenbauer“, die<br />

Anpacker und Optimisten. Wenn sie<br />

die Wahl habe,gehe sie lieber zu den<br />

Windmühlenbauern. Damit hatte<br />

sie all die Unternehmer im IHK-Saal<br />

auf ihrer Seite, die sich selbst unbedingt<br />

als Windmühlenbauer sehen.<br />

Warmer Applaus<br />

Und noch eine Frage fiel an diesem<br />

Morgen nicht: ob Giffey dazu bereit<br />

wäre, in zwei Jahren für die <strong>Berliner</strong><br />

SPD als Spitzenkandidatin anzutreten.<br />

Schon auf die Frage nach einem<br />

vorzeitigen Ende der Großen Koalition<br />

–was sie für Berlin frei machen<br />

würde –, reagiertsie fast schon allergisch:<br />

„Wenn ich jeden Tag fragen<br />

muss, wie lange ich noch lebe,<br />

schlägt mir das aufs Gemüt.“<br />

Eine flammende Bewerbungsrede<br />

klingt sicher anders. Lieber<br />

macht sie vor dem bürgerlichen Publikum<br />

kleine Punkte,etwa wenn sie<br />

sich in der Enteignungsdebatte bedeckt<br />

hält und lieber davon berichtet,<br />

dass sie auch jetzt noch hin und<br />

wieder U-Bahn fahre –„auch wenn<br />

das BKA dann immer entsetzt ist“.<br />

Für so etwas gab’s warmen Applaus<br />

Am Ende wurde sie von IHK-<br />

Hauptgeschäftsführer Jan Eder mit<br />

Komplimenten verabschiedet. Selten<br />

habe er einen Politiker erlebt, der<br />

„so outspoken“, so unverblümt, sei.<br />

Auf einem „virtuellen IHK-Applausometer“<br />

der letzten Jahre komme<br />

sie unter die Top3.<br />

Chefermittler gegen Clans<br />

und Banden muss gehen<br />

Dirk Jacob soll Differenzen mit SPD-Staatssekretär haben<br />

Berlins Chefermittler gegen die<br />

organisierte Kriminalität muss<br />

seinen Posten räumen. Nach Informationen<br />

der <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> soll<br />

Dezernatsleiter Dirk Jacob –imLandeskriminalamt<br />

zuständig für organisierte<br />

Bandenkriminalität und arabische<br />

Clans –irgendeinen anderen<br />

Posten übernehmen.<br />

Wie Ermittler berichten, wurde<br />

schon vor mehreren Wochen der<br />

Stellvertreter des LKA-Leiters angehalten,<br />

für Jacob eine neue Verwendung<br />

zu suchen. Für Führungskräfte<br />

gilt seit längerem das Prinzip der Personalrotation,<br />

damit diese auch andereBereiche<br />

kennenlernen.„Personalentwicklung“<br />

wird das genannt.<br />

Den Informationen zufolge bat Jacob,<br />

ihm eine neue Dienststelle zu<br />

benennen, was bisher nicht geschah.<br />

Am Donnerstagmorgen meldete<br />

er sich krank. „Zu etwaigen Erkrankungen<br />

von einzelnen Kollegen<br />

äußern wir uns nicht“, sagte Polizeisprecher<br />

Thilo Cablitz.<br />

Jacob war vor einiger Zeit mit Innenstaatssekretär<br />

Torsten Akmann<br />

(SPD) aneinandergeraten. Er soll<br />

ihm widersprochen und bestimmte<br />

Angelegenheiten bei der Bekämpfung<br />

der Clan-Kriminalität anders<br />

gesehen haben.<br />

Die Gewerkschaft der Polizei<br />

(GdP) glaubt, dass das der Grund für<br />

die Versetzung ist. „Wir halten Dirk<br />

Jacob für einen sehr kompetenten<br />

Kollegen, der aufgrund seiner vielfältigen<br />

Erfahrungen im Bereich der organisierten<br />

Kriminalität über die<br />

<strong>Berliner</strong> Landesgrenzen hinweg<br />

hoch angesehen wird“, sagte GdP-<br />

Sprecher Benjamin Jendro. „Man<br />

kann unterschiedliche Ansichten<br />

haben, aber sich von politischer<br />

Ebene einzumischen, seine Stellung<br />

zu missbrauchen und jemand aus einer<br />

Position zu entfernen, nur weil<br />

einem die Nase nicht passt, übersteigt<br />

jeden Rahmen.“ Über die Besetzung<br />

von Führungspositionen<br />

habe allein die Polizeipräsidentin zu<br />

entscheiden. Zu den Vorwürfen war<br />

am Donnerstagabend von der Senatsinnenverwaltung<br />

keine Stellungnahme<br />

zu erhalten. (kop.)<br />

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Morgen in<br />

der <strong>Berliner</strong><br />

<strong>Zeitung</strong><br />

Kritik an Wohnungsverband<br />

Linke-Fraktionschefs werfen „unsachliche“ Äußerungen vor<br />

Die beiden Fraktionschefs der<br />

Linken im Abgeordnetenhaus,<br />

Carola Bluhm und UdoWolf, gehen<br />

im Streit um die Enteignung großer<br />

Immobilienkonzerne auf Distanz<br />

zum Verband Berlin-Brandenburgischer<br />

Wohnungsunternehmen<br />

(BBU). In einem Brief an BBU-Chefin<br />

Maren Kern kritisieren sie „unsachliche“<br />

Äußerungen des BBU nach<br />

Brandanschlägen auf Autos der Deutsche<br />

Wohnen sowie eine „polemisierende<br />

Art“ der Argumentation.<br />

So habe der BBU über den Kurznachrichtendienst<br />

Twitter die Enteignungsdiskussion<br />

für die „nicht zu tolerierenden<br />

Brandanschläge“ verantwortlich<br />

gemacht. Außerdem sei via<br />

Twitter verbreitet worden, die Initiativezur<br />

Enteignung großer Immobilienkonzerne<br />

richte sich „letztlich gegen<br />

die soziale Marktwirtschaft“, und<br />

die Steuerzahler müssten dies mit 36<br />

Milliarden Euro bezahlen. Das sei<br />

„keineVersachlichung der Debatte“.<br />

Es mache sie „etwas ratlos“, so<br />

Bluhm und Wolf, „wie ein eingetragener<br />

Verein mit mehrheitlich kommunalen<br />

und landeseigenenWohnungsbaugesellschaften<br />

oder genossenschaftlichen<br />

Wohnungsunternehmen<br />

in dieser Debatte nicht<br />

versachlichend, sondern zuspitzend<br />

eingreift“. (ulp.)

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