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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 80 · F reitag, 5. April 2019 15<br />
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Brandenburg<br />
In Brandenburg zog die AfD<br />
2014 erstmals in den Landtag<br />
ein. Sie kam auf 12,2 Prozent,<br />
wurde damit viertstärkste Kraft<br />
und bekam doppelt so viele Stimmen<br />
wie die Grünen. Inzwischen<br />
wird die Nachwuchsorganisation<br />
Junge Alternative (JA) und der völkisch-nationalistische<br />
„Flügel“ der<br />
Partei um BjörnHöcke vomBundesamt<br />
für Verfassungsschutz als Verdachtsfall<br />
eingestuft –Begründung:<br />
Es lägen „gewichtige Anhaltspunkte<br />
vor, dass es sich um eine extremistische<br />
Bestrebung handelt“. DieJArespektiere<br />
die Menschenwürde nicht<br />
als obersten Verfassungswert und<br />
verunglimpfe Flüchtlinge pauschal.<br />
In Umfragen erreicht die Partei in<br />
Brandenburg seit mehr als einem<br />
Jahr zwischen 19 und 23 Prozent und<br />
war damit teilweise genauso stark<br />
wie die SPD und oft stärker als die<br />
CDU. Ein Gespräch mit Spitzenkandidat<br />
Andreas Kalbitz –der zur Führung<br />
des „Flügels“ gehört – über<br />
mögliche Koalitionen mit der CDU,<br />
über seinen oft kriegerischen Tonfall<br />
und seine Vergangenheit in rechtsradikalen<br />
Strukturen.<br />
Herr Kalbitz, Sie sind Spitzenkandidat.<br />
Möchten Sie Ministerpräsident<br />
vonBrandenburg werden?<br />
Die Frage stellt sich derzeit nicht.<br />
Natürlich wollen wir Verantwortung<br />
übernehmen. Sonst braucht man<br />
keine Partei zu gründen. Es geht mir<br />
nicht um Fundamentalopposition,<br />
sondernauch um Gestaltung.<br />
Da Sie nicht zum gemäßigten Kuschelflügel<br />
der AfD gehören, müssten<br />
Sie 51Prozent bekommen oder einen<br />
Partner finden. Sehen SieChancen?<br />
Nicht auf 51 Prozent. Aber die AfD<br />
hat sich als bleibende Kraft etabliert.<br />
Vorvier Jahren dachten viele: Dasist<br />
nur eine Blase. Jetzt ist klar: Die AfD<br />
ist gekommen, um zu bleiben.<br />
Siewürden nicht als Juniorpartner in<br />
eine Regierung gehen?<br />
In Brandenburg definitiv nicht.<br />
Als Juniorpartner käme nur die CDU<br />
infrage.Wenn ich sehe,wie es dortan<br />
der Basis bröckelt, sehe ich viel politischen<br />
Bewegungsspielraum. Ich<br />
glaube, mittel- und langfristig wird<br />
sich der Tonder Union ändern. Nach<br />
der Wahl gehe ich aber davon aus,<br />
dass es ein Machterhaltungsbündnis<br />
gibt, eine Art Regenbogenkoalition<br />
gegen die AfD.Die wirdaber sachpolitisch<br />
nicht tragfähig sein. Weil es<br />
nur diesen einen Minimalkonsens<br />
gibt: „Der Feind meines Feindes ist<br />
mein Freund.“<br />
Sie sagen, Brandenburgs CDU-Chef<br />
Ingo Senftleben könne nicht von der<br />
Tapete bis zur Wand denken. Torpedieren<br />
Sienicht den einzigen Partner?<br />
Wirsind imWahlkampf, natürlich<br />
ist der Tonharsch, aber nicht unbegründet.<br />
Ich halte die Koalitionsträume<br />
der CDU mit der Linken für<br />
strategisch äußert ungeschickt –vor<br />
allem gegenüber den eigenen Wählern.<br />
Die Menschen spüren: Der<br />
CDU geht es nur um Machterhalt.<br />
In Sachsen diskutieren einige in der<br />
CDU über eine Koalition mit der AfD.<br />
DieFrage ist nicht, ob wir regieren<br />
wollen, sondern wann und wie. In<br />
Sachsen ist es am möglichsten,<br />
stärkste Kraft zu werden. Wenn die<br />
Konstellation passt, kann ich es mir<br />
vorstellen. Dann gibt es bei der CDU<br />
einen Dammbruch, einen Domino-<br />
Effekt in anderen Ländern.<br />
IhreGemeinsamkeiten mit der CDU?<br />
Die AfD hat viele Themen aufgegriffen,<br />
die früher Unions-Themen<br />
waren. Ichsehe einen gemeinsamen<br />
Wertebezug, der in der Union durch<br />
dieVermerkelung und den Marsch in<br />
die Mitte völlig aufgeweicht wurde.<br />
Wir erleben aber Restaurationstendenzen:<br />
DieKonservativen sammeln<br />
sich, und es werden Positionen vertreten,<br />
die bislang AfD-eigen waren.<br />
Wasist Ihr Ziel für die Landtagswahl?<br />
20 Prozent plus x. Wirwerden um<br />
jede Stimme werben.<br />
Wassind IhreWahlkampfthemen?<br />
DasProgramm ist noch nicht verabschiedet,<br />
aber uns geht es um innereSicherheit<br />
und die Stärkung des<br />
ländlichen Raumes. Wir haben in<br />
Brandenburgnoch nicht mal überall<br />
normales Internet – und nun entdeckt<br />
die rot-rote Regierung kurzvor<br />
der Wahl 5G. Undesgeht uns um die<br />
Stärkung des Handwerks. Und ganz<br />
wichtig in Brandenburg: die Lausitz.<br />
Wieist da IhrePosition?<br />
Wasdapassiert, ist die falsche Abfolge:<br />
Erst wird ein Ausstiegsdatum<br />
definiert, dann ein Konzept gesucht.<br />
Wirwürden gar kein Datum nennen,<br />
sondernerst ein tragfähiges Konzept<br />
für den Strukturwandel erstellen.<br />
Die Menschen haben ein Recht auf<br />
Planbarkeit und Sicherheit. DieLausitz<br />
braucht einen Zukunftsplan, keinen<br />
Abwicklungsplan.<br />
Wiewichtig ist die Kommunalwahl?<br />
Sehr wichtig, damit wir uns lokal<br />
verankern und Sachpolitik vor Ort<br />
machen. Ich bin stolz, dass mehr als<br />
700 Kandidaten für uns antreten.<br />
Auf dem Parteitag plädierte die AfD<br />
dafür, das EU-Parlament abzuschaffen.Warum<br />
stellt SieKandidaten auf?<br />
Dasist so nicht richtig. Wirhaben<br />
einen langen Forderungskatalog für<br />
die EU-Institutionen. Unsgeht es vor<br />
allem um die Entschlackung der<br />
Überbürokratisierung. Erst ganz am<br />
Schluss steht: Und wenn das alles<br />
nicht funktioniert, erwägen wir auch<br />
diese Option. Es ist falsch, die AfD<br />
auf den Dexit zu reduzieren. DasGezerre<br />
umden Brexit schreckt derzeit<br />
„Ich schätze mich nicht<br />
als rechtsradikal ein“<br />
Serie zum Superwahljahr in Brandenburg: AfD-Spitzenkandidat Andreas Kalbitz über<br />
eine mögliche Zusammenarbeit mit der CDU und die lokale Verankerung seiner Partei<br />
Andreas Kalbitz sagt, es sei nur noch eine Frage der Zeit, wann die AfD in einem Bundesland regiert.<br />
natürlich ab. Aber der Supergau für<br />
den EU-Apparat wäre, wenn Großbritannien<br />
nach dem Brexit irgendwann<br />
besser dasteht. Dann können<br />
Siewarten, werinOsteuropa folgt.<br />
Sie wollen eine Festung Europa, fordern:<br />
Grenzen dicht. Waswürden Sie<br />
mit Flüchtlingen im Land machen?<br />
Mitder sogenannten Flüchtlingskrise<br />
kamen etwa eine Million Menschen,<br />
deren Identität oft nicht klar<br />
ist. Leute,die immer gernihren Pass<br />
verlieren, aber nie ihr Handy.Esgibt<br />
eine Asylindustrie,die das befördert.<br />
Deshalb: sorgsame Prüfung der<br />
Identität und der Aufenthaltsberechtigung.<br />
Wir fordern, dass Geldleistungen<br />
für sogenannte Flüchtlinge<br />
reduziert und durch Sachleistungen<br />
ersetzt werden. DieMasse vonihnen<br />
kommt doch nach Deutschland, weil<br />
es hier üppige Sozialleistungen gibt.<br />
Sie würden doch auch lieber in ein<br />
Land flüchten, in dem es keine extreme<br />
Arbeitslosigkeit gibt, oder?<br />
Das kann ich in der Motivation<br />
nachvollziehen. Es gibt auch viele,<br />
die sich integrieren, aber wir können<br />
nicht negieren, dass die Politik der<br />
planlosen Zuwanderung für massive<br />
Probleme in allen Bereichen sorgt.<br />
Die AfD steht zum Grundrecht auf<br />
Asyl. Werbleibeberechtigt ist, muss<br />
sich integrieren. Wernicht bleibeberechtigt<br />
ist, ist abzuschieben. Wie es<br />
der Rechtsgrundlage entspricht.<br />
ZUR PERSON<br />
Herkunft: Andreas Kalbitz, geboren 1972 in München, ist verheiratet und Vater dreier Kinder.<br />
Von1994 bis 2006 war er Fallschirmjäger,danach Geschäftsführer eines Hörbuchverlages in<br />
Königs Wusterhausen und nach dessen Insolvenz freiberuflicher IT-Berater.<br />
Politik: Kalbitz begann bei der Jungen Union, ging 1993 zu den rechtsradikalen Republikanern.<br />
Er war Mitglied oder hatte Kontrakt zu Organisationen, die vonFachleuten teils als<br />
rechtsradikal eingestuft werden. Seit 2014 sitzt er im Landtag und ist AfD-Fraktionschef.<br />
Washeißt das für Brandenburg?<br />
Wir fordern, dass kriminelle abschiebepflichtige<br />
Asylbewerber inhaftiert<br />
werden. Wir fordern, dass<br />
Abschiebungen auf Landesebene erfolgen,<br />
das soll nicht mehr den Landkreisen<br />
überlassen werden. Dort<br />
funktioniert esimRegelfall schlecht<br />
oder gar nicht. Es halten sich noch<br />
immer viel zu viele sogenannte<br />
Flüchtlinge illegal hier auf.<br />
Haben SiedaZahlen?<br />
Nein, ich halte nichts von der<br />
Dramatisierung mit Zahlen …<br />
Nurvon Dramatisierung mit Worten.<br />
Mut zur Wahrheit ist nicht zwingend<br />
eine Dramatisierung.<br />
Sie nennen Claudia Roth oder Margot<br />
Käßmann „Deutschland-Hasser“,<br />
„Deutschland-Abschaffer“. Waswürden<br />
Sie mit ihnen machen? Sie sagen<br />
ja auch: „Wer Deutschland nicht<br />
liebt, soll Deutschland verlassen.“<br />
Es ist keine politische Forderung.<br />
Es ist ein Wunsch, das kann als Aufforderung<br />
verstanden werden.<br />
Es ist also keine Drohung?<br />
Natürlich nicht.Wirhaben keinen<br />
politischen Alleinvertretungsanspruch.<br />
Es geht um Personen, denen<br />
ich persönlich nicht glaube, dass sie<br />
der Intention ihres Amtseides gerecht<br />
werden, nämlich das Wohl des<br />
deutschen Volkes zu mehren und<br />
BERLINER ZEITUNG/MARKUS WÄCHTER<br />
Schaden von ihm abzuwenden. Ich<br />
glaube, dass diese Menschen politisch<br />
nicht am richtigen Platz sind.<br />
Wastun sie dagegen?<br />
Ich überzeuge andere, dies auf<br />
demokratischem Wege – friedlich<br />
und gewaltfrei –zuverändern, indem<br />
man andere Mehrheiten<br />
schafft. So funktioniert Demokratie.<br />
Wenn das nicht funktioniert, bin ich<br />
halt demokratisch unterlegen.<br />
Aber bei Ihnen und Björn Höcke hört<br />
sich das anders an: „Die AfD ist die<br />
letzte evolutionäre, die letzte friedliche<br />
Chance für unser Vaterland.“ Das<br />
klingt nach Drohung: Wenn Ihr uns<br />
nicht wählt, gibt’s eine Revolution.<br />
Nein, keine Revolution. So ist es<br />
nicht gemeint. Es ist keine Drohung,<br />
es ist eine Befürchtung.Wenn die anderen<br />
ihren Jobrichtig gemacht hätten,<br />
gäbe es uns doch gar nicht.<br />
Siehaben auch gesagt:Wenn’s mit der<br />
AfD nicht klappt, dann: „Helm auf!“<br />
Es folgt aber dann noch der Satz,<br />
der immer weggelassen wird: „Und<br />
das möchte ich nicht.“<br />
Trotzdem klingt „Helm auf“ kriegerisch,<br />
wie ein Angriffsbefehl.<br />
Es ist eine Metapher.Inden meisten<br />
Ländernwurde die Polizei wie in<br />
Brandenburg kaputtgespart. Wenn<br />
es so weiter geht mit der inneren Sicherheit,<br />
bedarfman eines Schutzes.<br />
EinHelm ist ein passives Schutzmittel.<br />
Ich rede doch nicht von Waffen.<br />
Miteinem Helm greift man nicht an.<br />
Der Verfassungsschutz sieht Ihre<br />
Nachwuchsorganisation als Verdachtsfall.<br />
Wiestufen Siedie AfD ein?<br />
Als national-konservativ und fest<br />
auf dem Boden des Grundgesetzes<br />
verwurzelt.<br />
UndAndreas Kalbitz und den Flügel<br />
um Björn Höcke?<br />
Als ebenso national-konservativ.<br />
Siewaren bei den rechtsradikalen Republikanern<br />
und im völkischenWitikobund<br />
und 2007 im Sommerlager<br />
der Heimattreuen deutschen Jugend.<br />
Die wurde später verboten. Begründung:<br />
„Heranbildung einer neonazistischen<br />
Elite“. Sind Sierechtsradikal?<br />
Ichschätzemich nicht als rechtsradikal<br />
ein, sondern national-konservativ.Wenn<br />
Siesich auf Dinge beziehen,<br />
die 20 Jahrezurückliegen …<br />
…wieso zurückliegen? Sie waren bis<br />
2015 Chef der rechtsextremen Vereinigung<br />
Kultur- und Zeitgeschichte,<br />
gegründet von einem SS-Mann und<br />
NPD-Funktionär …<br />
Ich nehme für mich in Anspruch,<br />
mich entwickelt zu haben. Leute aus<br />
anderen Milieus werden da gnädiger<br />
behandelt. Als Joschka Fischer Umweltminister<br />
in Hessen wurde, flog<br />
doch fast noch der letzte Stein durch<br />
die Luft, den er geworfen hatte.<br />
Zur Gegenwart. In Ihrer Fraktion arbeitete<br />
ein ehemaliges NPD-Mitglied.<br />
Andere Parteien sagen, dass Leute<br />
vonder Identitären Bewegung bei Ihnen<br />
oft vorbeikommen. Stimmt das?<br />
Dasist falsch. Es gab einen Mitarbeiter,<br />
der mit 16 mal ein Jahr in der<br />
NPD war und der deshalb bei uns<br />
entlassen wurde. Wir haben einen<br />
klaren Abgrenzungsbeschluss. Es<br />
gibt keine Zusammenarbeit mit der<br />
Identitären Bewegung, und wir haben<br />
hier niemanden, der einer extremistischen<br />
Vereinigung angehört.<br />
Sie haben bei einer Demo der einwanderungsfeindlichen<br />
Bewegung<br />
„Zukunft Heimat“ geredet, wo Leute<br />
der Identitären dabei waren, von Pegida<br />
und „Ein Prozent“. Warum suchen<br />
Sie diese Nähe? Die Parteiführung<br />
sähe es doch lieber, wenn Mitglieder<br />
nur auf AfD-Demos gehen.<br />
Es ist eine Empfehlung des Bundesvorstandes,<br />
dem ich angehöre.<br />
Der Empfehlung kann man folgen,<br />
muss aber nicht. Ichglaube,die Mitglieder<br />
sind mündig genug, selbst zu<br />
entscheiden, wo sie ihr Recht auf Demonstrationsfreiheit<br />
wahrnehmen.<br />
Schauen wir nach vorn: Beim Wahlparteitag<br />
endete IhreRede mit einem<br />
Blick auf die rot-rote Regierung: „Die<br />
haben Angst, dass wir in den Keller<br />
gehen und die Akten abstauben. Und<br />
es reicht für 100 Jahre Knast.“ Wofür<br />
sollen die Minister ins Gefängnis?<br />
Das ist natürlich sprachlich<br />
„pointiert“. Die Motivation ist nicht,<br />
Menschen anlasslos wegen ihrer<br />
Einstellung zu inhaftieren. Gemeint<br />
ist, dass es wegen des rot-roten Filzes<br />
eine Menge eklatanter Missstände<br />
gibt, die es aufzuarbeiten gilt.<br />
Siesind Münchener,leben seit 16 JahreninBrandenburg.<br />
Gefällt es Ihnen?<br />
Ja, sehr – Brandenburg ist für<br />
meine Familie längst Heimat.<br />
Aber die AfD neigt doch dazu, die<br />
Lage im Land furchtbar zu finden.<br />
Bezogen auf die politische Lage<br />
leidet das Land schwer unter der<br />
Missregierung von Rot-Rot. Wasich<br />
aber liebe, ist nicht nur die Landschaft,<br />
es sind die Menschen. Im Osten<br />
ist die Wendeerfahrung gegenwärtiger,<br />
die Menschen sind kritischer,inder<br />
Mentalität nicht so festgefahren,<br />
und die Parteienbindung<br />
ist nicht so ausgeprägt. Diese Flexibilität<br />
halte ich für sehr progressiv.Die<br />
Leute sind veränderungsbereiter.<br />
Das heißt aber auch, dass die AfD<br />
nicht auf Dauer oben bleibt …<br />
Nichts ist für die Ewigkeit. Auch<br />
nach dem Römischen Reich kam etwas<br />
neues.Panta rhei, alles fließt.<br />
DasGespräch führten Jens<br />
Blankennagel und Annika Leister.