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8* <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 80 · F reitag, 5. April 2019<br />
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Meinung<br />
Charité-Institut<br />
ZITAT<br />
Entscheidung im<br />
Sinne der Forschung<br />
Torsten Harmsen<br />
freut sich, dass ein Spitzen-Institut<br />
jetzt auf sicheren Füßen steht.<br />
„Es waren vor allem<br />
konservative Politiker,<br />
die Europa<br />
vorangebracht haben.“<br />
Endlich haben sich Bund und Land Berlin<br />
geeinigt. Es hatte schon fast so ausgesehen,<br />
als entwickle sich das 2013 gegründete<br />
<strong>Berliner</strong> Institut für Gesundheitsforschung<br />
(BIG) zu einer Art hauptstädtischem<br />
Wissenschafts-Flughafen. Am<br />
Anfang wollte man hoch hinaus. Doch<br />
bald landete man in Dauerproblemen, in<br />
Führungsquerelen und Profilstreit.<br />
Nun sind Bund und Land Berlin übereingekommen,<br />
das Institut als eigenständige<br />
Säule –wie es heißt –indie Charité<br />
einzubinden. Es erhält eine klare Struktur<br />
und eine üppige Förderung: jährlich etwa<br />
80 Millionen Euro, davon 90 Prozent vom<br />
Bund. Damit wird Berlin als Forschungsstandortnachhaltig<br />
aufgewertet.<br />
Aber es geht gar nicht ums Geld an sich,<br />
sondern umdie Forschung. Zum Beispiel<br />
um die des Herz-Kreislauf-Forschers Holger<br />
Gerhardt, der voretwa fünf Jahren aus<br />
London nach Berlin gekommen ist, um am<br />
BIG ein Netzwerk aufzubauen. Er arbeitet<br />
mit vielen Laboren weltweit zusammen.<br />
Sein Interesse gilt Fragen wie: Warum<br />
überstehen bestimmte Patienten einen<br />
Herzinfarkt besser als andere? Oder: Was<br />
trägt dazu bei, dass Tumore wachsen? Mit<br />
seinem Team ist er den Zellen vonBlutgefäßen<br />
auf der Spur,die dabei eine entscheidende<br />
Rolle spielen.<br />
Mit der Vereinbarung von Bund und<br />
Land eröffnet sich nicht nur die Chance,<br />
dass Ergebnisse seiner Forschung bald<br />
auch Charité-Patienten zugutekommen.<br />
Nein, sie war auch notwendig, um ein Abwandern<br />
von Spitzenforschern zuverhindern.<br />
Wissenschaft ist Wettbewerb.Holger<br />
Gerhardt gehört garantiert zujenen Forschern,<br />
die jetzt erleichtertaufatmen, dass<br />
die Unsicherheit über die Zukunft des <strong>Berliner</strong><br />
Spitzen-Instituts ein Ende hat.<br />
Türkei<br />
Panik bei Erdogans<br />
Günstlingen<br />
Frank Nordhausen<br />
hält die Situation nach der Kommunalwahl<br />
für äußerst unsicher.<br />
Die Türkei steht am Scheideweg. Die<br />
Niederlage des Dauerherrschers Recep<br />
Tayyip Erdogan bei den Kommunalwahlen<br />
in den großen Metropolen hat der<br />
Opposition im Land gutgetan. Wieerwartet,<br />
tut sich die AKP schwer, die Niederlage<br />
zu akzeptieren, und hat die Nachzählung<br />
vonStimmzetteln erwirkt. Dasist ihr<br />
gutes Recht und zumal bei einem so<br />
knappen Wahlausgang in Istanbul verständlich.<br />
Misstrauisch macht jedoch die<br />
völlig anderslautende Begründung für die<br />
Überprüfung durch AKP-Politiker und regierungsnahe<br />
Medien, die das Debakel als<br />
„Putsch“ bezeichnen und der Oppositionspartei<br />
CHP „Urnendiebstahl“ vorwerfen.<br />
Tatsächlich sind Tausende Erdogan-<br />
Günstlinge und Profiteureseines Patronagesystems<br />
in heller Panik, bangen um ihre<br />
Pfründen und setzen die Regierung unter<br />
Druck. Sie versuchen jetzt, die Wahlen in<br />
Istanbul mit allen Mitteln zu annullieren.<br />
Angesichts früherer Manipulationen<br />
ist die Angst vieler Oppositionswähler berechtigt,<br />
Erdogan könne ihnen den Sieg<br />
wieder stehlen. Der Präsident ist in einer<br />
Zwickmühle.Erkennt er den Triumph des<br />
CHP-Kandidaten Ekrem Imamoglu in Istanbul<br />
an, könnte ihm ein gefährlicher<br />
Präsidentschaftskonkurrent erwachsen.<br />
Missachtet er den Wählerwillen, überschritte<br />
er die rote Linie zur Diktatur. Er<br />
würde nicht nur einen Volksaufstand riskieren,<br />
sondern auch seine eigene Legitimität<br />
als regulär gewählter Präsident beschädigen.<br />
Niemand zweifelt, dass allein<br />
Erdogan die Entscheidung trifft. Aber<br />
Deutschland und die EU könnten sie ihm<br />
erleichtern –indem sie ihn daran erinnern,<br />
wie sehr sein Land ausländische Investitionen<br />
braucht und wie wichtig dafür<br />
ein rechtsstaatliches Umfeld ist.<br />
Lehrer Plaumann, Fridays for Future<br />
Wer im Bundestagspräsidium<br />
sitzt, ist im parlamentarischen<br />
System der Bundesrepublik<br />
angekommen.Werdas Amt einer<br />
Bundestags-Vizepräsidentin bekleidet,<br />
erteilt und entzieht nicht nur das Rederecht.<br />
Eine Vizepräsidentin verteilt Ordnungsrufe,<br />
sie kann Abgeordnete des Saales verweisen.<br />
Sie steht zumindest zeitweise der ersten Gewalt<br />
des Staates vor.<br />
Der AfD ist dieses Amt nun zum insgesamt<br />
sechsten Malverweigertworden. Dreimal<br />
dem Abgeordneten Albrecht Glaser,<br />
dreimal der Abgeordneten Mariana Harder-<br />
Kühnel. Das ist eine Premiere in der Geschichte<br />
der Bundesrepublik. Und esist das<br />
gute Recht der Abgeordneten, so zu agieren.<br />
Der Anspruch jeder Fraktion auf einen Posten<br />
im Präsidium steht dem freien Mandat<br />
der Abgeordneten entgegen. Eine Wahl ist<br />
eine Wahl –und kein Abnicken.<br />
Quer durch alle Fraktionen haben die Parlamentarier<br />
gegen die Hessin gestimmt,<br />
trotz der Wahlempfehlungen von Unions-<br />
Fraktionschef Ralph Brinkhaus und FDP-<br />
Chef Christian Lindner.Die Chefs haben sich<br />
verrannt mit ihrem Appell, der AfD auch mal<br />
etwas zu gönnen. Oder sie wollten nur die<br />
Verantwortung abschieben für ihre störrischen<br />
Fraktionsangehörigen, die der AfD<br />
nichts gönnen. Beides ist nicht glamourös<br />
für Brinkhaus und Lindner.Denn die Ablehnung<br />
von Harder-Kühnel ist keine Niederlage<br />
der Demokratie, sondern ein Sieg des<br />
Parlaments. Der Bundestag hat in seiner<br />
Mehrheit den schwierigeren Weggewählt.<br />
423 Abgeordnete fanden am Donnerstag,<br />
dass Mariana Harder-Kühnel, Juristin aus<br />
Hessen, ungeeignet für dieses Amt ist. 199<br />
stimmten für sie. Das ist ein äußerst klares<br />
Ergebnis. Eszeigt, dass eine klare Mehrheit<br />
Meine Kinder dabei zu beobachten, wie<br />
sie sich an den Protesten zum Thema<br />
Klimawandel beteiligen oder beim Abendbrot<br />
leidenschaftlich über Meinungsfreiheit<br />
und Artikel 13 diskutieren, ist für mich eines<br />
der aufregendsten Erlebnisse bei der Erziehung<br />
vonTeenagern.<br />
Ich kann mich noch gut daran erinnern,<br />
dass,als ich in ihrem Alter war,ein deutscher<br />
Austauschschüler an unserer amerikanischen<br />
Schule geschockt über den Mangel<br />
kritischen Denkens bei amerikanischen<br />
Teenagern war. Ersagte damals, ersei erschrocken<br />
darüber, wie wenig wir über den<br />
Rest der Welt wüssten und wie wenig wir unsere<br />
Lehrinhalte hinterfragten. Auch belgische<br />
oder französische Austauschschüler<br />
dachten so, und auch ich fragte mich damals,<br />
obwir wirklich apathischer und ignoranter<br />
waren als europäische Teenager.<br />
Das alles war in den 80er-Jahren, einer<br />
Zeit vor dem Internet, in der Transatlantikflüge<br />
für Amerikaner aus der Mittelklasse nahezu<br />
unerschwinglich waren. Waswir über<br />
das Leben in Europa wussten, lernten wir<br />
vonden Austauschschülernaus Übersee.<br />
Viele vonihnen hatten Probleme mit den<br />
Regeln, die ihnen ihreamerikanischen Gasteltern<br />
auferlegten. Während deutsche Austauschschüler<br />
nach eigenen Angaben<br />
manchmal sogar ein Bier mit ihren Eltern<br />
teilten, mussten gleichaltrige amerikanische<br />
Teenager Alkoholkonsum strikt verheimlichen.<br />
Europäische Teenager waren darüber<br />
aufgebracht, wie früh sie am Wochenende<br />
AfD-Pleite<br />
Sieg des<br />
Parlaments<br />
JanSternberg<br />
meint, dass der Bundestag es überstehen wird, wenn ein Vizepräsidenten-Posten<br />
bis zur nächsten Wahl unbesetzt bleibt.<br />
KOLUMNE<br />
Mehr Mut zum<br />
Protest,<br />
US-Teenager!<br />
Rose-Anne Clermont<br />
Autorin<br />
wieder zu Hause sein mussten. Unddie Liste<br />
weiterer Konfliktpunkte war lang …<br />
Als ich nach Deutschland kam, hat mich<br />
einiges verwundert: Es gibt Babys, die unbeaufsichtigt<br />
vor dem Geschäft im Kinderwagen<br />
geparkt werden, und Grundschüler, die<br />
alleine in öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs<br />
sind. Ich wurde als Mutter wahrgenommen,<br />
die als „überbeschützend“ galt.<br />
Wenn meine Kinder stritten, dann belehrten<br />
BERLINER ZEITUNG/THOMAS PLASSMANN<br />
des Bundestags kein Interesse an einer Normalisierung<br />
des Parlamentsbetriebs in dieser<br />
Legislaturperiode hat. Keine Normalisierung<br />
eines Parlaments, zudem die AfD gehört.<br />
In deren Reihen sitzen Rechtsradikale<br />
und Demokratieverächter genauso wie ehrlich<br />
engagierte Fachpolitiker.<br />
Als eine dieser ehrlich engagierten Fachpolitikerinnen<br />
galt auch Mariana Harder-<br />
Kühnel. Sanft im Auftreten, konservativ in<br />
der Sache. Aber an ihrer Person ist das Dilemma<br />
der AfD grell erkennbar. Die Juristin<br />
aus dem gediegenen Taunus ist alles andere<br />
als eine Krawallnudel. Sie marschiert nicht<br />
mit Pegida wie die ostdeutschen Landesvorsitzenden<br />
in Chemnitz. Aber auch sie suchte<br />
Unterstützer bei den Abgeordneten vom radikalen<br />
„Flügel“: Sieverzichtete auf jede Distanzierung<br />
vonden Rechtsradikalen in Partei<br />
und Fraktion. Am Donnerstag wurde bekannt,<br />
dass der Chef der deutschen „Identitären<br />
Bewegung“ für einen dieser AfD-Abgeordneten<br />
arbeitet. Mitglieder des Bundestags<br />
finanzieren also Rechtsextreme und machen<br />
sie salonfähig.<br />
DieAfD wirdauch nach zwei Pleiten nicht<br />
darauf verzichten, Kandidaten für den Posten<br />
aufzustellen. Daskostet wertvolle Zeit im<br />
Parlament, ist aber ebenso ihr gutes Recht.<br />
Dabei wird jeder einzelne ihrer Abgeordneten<br />
im Fokus stehen. Wie Glaser, der Muslimen<br />
das Recht auf freie Religionsausübung<br />
absprach. WieHarder-Kühnel.<br />
„Das hält der Deutsche Bundestag aus“,<br />
hatte FDP-Chef Christian Lindner gesagt, als<br />
er ankündigte, für Harder-Kühnel zu stimmen.<br />
Dasist ebenso richtig wie das Gegenteil.<br />
Denn der Bundestag muss es aushalten, dass<br />
die Gräben im Parlament so tief sind, dass ein<br />
Vizepräsidenten-Posten vermutlich eine<br />
ganzeLegislaturperiode unbesetzt bleibt.<br />
Einige Befürworter argumentieren, dass<br />
die AfD mit einem Posten im Präsidium in<br />
die Verantwortung genommen werden<br />
würde. Dass sich die Zivilisierung oder weitere<br />
Radikalisierung der Fraktion daran zeigen<br />
würde,wie Harder-Kühnel die Sitzungen<br />
leitet und ob sie auch gegen eigene Leute<br />
einschreitet. Diese Argumentation ist billig.<br />
Es geht ums Prinzip –und um die konkrete<br />
Person. Und vor allem geht es um die freie<br />
Entscheidung derAbgeordneten.<br />
Die AfD ist die Partei, deren Abgeordnete<br />
rechtsradikale Slogans ins Plenum bringen.<br />
Die AfD-Fraktion stellt die demokratischen<br />
Grundregeln infrage –und nicht jene Abgeordnete,<br />
die Mariana Harder-Kühnel die<br />
Stimme verwehrt haben.<br />
mich deutsche Eltern, es sei besser,wenn die<br />
Kinder das unter sich ausmachten.<br />
Obwohl es mir widerstrebte, kam ich zu<br />
der Einsicht, dass deutsche Kinder meistens<br />
tatsächlich unabhängiger sind und über<br />
mehr Selbstsicherheit und Verantwortungsbewusstsein<br />
verfügen. Und ich erkenne<br />
auch, dass meine in Europa aufgewachsenen<br />
Kinder mehr über die Welt nachdenken,<br />
als ich das in ihrem Alter getan habe.<br />
Mittlerweile sind auch amerikanische<br />
Teenager bereit, für ihre Themen zu kämpfen.<br />
Nach dem Amoklauf letztes Jahr an der<br />
Parkland-Schule hat eine Gruppe mutiger<br />
Teenager offen gegen Waffengesetze inden<br />
USA protestiert und Politiker konfrontiert.<br />
Kinder in NewYorks Fieldston School haben<br />
letzte Wochedie Schule besetzt und den Unterricht<br />
unterbrochen, um gegen Rassismus<br />
in der Schule zu protestieren.<br />
„Es ist nicht so, dass Klimawandel bei uns<br />
nicht wichtig ist, aber andere Themen sind<br />
uns im Moment wichtiger“, sagte mir eine alte<br />
Freundin in NewYork, deren Tochter nicht bei<br />
„Fridays for Future“ mitläuft. Eine weitere<br />
Freundin aus Oakland, die letztes Jahr ihr<br />
Haus aufgrund der Waldbrände verlassen<br />
musste,hatte bisher noch gar nichts von„Fridays<br />
for Future“ in ihrer Gegend gehört.<br />
Vielleicht eröffnet ihnen das Internet eine<br />
neue,erweiterte Perspektiveauf das,was europäische<br />
Kinder tun. Vielleicht können europäische<br />
Teenager amerikanische Kinder<br />
auf diese Weise davon überzeugen, dass es<br />
lohnt, um das Klima zu kämpfen.<br />
Annegret Kramp-Karrenbauer,<br />
CDU-Vorsitzende und<br />
mutmaßliche Kanzlerkandidatin<br />
ihrer Partei, im Stern-Interview<br />
über ihre erste Zeit als<br />
Parteivorsitzende<br />
AUSLESE<br />
Die Nato und ihre<br />
Probleme<br />
Die Nato ist 70 geworden, aber die Feierlaune<br />
ist wegen vielfältiger Herausforderungen<br />
gedämpft. Die Süddeutsche<br />
<strong>Zeitung</strong> benennt diese: „In diesen Tagen,<br />
... ist die Nato ... der Ortder Entscheidung<br />
für die möglicherweise wichtigste außenpolitische<br />
Ordnungsfrage, die seit Ende<br />
des Zweiten Weltkriegs beantwortet werden<br />
muss: Werverbündet sich mit wem?<br />
Wofür steht der Klub, und wer trägt welche<br />
Last?“ Die Westfälischen Nachrichten<br />
sprechen ein weiteres Problem an: „Für<br />
Bundesaußenminister Maas wird die<br />
Party inWashington eher eine peinliche<br />
Angelegenheit“, heißt es dort. „Die Deutschen<br />
als Drückeberger? Die geforderten<br />
zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts<br />
für den Verteidigungsetat sind jedenfalls<br />
nicht in Sicht.“<br />
Die deutschen Investitionen thematisiert<br />
auch die Neue Osnabrücker <strong>Zeitung</strong>.<br />
Die Forderung von US-Präsident Trump<br />
nach mehr Verantwortung Deutschlands<br />
sei richtig. „Aber pauschal mehr Geld für<br />
Verteidigung zu fordern, ist nicht sinnvoll.“<br />
„Die meisten Politiker und Bürger<br />
nehmen zu wenig zur Kenntnis, dass die<br />
Bedrohung unseres Lebensmodells nicht<br />
ein Szenario von gestern ist, sondern<br />
hochaktuell“, glaubt die Stuttgarter <strong>Zeitung</strong>.„DieNato<br />
ist daher heute gerade für<br />
die Deutschen genauso wichtig wie vor<br />
Jahrzehnten, ihr Wert unbezahlbar. Deshalb<br />
sind die Prioritäten der Bundesregierungin<br />
in ihrer Finanzplanung verwunderlich.“<br />
Christine Dankbar<br />
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