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Berliner Zeitung 05.04.2019

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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 80 · F reitag, 5. April 2019 – S eite 21<br />

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Feuilleton<br />

Immer noch großer Pop:<br />

The Specials in der<br />

Max-Schmeling-Halle<br />

Seite 22<br />

„Stars sind die Brücke zum Publikum.“<br />

Carlo Chatrian, künstlerischer Leiter der Berlinale, im Gespräch über deren Zukunft Seite 22<br />

Deutscher Tanzpreis<br />

Wemdie<br />

Zukunft gehört<br />

Michaela Schlagenwerth<br />

bewertet „Community<br />

Dance“ als eigene Kategorie<br />

Heute werden in Essen die Träger<br />

des Deutschen Tanzpreises bekannt<br />

gegeben. Wie schon im vergangenen<br />

Jahr sind wieder zwei <strong>Berliner</strong><br />

Künstlerinnen mit dabei. Der<br />

Hauptpreis geht an den für den Tanz<br />

wohl wichtigsten Fotografen, den<br />

75-jährigen Gert Weigelt. Der Tanzpreis<br />

Zukunft aber geht an Berlin:<br />

Die Choreografin Isabelle Schad<br />

wird für ihre Körper-Recherchen<br />

ausgezeichnet und die Choreografin<br />

Jo Parkes für ihrewegweisenden Projekte<br />

im Community Dance. Indiesem<br />

Genre wurde zuletzt vor 14Jahren<br />

jemand berücksichtigt: Royston<br />

Maldoom für seine Kooperation mit<br />

den <strong>Berliner</strong> Philharmonikern bei<br />

dem Film „Rhythm is it“.<br />

Jo Parkes gründete vorfünf Jahren<br />

mit der Heilpädagogin Barbara<br />

Weidner das Projekt Junction, das<br />

Tanzworkshops für Asyl suchende<br />

Kinder und Mütter anbietet. Perspektivisch<br />

soll das auf Beteiligung,<br />

Verantwortung und sozialen Zusammenschluss<br />

setzende Konzept auch<br />

dort umgesetzt werden, wo die geflüchteten<br />

Menschen jetzt feststecken.<br />

In Italien und Spanien und an<br />

den RändernEuropas.Die Auszeichnung<br />

dürfte Jo Parkes sehr willkommen<br />

sein, um mehr Aufmerksamkeit<br />

für ihr Vorhaben zu bekommen. Natürlich<br />

freue sie sich über die Ehrung<br />

ihrer Person, sagt Parkes,aber vorallem<br />

darüber, dass mit der Auszeichnung<br />

Diversität und partizipative<br />

Praxis in den Fokus gerückt wird.<br />

Der Deutsche Tanzpreis hat sich<br />

erst vor zwei Jahren umstrukturiert.<br />

Aber eines hat er übersehen: Dass für<br />

den Bereich, der mit dem Begriff<br />

Community Dance nur begrenzt erfasst<br />

wird, eine eigene Kategorie angemessen<br />

wäre. Denn was auf diesem<br />

Feld geschieht, ist so lebendig,<br />

dynamisch und impulsgebend, dass<br />

es nicht nur alle 14 Jahre bedacht<br />

werden sollte.VieleTänzer haben ein<br />

Interesse,sich zu engagieren, sagt Jo<br />

Parkes, aber bislang gibt es dafür<br />

nicht einmal eine Ausbildung. In<br />

Berlin ist die zentrale Anlaufstelle<br />

dafür seit zehn Jahren –JoParkes.<br />

Vonder schwarzen Liste<br />

Das Label Soul Jazz Records erinnert an den wunderbaren und wichtigen Musiker Horace Tapscott<br />

VonMarkus Schneider<br />

Ohne ordentlichen Influencer<br />

hilft das beste Archiv<br />

nichts.Zum Beispiel<br />

kann man die Musik des<br />

Jazzmusikers Horace Tapscott<br />

durchaus auf den einschlägigen digitalen<br />

Plattformen hören. Aber es<br />

brauchte doch ein amtliches Revival,<br />

um sein Schaffen wenigstens ein<br />

bisschen wieder physisch zugänglich<br />

zu machen. Denn Tapscott ist<br />

eine Heldenfigur in Los Angeles –<br />

aber er bleibt auch 20 Jahrenach seinem<br />

TodimSchatten der mündlichen<br />

Überlieferung. Das Revival<br />

wirdnatürlich vonKamasi Washington<br />

betrieben, der nicht müde wird,<br />

den Einfluss Tapscotts auf die Jazzszene<br />

von Los Angeles und insbesondere<br />

seine eigene Crew The West<br />

Coast Get Down zubetonen, einem<br />

Netzwerk von Jazzern, Produzenten<br />

und Rappern wie Kendrick Lamar,<br />

die über die Genres hinweg durch<br />

die lokale Bindung verknüpft sind.<br />

Jetzt hat das geschmackssichere<br />

Londoner Archiv-Label Soul Jazz<br />

zwei Live-Stunden von Tapscotts<br />

Pan-Afrikan Peoples Arkestra als<br />

Triple-Vinyl und Doppel-CD wiederaufgelegt,<br />

die prall gefüllt sind mit<br />

sausendem, großformatigem Cosmic<br />

Jazz, mit Tapscotts dunklen, harten<br />

Akkorden und dicken Basslines<br />

als Schrittmacher, mit komplexer<br />

Percussion und schwelgerisch arrangierten,<br />

überwiegend holzbasierten<br />

Bläsern. Die nehmen sich bis in die<br />

großartigen Flöten solistisch alle<br />

Freiheiten, heben auch ekstatisch<br />

ins Spirituelle ab.Aber am Ende bleiben<br />

sie bodennah dem kollektiven<br />

Groove verpflichtet oder treten zurück<br />

für eine leidenschaftliche Spoken-Word-Anrufung<br />

Eric Dolphys.<br />

Die Westcoast steht praktisch<br />

synonym für den Cool Jazz der Fünfziger,<br />

für gebremste Leidenschaft,<br />

akademische (auch weiße) Kontrolliertheit.<br />

Bop-orientierte Bands wie<br />

Gerald Wilsons Orchester oder die<br />

avangardistischen Stömungen blieben<br />

gegenüber den NewYorkernimmer<br />

am Rand des Jazzdiskurses.<br />

Tapscott indes entschied sich bewusst<br />

gegen die Jazzöffentlichkeit<br />

und fürs Lokale. Sein Pan-Afrikan<br />

Peoples Arkestra, gegründet 1961,<br />

wirkte –wie die zwei Jahrespäter initiierte<br />

Union of God's Musicians<br />

Wäre heute 85 Jahre alt geworden: Horace Tapscott (1934–1999).<br />

and Artists Ascension Foundation<br />

(Ugmaa) – als eine Art Talentschmiede<br />

für die schwarzen Neighborhoods<br />

vonSouth L.A. Siespielten<br />

im Park, inGefängnissen oder Kirchen<br />

wie der Immanuel United<br />

Church of Christ, woher diese<br />

schöne Aufnahme stammt und wo<br />

sie von1973 an auch probten.<br />

Dabei stand Tapscott durchaus<br />

vor einer ganz amtlichen Karriere.<br />

GETTY IMAGES<br />

Geboren am 6. April 1934 im texanischen<br />

Houston, aufgewachsen in<br />

Los Angeles, spielte er, bis er sich<br />

eine Lippe ruinierte, zunächst Posaune<br />

und Klavier in der Army, in<br />

Lionel Hamptons Band, für Stars wie<br />

Sarah Vaughan und Julie London –<br />

aber die Arbeits- und Lebensbedingungen<br />

schwarzer Musiker in den<br />

segregierten USA stießen ihn direkt<br />

in die soziale und politische Arbeit<br />

ab.Das Arkestra–eine kulturelle Arche<br />

und Hommage an SunRa–sollte<br />

schwarze Kultur aus afroamerikanischer<br />

Sicht, selbstbewusst, stolz und<br />

mit dem ungeschönten historischen<br />

Hintergrund repräsentieren.<br />

Es gab regelmäßige Workshops<br />

und Unterricht für Kinder und Jugendliche,<br />

Gratiskonzerte und während<br />

der Aufstände in Watts 1965<br />

spielte die Band vom Lastwagen<br />

herab. Unter etlichen Hundert jungen<br />

Musikern des Arkestra imLaufe<br />

der Jahrefinden sich Post-Free-Stars<br />

wie Arthur Blythe und David Murray.<br />

Ende der Sechziger ließ Tapscott sich<br />

von Bob Thiele, einst Produzent der<br />

Impulseaufnahmen von u.a. John<br />

Coltrane, zu einer Quintett-Aufnahme<br />

für Thieles Firma Flying<br />

Dutchman überreden. Aber lieber<br />

arbeitete er mit Elaine Brown, u.a. an<br />

„The Message“,der Hymne der Black<br />

Panther Party, die Brown ab 1974<br />

auch anführen sollte. Diese Nähe –<br />

das Arkestra probte eine Weile im<br />

Stock unter dem Panthers-Hauptquartier<br />

– sorgte dafür, dass ihm<br />

künftige Avancen erspartblieben: Er<br />

wurde von FBI wie CIA überwacht<br />

und landete auf der schwarzenListe.<br />

Bis zuseinem Toderschienen zwar<br />

noch ein paar wenige Alben. Aber sie<br />

enstanden für Kleinstlabels aus dem<br />

Umfeld des Orchesters und sind<br />

sämtlich komplett vergriffen.<br />

„In den Siebzigerjahren“, zitieren<br />

die Liner Notes nun den großen Pianisten<br />

McCoy Tyner, „gab es keinen<br />

Musiker vonderWestküste,der nicht<br />

irgendwie aus der Schule Tapscotts<br />

kam.“ Auch in Kamasi Washingtons<br />

Musik lebt nicht nur der vielstimmige<br />

Jazzspiritualismus Tapscotts<br />

fort, sondernauch die Emphase,mit<br />

der Jazz als Musik für die Gemeinde<br />

und aus der Gemeinschaft verstanden<br />

wird. „Live AtIUCC“ hält –mit<br />

wenigen Längen –diese Lebendigkeit<br />

und Freiheit prachtvoll fest. Und<br />

gibt hoffentlich den Anstoß, diesen<br />

Musikeraus den Katakomben des digitalen<br />

Archivs ins Licht zu holen.<br />

Horace Tapscott withthe Pan-Afrikan Peoples<br />

Arkestra:„Live at I.U.C.C.“, Soul JazzRecords<br />

Markus Schneider<br />

wartet auf die Neuauflagen<br />

weitererTapscott-Alben.<br />

NACHRICHTEN<br />

Wechsel an der<br />

Verlagsspitze von S. Fischer<br />

Zum1.Juni wirdSiv Bublitz Verlegerische<br />

Geschäftsführerin der S. Fischer<br />

Verlage.Sie tritt die Nachfolge<br />

vonJörgBong an, der den Verlag verlässt.<br />

Wieerineinem Gespräch mit<br />

dem Börsenblatt vomDonnerstag<br />

mitteilt, wolle er sich jetzt vornehmlich<br />

dem eigenen Schreiben widmen.<br />

SivBublitz wechselte im September<br />

2017 als Geschäftsführerin<br />

Programm und Strategie zu S. Fischer<br />

und war zuvor zehn JahreVerlegerin<br />

bei Ullstein. JörgBong kam<br />

1997 zu S.Fischer,zunächst als Lektor<br />

und wurde 2002 Programmgeschäftsführer.Unter<br />

dem Pseudonym<br />

Jean-Luc Bannalec ist er mit<br />

bretonischen Kriminalromanen erfolgreich.<br />

(BLZ)<br />

Anwohner gegen Mahnmal<br />

von Libeskind in Amsterdam<br />

DerArchitekt Daniel Libeskind ist<br />

über einen Streit um ein Holocaust-<br />

Monument in Amsterdam tief beunruhigt,<br />

wie er am Mittwochabend in<br />

Amsterdam sagte.Mit einer einstweiligen<br />

Verfügung haben Anwohner<br />

die Errichtung eines vonLiebeskind<br />

im Auftrag des niederländischen<br />

Auschwitz-Komitees entworfenen<br />

Denkmals vorerst verhindert.<br />

Das„Namen-Monument“ besteht<br />

aus 102 000 Backsteinen für 102 000<br />

vonden Nazis ermordete niederländische<br />

Juden. DieAnwohner kritisieren,<br />

dass sie in die Planung nicht einbezogen<br />

wurden. DasGericht will<br />

Ende Maientscheiden. (dpa)<br />

Deutscher Nationalpreis an<br />

Anita Lasker-Wallfisch<br />

Dermit 30 000 Euro dotierte Deutsche<br />

Nationalpreis geht 2019 an die<br />

Holocaust-Überlebende Anita Lasker-Wallfisch.<br />

Damit werdeeine<br />

starke Streiterin im Kampf gegen den<br />

Antisemitismus ausgezeichnet, der<br />

in Deutschland und in vielen anderenwestlichen<br />

Ländernwieder zunehmend<br />

in Erscheinung trete,teilte<br />

die vonAltbundeskanzler Helmut<br />

Schmidt (SPD) gegründete Deutsche<br />

Nationalstiftung am Donnerstag in<br />

Hamburgmit. DieAuszeichnung<br />

wirdam10. September in Berlin verliehen.<br />

(dpa)<br />

UNTERM<br />

Strich<br />

Unsere Lehrer<br />

Herr Mahlow:<br />

Geographie<br />

VonKaroline Klemke<br />

Der Geographieraum lag in der oberen<br />

Etage in einer Ecke des Schulgebäudes<br />

und hatte einen Vorbereitungsraum, in dem<br />

sich Karten und Atlanten stapelten. Nicht<br />

nur Karten der DDR, sondern auch von<br />

Afrika, sogar Amerika und Australien. Ferne<br />

Sehnsuchtsorte, die, inzimmerhohe Rollen<br />

gewickelt, vorsich hin staubten.<br />

Der uneingeschränkte Herrscher über<br />

den Geographieraum war Herr Mahlow<br />

(Name geändert). Er trug abgeschrammelte<br />

Jeans zu schwarzer Lederjacke. Seine dunklen<br />

Haare waren schulterlang, er hatte eine<br />

helle Haut und seine Augen waren rotunterlaufen.<br />

Wirverehrten ihn schon allein wegen<br />

seines Anblicks.<br />

In unserer ersten Stunde bei ihm beobachtete<br />

er eine Weile schweigend, wie die<br />

hintereReihe weiter schwatze. Er drehte sich<br />

langsam zu seinem Tisch, und dann gab es<br />

kurzvor meinem Gesicht einen lauten Knall.<br />

Ich fuhr zusammen wie vom Blitz getroffen.<br />

Er hatte mit dem Zeigestock auf den Tisch<br />

geschlagen und wie nach einem Peitschenschlag<br />

saßen alle aufrecht da, und erschrockene<br />

Stille breitete sich aus.„Gut“, sagte er<br />

und grinste zufrieden, „dann können wir<br />

wohl beginnen.“<br />

Er war nicht nett. Streng examinierte er<br />

uns über die Steinkohlenanbaugebiete der<br />

UdSSR, alle 15 Sowjetrepubliken und ihre<br />

Hauptstädte und natürlich die Flüsse. Er<br />

lachte selten, aber manchmal ließ er nebenbei<br />

Bemerkungen fallen, bei denen wir vor<br />

Achtung erstarrten. „Wenn die DDR so weiterwirtschaftet,<br />

sind wir 1988 sowieso<br />

pleite“, war einer dieser Sätze. Eine undenkbareOffenheit.<br />

Dachten wir.<br />

NADIA BUDDE<br />

Also sprachen wir ihn an. „Warum haben<br />

wir in der DDR keine Reisefreiheit, und<br />

warum darfman nicht frei seine Meinung sagen,<br />

zum Beispiel über Tschernobyl?“ Er<br />

blätterte im Klassenbuch und schwieg. Ich<br />

dachte, wir müssten unsere Frage noch unterfüttern:<br />

„Die DDR ist Mitglied der UNO<br />

und darum gilt doch die UN-Menschenrechtskonvention.“<br />

Seine Antwort war ein<br />

geknurrtes Drohen: „Menschenrechtsdemagogie!“<br />

Er stand auf und verschwand Richtung<br />

Klassentür.Wir wunderten uns.<br />

Vorallem etwas später,als wir einzeln vorgeladen<br />

wurden. Hinter dem hellen Sprelacartschreibtisch<br />

saßen die übergewichtige Direktorin,<br />

Herr Mahlowund ein älterer Herr in<br />

braunem Anzug mit tiefhängenden Augenrändern,<br />

der stark schwitzte.„Setzen Sie sich<br />

bitte“, sagte die Direktorin, der Stuhl stand<br />

zwei Meter entfernt von ihrem Schreibtisch<br />

mitten im Raum: „Vor dem Genossen Parteisekretär<br />

Mahlow haben Sie eine imperialistische<br />

Menschenrechtskonzeption vorgetragen.“<br />

Ichsah ihn an. Ausblauen Augen blickte<br />

er zurück. „Unsere Deutsche Demokratische<br />

Republik bezahlt Ihre Schule, Ihren Krippenplatz,<br />

Ihre ärztlicheVersorgung“, mischte sich<br />

der schwitzende Fremde ein. „Sie haben bisher<br />

nur profitiert von den Errungenschaften<br />

der Werktätigen. Ihre gegen den Sozialismus<br />

gerichtete Hetzewerdenwir nicht dulden!“<br />

Es war der übliche Weg. Bildung gegen<br />

Systemtreue. Sechs Monate später war der<br />

Sozialismus in Auflösung begriffen und Herr<br />

Mahlow ein zerrissener Mensch. Vielleicht<br />

war er das immer schon. Als Sohn eines Professors,<br />

von dem er zeit seines Lebens verachtet<br />

wurde. Wenigstens im Klassenkampf<br />

wollte er ihm ebenbürtig sein. Er war ein<br />

schwerer Trinker. Man fand ihn ein paar<br />

Jahrenachder Wende in seiner Wohnung, an<br />

Erbrochenem erstickt. Wird fortgesetzt

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