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Berliner Zeitung 05.04.2019

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12 <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 80 · F reitag, 5. April 2019<br />

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Berlin<br />

Entschleunigung schult die Sinne: Das Käthe-Kollwitz-Museum in der Fasanenstraße bietet nun monatliche Slow-Art-Führungen für kleine Gruppen. Im Mittelpunkt steht jeweils nur ein Werk der Künstlerin.<br />

BERLINER ZEITUNG/MARKUS WÄCHTER<br />

In der Ruhe liegt die Kunst<br />

Slow Art heißt eine internationale Bewegung der entschleunigten Betrachtung. In Berlin wird dieser Trend nur langsam bekannt<br />

VonStefan Strauß<br />

Ein Bild und ganz viel Zeit.<br />

Besucher stehen schweigend<br />

voreinem Kunstwerk,<br />

manche setzen sich davor,<br />

sie betrachten es in Ruhe, lassen es<br />

auf sich wirken. Niemand stört, niemand<br />

hetzt und drängelt.<br />

Slow Art heißt eine neue Bewegung<br />

im internationalen Kunstbetrieb.Esist<br />

die Entdeckung der Langsamkeit.<br />

Denn auch in Museen, Galerien<br />

und Kunstausstellungen setzt<br />

sich das Getriebensein vieler Menschen<br />

fort–das steigende Tempo.<br />

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Hoch auf dem gelben Wagen: Mit<br />

4PSdurch die Lüneburger Heide<br />

Alles muss schnell gehen. Fünf bis<br />

elf Sekunden betrachten Besucher<br />

im Durchschnitt ein Kunstwerk, haben<br />

Forscher festgestellt. Doch wer<br />

Hegenbarth Sammlung:<br />

Das Haus in der Nürnberger<br />

Str.49lädt am Sonnabend<br />

(12–14 Uhr) zum Slow-Art-<br />

Workshop ein. Dabei geht es<br />

um Arbeiten mit Papier wie in<br />

der Ausstellung vonCorinne<br />

Laroche. Der Eintritt ist frei.<br />

SONNABEND IST SLOW ART DAY<br />

Museum Barberini: Das<br />

Potsdamer Museum (Humboldtstr.5–6)<br />

bietet unter<br />

dem Motto „Der ruhigeBlick“<br />

am Sonnabend 17 Uhr eine<br />

langsame Führung durch die<br />

Picasso-Ausstellung.Eintritt:<br />

14 Euro, Führung 3Euro.<br />

Kunst nur mit flüchtigen Blicken betrachtet,<br />

verpasst Details und Stimmungen.<br />

Die Slow-Art-Bewegung<br />

will den Kunstbetrieb entschleunigen.<br />

In Kunstmetropolen wie London<br />

und New York gehören solche<br />

Angebote längst zum Programm.<br />

Am internationalen Slow ArtDay,<br />

der am Sonnabend stattfindet, beteiligen<br />

sich fast 170 Einrichtungen<br />

weltweit. Doch in Berlin wirddie Bewegung<br />

nur langsam bekannt. Keines<br />

der großen Häuser ist beteiligt.<br />

Lediglich die Hegenbarth Sammlung<br />

in der Nürnberger Straße lädt<br />

Besucher am Slow Art Day zum<br />

Workshop ein. Derzeit werden dort<br />

Papierarbeiten der Künstlerin Corinne<br />

Laroche gezeigt. MitPapier arbeiten<br />

dann auch die Teilnehmer des<br />

Workshops. „Die Gäste können zur<br />

Ruhe kommen und sich viel Zeit lassen.<br />

Dasist ein Luxus in diesen hektischen<br />

Zeiten“, sagt die Kunsthistorikerin<br />

Katja Schöppe-Carstensen, die<br />

den Workshop organisierthat.<br />

In Potsdam lädt das Museum Barberini<br />

seine Besucher am Slow Art<br />

Day ein. Das Motto der Führung<br />

heißt „Der ruhige Blick“. Die Gäste<br />

setzen sich in der aktuellen Picasso-<br />

Ausstellung vor ein einzelnes Bild<br />

und betrachten es etwa zehn Minuten<br />

lang. Statt der üblichen Erklärungen<br />

und Interpretationen von Ausstellungsführernlassen<br />

die Besucher<br />

das Bild ohne fremde Hilfe auf sich<br />

wirken. „Das schult die eigene Wahrnehmung“,<br />

sagt Museumspädagogin<br />

Andrea Schmidt. Bereits, als die<br />

Picasso-Ausstellung aufgebaut<br />

wurde,haben die Mitarbeiter darauf<br />

geachtet, nicht zu viele Bilder in einen<br />

Raum zu hängen. Auch das gehört<br />

zur Slow-Art-Praxis: bloß keine<br />

Bilderflut. „Die luftige Hängung finden<br />

die Besucher sehr angenehm“,<br />

sagt Andrea Schmidt.<br />

Die Performancekünstlerin Marina<br />

Abramovic hat das hohe Tempo<br />

im Kunstbetrieb schon vor Jahren<br />

Käthe-Kollwitz-Museum:<br />

In der Fasanenstr.24inBerlin<br />

gibt es künftig Slow-Art-<br />

Führungen am letzten Mittwoch<br />

des Monats. Es geht<br />

immer um ein Bild der Künstlerin.<br />

Startist am 24. April<br />

um 18 Uhr.Eintritt: 7Euro<br />

kritisiert. Sie sagte, man zappe sich<br />

nur noch durch das Leben, besser<br />

wäre, die Bewegungen zu reduzieren<br />

und auf Stille zu setzen.<br />

Abramovic hat ihreIdee vonlangsamer<br />

Kunst in ihren Performances<br />

auf radikale Weise praktiziert. Vor<br />

neun Jahren saß sie zum Beispiel 75<br />

Tage lang auf einem Stuhl im New<br />

York Museum of Modern Art<br />

(Moma). Das waren 721 Stunden<br />

schmerzvollen Verharrens. Ihr gegenüber<br />

stand ein zweiter Stuhl, dort<br />

konnte sich jeweils ein Gast hinsetzen.<br />

Es gab keine Zeitvorgaben und<br />

viele emotionale Begegnungen. Marina<br />

Abramovic schaute ihr Gegen-<br />

über einfach nur an. Manche vonihnen<br />

weinten, auch die Künstlerin.<br />

Dass Ausstellungen und Museen<br />

zu den besten Ruhe- und Rückzugsorten<br />

gehören, erkannte das Moma<br />

gleich. Frühaufstehern bietet es seit<br />

ein paar Jahren„stille Morgende“ mit<br />

Meditation und Yoga an, bevor das<br />

Museum öffnet. Solche Morgensitzungen<br />

für Yoga und Meditation hat<br />

auch das Museum Barberini im Programm.<br />

„Es geht um den Blick nach<br />

innen“, sagt Museumspädagogin<br />

Andrea Schmidt.<br />

Seit etwa zehn Jahren gibt es die<br />

Slow-Art-Bewegung. DieTate Gallery<br />

of Modern Art in London hat ihre<br />

jüngste Ausstellung nach diesem<br />

Konzept gestaltet. Sie bittet Besucher,sich<br />

viel Zeit zu lassen beim Betrachten<br />

der etwa 100 Werke des<br />

französischen Post-Impressionisten<br />

PierreBonnard. In den Räumen hängen<br />

nur wenige Bilder, die Besucher<br />

können auf den Landschaftsbildern<br />

und Stillleben filigrane Details erkennen.<br />

In der Ruhe liegt die Kunst.<br />

Doch Ruhe ist in unserer Zeit eine<br />

Seltenheit. Und sogibt es in nahezu<br />

allen Lebensbereichen den Trend<br />

zur Entschleunigung. Slow Food, als<br />

Gegenbewegung zum Schnellimbiss,<br />

plädiert für eine geruhsame<br />

und gesunde Ernährung. Slow Travel<br />

lobt langsames Reisen, beim Slow<br />

Dating geht es ums Kennenlernen<br />

mit viel Zeit. UndinRatgebernraten<br />

Sexualtherapeuten im Zeitalter von<br />

Tempo und Leistungsdruck zum<br />

entspannten Slow Sex.<br />

„Man muss sich selbst zur Ruhe<br />

zwingen, um zur Ruhe zu kommen“,<br />

sagt Josephine Gabler, Direktorin<br />

des Käthe-Kollwitz-Museums. Sie<br />

setzt die Idee des entschleunigten<br />

Kunstgenusses mit einer Veranstaltungsreihe<br />

fort. DasMuseum bot bereits<br />

zur Langen Nacht der Museen<br />

2018 eine Slow-Art-Führung an, nun<br />

startet eine monatliche Reihe für<br />

kleine Gruppen. „Die Gäste können<br />

sehen lernen. Dasschult die Sinne.“<br />

Die Nachfragen mehren sich<br />

Auch bei den Staatlichen Museen<br />

mehren sich Nachfragen nach Slow<br />

Art. Ab Herbst wird essolche „entschleunigenden<br />

Angebote“ in der<br />

Gemäldegalerie und der Alten Nationalgalerie<br />

geben. Vor höchstens 25<br />

Teilnehmern wird ein Experte eine<br />

halbe Stunde lang ein Kunstwerk<br />

analysieren. Solche Angebote gebe<br />

es seit mehreren Jahren, sagt Markus<br />

Farr von der Pressestelle. Anfangs<br />

hießen sie Bildbetrachtungen, nun<br />

werden sie wegen des Slow-Art-<br />

Trends vermehrtangeboten.<br />

Das Schweigen der Gitarren<br />

Nach dem Rockhaus wirft auch der Bunker in Tempelhof seine Musiker raus. Sie müssen 47 Proberäume in nur einer Woche räumen. Die Mieter sind empört –und ratlos<br />

VonAnnika Leister<br />

Mehrere Autos warten mit offenen<br />

Türen vor einem Bunker<br />

im Süden Tempelhofs. Die Death-<br />

Metal-Bands Carnal Tomb und Evil<br />

Spirit räumen hastig ihr Equipment<br />

ein: Trommeln, Gitarren, Verstärker.<br />

Jahrelang haben die Bands in dem<br />

denkmalgeschützten Bunker geprobt<br />

–wie Dutzende andere auch.<br />

Bisdie Immobiliengesellschaft Covivio<br />

ihren Mietern am Freitag per<br />

Mail und Aushang an der Tür mitteilte:<br />

Ihrseid fristlos gekündigt.<br />

DieProberäume dürfen die Musiker<br />

ab sofortnicht mehr nutzen, Covivio<br />

begründet das mit Mängeln<br />

beim Brandschutz. NureineWoche –<br />

bis zum 7. April –lässt das Immobilienunternehmen<br />

den Musikern<br />

Zeit, ihre Habe auszuräumen. „So<br />

kurzfristig –das geht gar nicht“, sagt<br />

Marcelo Aguirre von Evil Spirit, der<br />

Lederjacke trägt. „Das ist ein Stil wie<br />

im Wilden Westen.“<br />

Wieder verliert Berlin 47 Proberäume,<br />

die über Untermietverträge<br />

zum Teil doppelt und dreifach belegt<br />

waren. Mehr als 100 Bands sind damit<br />

heimatlos, manche werden – wie<br />

Aguirres Band Evil Spirit –erst mal<br />

pausieren müssen. Berlin, das sich so<br />

gerne für seine kreativeSzene rühmt,<br />

wird immer mehr zu einer Stadt, in<br />

der Musiker gar keinen Platz haben.<br />

Mängel beim Brandschutz<br />

Denn die Lage auf dem Marktfür Proberäume<br />

ist hoffnungslos. Vor zwei<br />

Wochen erst kündigte der Betreiber<br />

des Rockhauses in Lichtenberg<br />

250 Proberäume,rund 1000 Musiker<br />

sind seither verzweifelt auf der Suche<br />

nach Ersatz. Die wenigen großen Alternativen,<br />

wie das Orwo-Haus in<br />

Marzahn-Hellersdorf, sind auf lange<br />

Zeit ausgebucht.<br />

In Tempelhof muss Covivio trotzdem<br />

nicht mit Protest rechnen. Die<br />

Bands fürchten die Zwangsräumung.<br />

Deshalb bringen sie ihre Instrumente<br />

lieber rasch in Sicherheit.<br />

„Bevor ein Sicherheitsunternehmen<br />

uns die Gitarren kaputt macht, räumen<br />

wir selbst“, sagt Aguirre.<br />

Die Covivio Immobilien GmbH<br />

mit Sitz in Stuttgart kauft seit 2011<br />

In dem Bunker in der Friedrich-Karl-Straße probten mehr als 100 Bands.<br />

Objekte verstärkt auch in Berlin und<br />

Potsdam auf. DerHochbunker in der<br />

Friedrich-Karl-Straße gehört dem<br />

Unternehmen seit September 2013.<br />

Er wurde in den 40er-Jahren im Rahmen<br />

des sogenannten Führer-Sofortprogramms<br />

errichtet, damals<br />

sollte er die Bevölkerung vor Bomben<br />

der Alliierten schützen. Wenig<br />

GERD ENGELSMANN<br />

kann man mit so einem fensterlosen<br />

Beton-Bollwerk heute anfangen.<br />

Drinnen sieht es nach Keller aus, es<br />

fehlen Fenster und natürliches Licht.<br />

Doch Mitte der 2000er-Jahre kam<br />

eine findige Immobilienfirma auf<br />

den Dreh: Sie vergrößerte die<br />

Räume, installierte Sanitäranlagen.<br />

Seither proben hier Bands. Die<br />

Wände des Bunkers schützen jetzt<br />

Nachbarnvor Lärm.<br />

In der Kündigung schreibt Covivio:<br />

„Die Stadt Berlin billigt aufgrund<br />

von Brandschutzauflagen gegenüber<br />

der Vermieterin die Nutzung in<br />

der bisherigen Form nicht mehr.“<br />

Die Stadt sehe eine Gefahr für „Leib<br />

und Leben“. Doch Bezirksamt und<br />

Senatsverwaltung verneinen –man<br />

habe keine Kontrollen in dem Bunker<br />

durchgeführt und von daher<br />

auch nichts zu beanstanden.<br />

„Sofortiges Handeln erforderlich“<br />

Auf Nachfrage der <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong><br />

erklärtdann auch Covivio:„Die Stadt<br />

hat Covivio nicht informiert.“ Vielmehr<br />

habe das Unternehmen selbst<br />

bei Reparaturarbeiten Mängel beim<br />

Brandschutz festgestellt. „Mit dieser<br />

Erkenntnis war ein sofortiges Handeln<br />

erforderlich“, teilt eine Sprecherin<br />

von Covivio mit. Jetzt wolle<br />

das Unternehmen ein neues Brandschutzkonzept<br />

umsetzen. Nach dem<br />

Umbau soll der Bunker in Tempelhof<br />

wieder für Musiker offenstehen, versichertdie<br />

Sprecherin.<br />

Für viele Musiker aber wird es<br />

dann zu spät sein. Denn Covivio will<br />

oder kann nicht abschätzen, wie<br />

lange die Baumaßnahmen dauern<br />

werden. Eine gleichwertige Alternativehat<br />

niemand in Sicht. „Die wenigen<br />

freien Räume,die es gibt, sind unbezahlbar“,<br />

sagt Aguirre. Im Bunker<br />

hätten sich zwei Bands,die sich einen<br />

Proberaum teilten, 200 Euro im Monat<br />

gezahlt. Bei aktuell ausgeschriebenen<br />

Angeboten fingen die Mieten<br />

bei 600 Euro an. DieLage für Künstler<br />

sei in Berlin ohnehin extrem kritisch,<br />

sagt Aguirre. Das Aus für Rockhaus<br />

und Bunker seien „die letzten Nägel<br />

im Sarg der freien Szene“.<br />

Vom Senat haben die Musiker<br />

keine Hilfe zu erwarten. Es sei „tragisch<br />

und schmerzhaft“, wenn Proberäume<br />

wegbrechen, heißt es aus<br />

der Kulturverwaltung. Doch die Verträge<br />

seien zwischen Privatpersonen<br />

und Unternehmen geschlossen, der<br />

Handlungsraum der Politik beschränkt.<br />

„Wir können Gespräche<br />

führen, versuchen, zu vermitteln“,<br />

so Sprecher Daniel Bartsch, „mehr in<br />

der Regel aber auch nicht.“

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