Berliner Zeitung 25.05.2019

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26 Berliner Zeitung · N ummer 120 · 2 5./26. Mai 2019 ························································································································································································································································································· Feuilleton NACHRICHTEN Tabori-Preis für Kollektiv Monster Truck DasTheaterkollektiv Monster Truck hat den Tabori-Preis 2019 zugesprochen bekommen. Dermit 20 000 Euro dotierte Preis wirdvom Fonds Darstellende Künste verliehen. Die Jury lobte den Gewinner für seine „ästhetisch höchst anspruchsvollen und zugleich spaltenden Arbeiten“. Es ist nach Angaben des Hebbel am Ufer,das die Verleihung am Freitagabend ausrichtete,die bundesweit höchste Auszeichnung für die freien darstellenden Künste.Die Theaterund Performancegruppe Monster Truck wurde vonGießener Studierenden gegründet. Zwei mit 10 000 Euro dotierte Tabori-Auszeichnungen gingen an die BenJ.Riepe Kompanie und das aus der Universität Hildesheim hervorgegangene Kollektiv machina eX. (dpa) Dem Monster ins Gesicht schauen Berlin schertaus: Kein freier Eintritt für Humboldt-Forum DasHumboldt-Forum im neuen Berliner Schloss wirdnun doch nicht komplett kostenlos zugänglich sein. Berlin will für seinen Teil des geteilten Ausstellungskomplexes nicht auf den Ticketverkauf verzichten. „Es wirddie Erhebung vonEintritt für die Berlin-Ausstellung im Humboldt-Forum geben müssen“, hieß es vonSeiten der Kulturverwaltung. „Die Finanzierung eines komplett freien Eintritts im Humboldt-Forum ließe sich nur auf Kosten zentraler kulturpolitischer Vorhaben des Landes Berlin stemmen“, sagte Kultursenator Klaus Lederer.Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) will den kostenlosen Zugang zum Humboldt-Forum für drei Jahre als Pilotprojekt testen lassen. Das Vorhaben wirdauch bei umliegenden Einrichtungen kritisch gesehen, etwa auf der direkt benachbarten Museumsinsel. (dpa) Beeskow hat offenes Depot für DDR-Auftragswerke Im Archiv Beeskow lagernüber 20000 Kunstwerke aus DDR-Zeiten. DPA/PATRICK PLEUL DasKunstarchiv in Beeskow(Kreis Oder-Spree) mit 23 000 Objekten aus DDR-Zeiten hat ein neues Depot. Es wirdamMittwoch offiziell eröffnet. In die Umgestaltung des ehemaligen Kreisarchivs Oder-Spree hinter dem Kulturzentrum Burg Beeskowflossen 300 000 Euro.ImBestand des Archivs sind Werke, die zu DDR-Zeiten im Auftrag vonParteien, Massenorganisationen und Staatsorganen entstanden oder vonihnen angekauft worden waren. (dpa) „Ich habe manchmal das Gefühl, dass bei jungen Leuten noch eine Werkseinstellung von Menschlichkeit vorhanden ist, dass das Solidarische, das Interesse füreinander und der Zusammenhalt sehr viel ausgeprägter sind.“ Rumänien: Entlassung nach Drohung gegen Reporterin DerChef der rumänischen Polizeiakademie,Adrian Iacob,und sein Stellvertreter Petrica-Mihail Marcoci sind am Freitag auf Verlangen der Innenministerin Carmen Danzurückgetreten. Denbeiden wirft die Staatsanwaltschaft vor, Morddrohungen gegen die Journalistin Emilia Sercan veranlasst zu haben, falls diese ihreBerichte über Plagiatsfälle in der Polizeiakademie nicht einstelle.Sercan hatte in der Online- Zeitung pressone.roeine Serievon Berichten über mutmaßlich plagiierte Doktorarbeiten vonAbsolventen der Polizeiakademie veröffentlich. (dpa) Der Regisseur Sebastian Schipper im Treppenhaus seines Berliner Büros VOLKMAR OTTO (2)
Berliner Zeitung · N ummer 120 · 2 5./26. Mai 2019 27 * ························································································································································································································································································· Feuilleton In seinem neuen Film „Roads“ begibt sich der Regisseur Sebastian Schipper mit zwei 18-Jährigen auf einen Trip von Marokko an den Ärmelkanal. Ein Gespräch über die radikale Offenheit der Jugend, zerfallende Familien und die Dreharbeit im Flüchtlingslager von Calais Interview: Christina Bylow SONNTAGSKRIMI Als Franz noch Franzisko war VonTorsten Wahl Auf der Türklingel steht „Schipper“ und nicht, wie erwartet, der Name der Produktionsfirma Missing Link. Dennoch befindet sich in dem Altbau in Prenzlauer Berg nur sein Büro. Sebastian Schipper wohnt nicht hier. Zusammen mit Oliver Ziegenbalg schrieb der Regisseur in den blanken Räumen mit den überdimensionalen Schreibtischen das Drehbuch zu seinem neuen Film „Roads“, der am 30. Mai ins Kino kommt. Anders als sein vielfach ausgezeichneter Vorgänger „Victoria“ spielt „Roads“ nicht in Berlin, sondern, wie der Titel schon vermuten lässt, unterwegs.In37Drehtagen durchquerte das Team drei Länder, Marokko, Spanien, Frankreich. Erzählt wird die Geschichte einer Freundschaft zwischen zwei 18-jährigen Jungen: Gyllen (Fionn Whitehead) aus London und William (Stéphane Bak) aus dem Kongo. Gyllen hat das Wohnmobil seines Stiefvaters nach einem Streit im Familienurlaub entwendet, kann es aber nicht fahren. William, der über das Mittelmeer geflüchtet ist und sich im Gebüsch am Strand versteckt hält, hilft ihm. Beide haben dasselbe Ziel: Frankreich, wo Gyllen seinen leiblichen Vater treffen will und William seinen älteren Bruder zu finden hofft.Während sie auf der Straße den Verwerfungen Europas begegnen, wandelt sich ihr Zweckbündnis in eine tiefe, menschliche Verbindung. Überschwang und Lust an der Übertretung wechseln mit schmerzhaften Erinnerungen. In den Flüchtlingscamps von Calais nehmen ihrer beider Leben schließlich eine entscheidende Wendung. Herr Schipper, im Zentrum Ihres Films stehen zwei Teenager. Wie kommt es, dass Siesogut über deren Vorstellungswelten und Sprache Bescheid wissen? Lustigerweise wurde mir diese Frage schon bei meinem ersten Film „Absolute Giganten“ gestellt, und zwar von der Redakteurin eines Senders. Obdiese Zwanzigjährigen in meinem Film wirklich so sind und so reden. Damals war ich dreißig. Natürlich sind die beiden Jungen in „Roads“ Kunstfiguren. Aber das Leben in der eigenen Blase,inder eigenen Traumvorstellung, und gleichzeitig diese große, radikale,auch ungeschützte Offenheit –das verbinde ich schon damit, jung zu sein und etwas vom Leben zu wollen. Ganz unverstrickt in Verantwortungsszenarien oder in den Zwang, vernünftig sein zu müssen, gucken sie sich die Welt an. Aber sie wissen dabei genau, was sie richtig und was sie falsch finden, und haben kein Problem damit, das auch radikal zu formulieren. Wir sehen das bei den Jugendlichen der Parkland-Bewegung in den USA und auch bei der jungen Klimaaktivistin Greta Thunberg, wie klar und direkt sie denken und auftreten. Ich habe manchmal das Gefühl, dass bei jungen Leuten noch eineWerkseinstellung von Menschlichkeit vorhanden ist, dass das Solidarische, das Interesse füreinander und der Zusammenhalt sehr viel ausgeprägter sind. Erkennen Sie darin etwas von sich selbst wieder? Ichglaube,dass ich damals auch so war, und dass ich mich auch heute in dem Blick der Profis –der Erwachsene ist ja der Profimensch –wie so viele andere Leute nicht wiederfinde.Man sieht das ja in der Politik, dass sich viele dann frischen, unverbrauchten Stimmen zuwenden –allerdings nicht immer nur im Guten. Mit „Roads“ befinden Sie sich im Genre des Roadmovies. Kann man das überhaupt noch neu erfinden? Natürlich spielen dieses Europa und seine Grenzen dabei eine Rolle, sonst hätte mich der Gedanke an ein Roadmovie gar nicht weiter gereizt. Meines Erachtens ist das Genre schon etwas in die Jahregekommen, es stammt ja aus den verrückten Sechziger- und Siebzigerjahren. Und mittlerweile zeichnet es sich eher durch den Erfindungsreichtum seiner Regisseure und Drehbuchautoren aus, die sich ausgedacht haben, wo man denn mal hinfahren will. In den Siebzigern ging es um eine Weiterführung des Westerns, um unendliche Weite.Mit dem Vorsatz „burn mycredit card for gas“ ist man einfach ins Auto gestiegen und losgefahren. Diesen Traum gibt es so nicht mehr. Jeder der beiden Jungen hat ein bestimmtes Ziel. Sie wollen Menschen wiederfinden, die ihnen wichtig sind. Ein besonderer Moment des Films ist die Wiederbegegnung zwischen dem englischen Jungen und seinem Vater. Als Regisseur ist man froh, wenn so etwas funktioniert. Für mich ging es erst einmal darum, den richtigen Schauspieler für diesen Vater zu finden. Und ich war sehr glücklich, dass Ben Chaplin diese Rolle spielt. Ich wollte diese Figur nah an mir selber inszenieren. Jemand, der mit seinem Sohn überfordert ist, der mit seiner gescheiterten Ehe überfordert ist und in diesem Moment zur Antifigur wird und zur kompletten Enttäuschung. Ich sehe den Vater als eine verlorene Figur. Identifizierten Siesich mit ihm? Ichbin kein Vater, aber ich kann ihn gut verstehen. Es war auch schwierig, seine Freundin zu besetzen, sie sollte nicht irgendeine jüngere blöde Pute sein, sondern jemand, der auch sein eigenes Leben führt. Die beiden stehen für mich für eine liberale Bürgerlichkeit, wie sie da in ihrem schönen Sommerhaus Urlaub machen und mit der Situation, in der sie der Sohn bringt, vollkommen überfordert sind. Mit dem, was da hereingespült wirdaus der Welt. Der Junge aus dem Kongo wird Zeuge der Zerrüttung einer wohlhabenden europäischen Familie. Er versteht auch nicht, wie sein Freund in solchem Tonmit seinem Vater umgehen kann. Soweit ich das verstehe, haben familiäre Strukturen noch eine ganz andere Bedeutung, wahrscheinlich überall auf der Welt eine größere als in westlichen Ländern. Und was in dieser Szene erfahrbar wird, ist die totale Fragmentierung.Wirleben Familie nicht mehr.Esgibt natürlich viele Gegenbeispiele,aber derWesten ist voneinem hohen Grad von Individualisierung geprägt. Vonder Prämisse, dass man es alleine schafft. Familie gilt als anachronistisch. In IhrenFilmenhat man nie das Gefühl, dass die Schauspieler spielen. Im Alltag ist man oft dazu gezwungen, eine Rolle zu spielen. Aber Schauspiel heißt, eine transzendente Wahrheit in einer Rolle zu finden. Eine Präsenz, die entsteht, wenn man wirklich etwas vonsich zeigt. ZUR PERSON Sebastian Schipper wurde am 8. Mai 1968 in Hannovergeboren. Nach dem Abitur studierte er von 1992 bis 1995 Schauspiel an der Otto Falckenberg Schule in München. Schipper arbeitete an den Münchner Kammerspielen und hatte bereits während des Studiums ein Auftritt in SönkeWortmanns Kinokomödie „Kleine Haie“. Im Film spielte Schipper zumeist Nebenrollen, darunter einen deutschen Soldaten in dem Klassiker „Der englische Patient“. Unter der Regie vonTom Tykwer war Sebastian Schipper in „Winterschläfer“ ,„Der Krieger und die Kaiserin“ und „Lola rennt“ zu sehen. Für einigeEpisoden spielte er an der Seite vonWotan WilkeMöhring im „Tatort“. Sein Debüt als Regisseur gab Schipper 1999 mit „Absolute Giganten“, zu dem er auch das Drehbuch schrieb.2015 stellte er im Wettbewerb der Berlinale seinen Film „Victoria“ vor. In einer einzigen, etwa zweieinhalbstündigen Einstellung folgt „Victoria“ einer jungen Spanierin und ein paar Herumtreibernauf einem nächtlichen Streifzug durch Berlin, der auf verheerende Weise aus dem Ruder läuft. Beim Deutschen Filmpreis 2015 wurde „Victoria“ mit sechs Lolas ausgezeichnet, Schipper erhielt den Preis für die beste Regie. Sein neuer Film „Roads“ kommt am Donnerstag in die Kinos. In den Szenen, die in den wilden Flüchtlingscamps in Calais spielen, mischen sich die Schauspieler unter junge Leute, die dort wirklich als freiwillige Helfer arbeiten. Also, die Szenen sind komplett nachinszeniert, mit Komparsen , die wir aus Paris kommen lassen mussten. Aber es stimmt, die freiwilligen Helfer wurden alle vonfreiwilligen Helferngespielt. Auch eine Helferin, die in einer Szene in Calais eine wichtige Rolle spielt, war bereits mit einer Schauspielerin besetzt. Aber ich habe gemerkt, dass das ganz schwierig ist. Die Situation brauchte eine engagierte, klare Person, die dem jungen Kongolesen sagt, du darfst hier leider nicht sein. Dieser Dialog ist improvisiert, die Frau hat keinen Text gelernt, sondernist dem Schauspieler so begegnet, wie sie es sonst mit den Migranten macht. Ganz klar. Ganz einfach. Eine Artvon Strenge, die nicht moralisch ist. Es geht für diese Leute, die dort helfen, nicht um Politik oder darum, als moralisch höhere Wesen gesehen zu werden. Es geht ihnen darum: Wenn jemand Hunger hat, dann bekommt er was zu essen.Wenn jemandem kalt ist, dann kriegt er Kleidung. In ihrer Haltung sind sie aber sehr streng, weil sie sich innerhalb der strengen französischen Gesetze bewegen. Sie müssen aufpassen, dass sie keinen Ärger mit der Polizei bekommen, die immer nach Gründen sucht, den Helfern die Arbeit zu erschweren. So sieht es ja im Moment auch im Mittelmeer aus. Die Helfer werden sabotiert, ohne dass jemand ihre Arbeit übernimmt. Innerhalb eines Kontinents, indem sehr oft, gerade von rechter Seite, propagiert wird, dass man christlich ist, scheint mir das schon schwer unter einen Hut zu bringen. Washaben SieinCalais gesehen? Das große Camp gibt es ja nicht mehr. Die Flüchtlinge hausen jetzt in kleinen fragmentierten Waldstücken in der Nähe des Hafens. Zelte werden im Morgengrauen von der französischen Polizei zerschnitten und zerstört. Ich habe einen großen Respekt vordiesem Ortgehabt. Wenn man das mit eigenen Augen sieht, ist das einerseits ganz schlimm, aber es bedeutet auch, dem Monster ins Gesicht zu schauen, dem Leid und dieser menschlichen Tragödie.Aber man sieht eben auch die jungen Helfer, die aus allen Ecken Europas dorthin kommen, und das ist ein starkes Statement. Wir waren auch in Marokko, inCeuta, dieser spanischen Enklave, die dafür bekannt ist, dass Migranten versuchen, dort über den Hochsicherheitszaun zu klettern, der dort Afrika von Europa trennt. Und auch dagibt es keine Lager mehr,die werden sofortaufgelöst. Es gibt kleine Gruppen meist junger Männer, die sich verstecken und auf die Möglichkeit warten, über diesen Zaun zu klettern. Haben Sie mit diesen Männern gesprochen? Ja,zusammenmit Stéphane,der den jungen Kongolesen spielt, haben wir Migranten getroffen. Bemerkenswert war, dass keiner dieser Flüchtlinge uns mit Aggression begegnet ist, mit Distanz oderVorwurf. Es war immer Offenheit da und Interesse. Die Geste war nie: Warum hast du so viel und ich nichts,sondern dieGeste war:Gut, dass es dir so gut geht, ich hätte auch gerne, dass es mir gut geht. Was ich auf der Reise mit diesem Film wirklich gelernt habe: Diemoralische Skepsis ist mir eher aus einem bürgerlichen Lager entgegen gebracht worden. Was meinen Sie mit moralischer Skepsis? Es ist ja kein eindeutiger Problemfilm. Es ist ja keine Tragödie. Wahrscheinlich zwar schon ein Drama, aber es ist auch ein Film, in dem viel gelacht wird. Und indem die beiden Hauptfiguren eben auch viel Spaß miteinander haben. Könnte die Skepsis auch damit zu tun haben, dass Sie gerade in den Calais-Szenen Helfer zeigen? Für viele aus der bürgerlichen Mitte sind die Helfer Teil des Problems, so legte es auch ein vieldiskutierter Artikel über Seenotrettung aus dem Mittelmeer unter dem Titel „Oder soll man es lassen?“ voriges Jahr in der Wochenzeitung DieZeit nahe. Ja, dawurden die Seenotretter als das eigentliche Problem markiert. Das muss man sich mal vorstellen. DasProblem ist vielschichtig und reicht zum Teil Jahrhunderte zurück, in die Wurzeln unseres Wohlstandes hinein. Trotzdem muss man sagen, dass wir heute in einer Welt leben, die wir uns nicht in unserer Jugend so ausgedacht haben, wir sind in diese Welt hineingeboren mit Verpflichtungen und mit Rechten, die das mit sich bringt. Aber ich habe das Gefühl, dass in der Bürgerlichkeit viel über Scham verhandelt wird. Wiemeinen Siedas? Es geht darum, wer sich wie schämen soll, auf welche Art und Weise,und das ist, glaube ich, nicht sehr produktiv. Auch der Artikel, den Siegenannt haben, war meiner Meinung nach eine Beantwortung der Scham darüber, dass wir nicht helfen. Warum helfe ich nicht, warum tue ich eigentlich nichts? Ich unterstelle einmal, dass sich ganz viele Leute diese Fragen stellen, aber dann sagt man sich –und da schließe ich mich mit ein: „Das macht doch gar keinen Unterschied.“ Oder: „Da werde ich ganz traurig.“ Oder: „Ich habe doch meine Verpflichtungen.“ Und das Ticket, sich aus all dem herauszuwinden, bot dieser Artikel. Danach konnte man sich sagen: Du bist genau auf der richtigen Seite, indem du nicht hilfst. Dafür musst du dich gar nicht schämen, denn du bist nicht einer von diesen ungewaschenen, selbstherrlichen Verrückten, sondern ein vernünftiger Mensch. Und ein vernünftiger Mensch hilft nicht, sondern sucht sich abends ein schönes Restaurant, in dem er essen gehen kann. du musst dir gar keine Sorgen machen, du bist genau richtig.“Das ist meiner Meinung nach der Subtext von diesem Gedankenkonstrukt, das die Helfer diskreditiert. DasGedankenkonstrukt ist falsch, aber es verhandelt unsereScham,die man natürlich empfindet. Istdas Helfen fürSie einchristlicher Akt? Nein. Ich würde sagen, das ist ein menschlicher Akt, es macht uns zu Menschen, Hilfe zu geben und Hilfe anzunehmen. Es sind schöne Erfahrungen, jemandem etwas zu geben oder jemandem etwas beizubringen, was er noch nicht weiß. Das ist ja mitnichten eine christliche Erfindung, sondern das, was uns zu dem gemacht hat, was wir sind. Dieser krasse Individualismus, derauch immer mehr propagiert wird –der einzelne Held, der mit seinen Superkräften einen Superrechner erfindet, das sind ganz merkwürdige Rollenbilder. Menschen sind ja eigentlich sehr gut darin, etwas zusammen zu entwickeln. Dabeiwerden sie stark. Christina Bylow geht im Kino gern auf Reisen Der Typ, der sich nackt mit Freund und Freundin am Atlantikstrand wälzt, hat Locken wie der junge Leitmayr. Inetwa so, wie damals Udo Wachtveitl aussah, als er zusammen mit Miroslav Nemec 1991 beim „Tatort“ einstieg. Tatsächlich spielt der Fall „Die ewige Welle“ mit Leitmayrs Jugendjahren – 35 Jahre später trifft er den anderen Mann. Mikesch (Andreas Lust) steht auch mit Ende fünfzig noch auf dem Surfbrett, wenn auch nicht mehr am Atlantik, sondern mitten in München, wo das Eisbach-Wehr eine künstliche Welle erzeugt. Auf dem Heimweg vomSurfen wirdervon einem Junkie mit dem Messer niedergestochen und begegnet im Krankenhaus seinem einstigen Kumpel Franz. Doch das Opfer will sich partout nicht helfen lassen und flüchtet schwer verletzt – zum einen, um seine Drogengeschäfte nicht zu gefährden, zum anderen, weil er Leitmayr nicht sehen will. Der hatte damals die gemeinsame Freundin verlassen, obwohl sie schwanger war. Dieser oft wehmütige Fall spielt auf zwei Ebenen. Leitmayr versetzt sich zurück in die frühen Achtziger, als er noch Franzisko genannt wurde –die Bilder der Ménage àtrois wirken wie aus einem französischen Liebesfilm entnommen. Natürlich trifft der Kommissar auch die damalige Freundin wieder,und dank Ellen ter Damme ist diese Frida noch so verführerisch wie einst. Anders als Kollege Batic, für den der Flüchtige nur ein „windiger kleiner Amateurdealer“ ist, entwickelt Leitmayr Mitgefühl für Mikesch, lässt ihn sogar entkommen. Der Regisseur Andreas Kleinert versteht es wie so oft in seinen Filmen, die Tragik mit Komik zu verbinden. So erscheint Mikesch zwar von vornherein als Verlierer. Sein Plan, eine Ladung geklauter Schmerzpflaster zu verhökern und „mit einem Sack voll Geld nach Sri Lanka“ zu gehen, hat nie Chancen auf Erfolg. Doch wie sich der Mann gegen sein Schicksal stemmt, immer waghalsigere Manöver vollführt und seine letzte Welle zu Ende reitet, das berührt ungemein und hebt auch diesen „Tatort“ aus dem üblichen Krimiangebot heraus. Tatort–Die ewigeWelle So, 20.15 Uhr,ARD Bei den SurfernamEisbach-Wehr:Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl, l.) und Ivo Batic (MiroslavNemec). ARD TOP 10 Donnerstag,23. Mai 1 Tagesschau ARD 4,04 16 % 2 Hirschhausens Quiz ARD 3,61 12 % 3 heute-journal ZDF 3,47 12 % 4 Hüftkreisen... ZDF 3,10 10 % 5 heute ZDF 3,02 16 % 6 SOKOStuttgart ZDF 2,62 17 % 7 Germany’snext... Pro7 2,57 10 % 8 GZSZ RTL 2,50 10 % 9 NotrufHafenkante ZDF 2,46 11 % 10 RTL aktuell RTL 2,43 14 % ZUSCHAUER IN MIO/MARKTANTEIL IN %
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Berliner Zeitung 25.05.2019

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