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Berliner Zeitung 25.05.2019

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25./26. MAI 2019 3<br />

... während des Ebola-Ausbruchs in Sierra Leone ... ÄRZTE OHNE GRENZEN (3) ... in der Feuerwache Spandau-Süd, vor seiner Zwölf-Stunden-Schicht als Notarzt. BERLINER ZEITUNG/PAULUS PONIZAK (2)<br />

Ja, meine Mutter war Kindergärtnerin,<br />

und ich habe da ein gewisses Repertoire.<br />

Undwelche Lieder haben Siegesungen?<br />

Ich glaube, „Abendstille überall“ und<br />

„Guten Abend, gute Nacht“. Mariatu hat<br />

mich immer ganz verwundertangeguckt, als<br />

würde ich ihr etwas voneinem anderen Stern<br />

zuflüstern. Aber ich dachte, vielleicht kann<br />

so ein Lied trösten, auch wenn sie den deutschen<br />

Text nicht verstehen konnte.<br />

Ist esIhnen schwergefallen, ein fünf Jahre altes<br />

Mädchen ganz allein ums Leben kämpfen<br />

zu sehen?<br />

Ihr Schicksal und das ihrer Mutter hat<br />

mich sehr bewegt. Da kommt eine Frau mit<br />

ihrer Tochter, und die Mutter sah anfangs<br />

noch gesund aus. Als aber klar war, dass die<br />

Kleine das Virushat, wussten wir,dass durch<br />

die Nähe zwischen den beiden auch die Mutter<br />

infiziertist. Unddann zu sehen, wie beide<br />

krank werden und wie die Mutter trotz aller<br />

Behandlungsmaßnahmen stirbt, das war<br />

schwer.<br />

Sind das Bilder,die zurückkommen?<br />

Dietrage ich in mir,aber sie quälen mich<br />

nicht. Für mich ist es hilfreich, wenn ich mir<br />

Situationen erklären kann, was fast immer<br />

geht. Situationen wie diese erlebe ich auch<br />

selten. Wenn bei anderen Einsätzen ein Patient<br />

zu uns kommt, der noch nicht schwerstkrank<br />

ist, dann überlebt der, auch in Gebieten,<br />

wo wenig Medizin möglich ist. Aber dass<br />

uns jemand unter den Händen wegstirbt,<br />

das war schon dramatisch.Wirwussten auch<br />

nicht, ob Mariatu überlebt. Und dass sie als<br />

Waise dann auch nicht verstoßen wurde von<br />

der Familie und der Community,sondernes<br />

einen Onkel und einen Großvater gab,die sie<br />

abgeholt haben, war ein großes Glück. Viele<br />

Überlebende wurden ausgestoßen aus der<br />

Gemeinschaft und haben sich gefragt, was<br />

jetzt eigentlich schlimmer ist –anEbola zu<br />

sterben oder als Aussätzige weiterleben zu<br />

müssen.<br />

Bei Ebola waren die Einsatzregeln so streng<br />

wie bei keinem anderen Einsatz, schreiben<br />

Sie. Wassind überhaupt die Einsatzregeln?<br />

Es gibt oft Ausgehsperren, die nicht von<br />

Ärzte ohne Grenzen festgesetzt werden, sondern<br />

vom jeweiligen Staat. Es gibt in Konfliktgebieten<br />

Bewegungseinschränkungen,<br />

was heißt, dass wir uns nur von der Unterkunft<br />

zur Klinik und zurück bewegen und in<br />

den Städten keine Restaurants oder Einkaufsmöglichkeiten<br />

nutzen können, weil es<br />

einfach nicht sicher ist.<br />

Undmit welchem Gefühl sind Sie inein Einsatzgebiet<br />

gegangen, in dem eine hochinfektiöse,<br />

tödliche Krankheit grassiert?<br />

Auf dem Hinflug nach Sierra Leone<br />

herrschte eine heitere Stimmung. Im Flugzeug<br />

waren nur ausländische Helfer und einige<br />

Einheimische. Eswar keine Party, sondern<br />

als wären wir eine große Familie.Vielleicht<br />

war es das Wissen, dass es die letzte<br />

Gelegenheit ist zum Fröhlichsein.Wirkamen<br />

morgens um vier an, liefen noch unbeschwert<br />

über das Rollfeld im Licht eines<br />

einzelnen Strahlers. Es gab keine Lautsprecher,<br />

keine Ansagen. Aber dann, am<br />

Gebäudeeingang, mussten wir uns die<br />

Hände mit Desinfektionslösung waschen,<br />

und es ging ein Zucken durch alle Passagiere.<br />

Jetzt waren wir angekommen. Die<br />

Anspannung war plötzlich sichtbar, überall<br />

Warnplakate, Sicherheitspersonal,<br />

Leute, die einen fragten, ob es einem gut<br />

geht. Allen war klar: Jetzt ist Schluss mit<br />

lustig, jetzt müssen wir um das Leben der<br />

Menschen, aber auch um die eigene Sicherheit<br />

kämpfen.<br />

Bei Ihrem Abflug einige Wochen später sagte<br />

der Zollbeamte Ihnen: Danke, dass Sie meinem<br />

Land geholfen haben. Washaben Sie da<br />

empfunden?<br />

Daswar einfach ein schöner Moment.Wir<br />

bekommen viel Zuspruch, aber meistens<br />

vonden Patienten. In manchen Länderngibt<br />

es eine Ambivalenz, gerade in bewaffneten<br />

Konflikten, weil nicht klar ist, ob die uns wollen<br />

oder nur akzeptieren. Aber als ich aus<br />

dem Ebola-Gebiet herauskam, in der Hoffnung,<br />

mich nicht infiziert zu haben, und<br />

reingehe ins Abfertigungsgebäude, kriege<br />

ich einen Stempel in den Ausweis, und mir<br />

flüstert jemand einen Dank zu. Das war ein<br />

ungewöhnlicher Abschluss. Esgibt manchmal<br />

so Blitze, in denen ich durch menschliche<br />

Gesten merke, in welcher Situation ich<br />

gerade stecke.Sonst wirdnur die Temperatur<br />

auf dem Boardingpass eingetragen, und das<br />

war’s.<br />

Diemessen das Fieber bei der Ausreise?<br />

Ja,überall. An jedem Hauseingang mussten<br />

wir uns die Hände waschen und die Temperatur<br />

wurde gemessen. Wenn du Fieber<br />

hattest, wurdest du nicht reingelassen.<br />

Sie waren auch in Somalia, Libyen, Uganda,<br />

Pakistan, Afghanistan und Irak. Ihre Biografie<br />

gleicht einer Chronik der großen Katastrophen.<br />

Waswar am gefährlichsten?<br />

Somalia ist das einzige Land, wo wir mit<br />

bewaffnetem Schutz operieren, das heißt<br />

immer,wenn wir das Krankenhaus verlassen<br />

haben, war das innerhalb eines bewaffneten<br />

Konvois. Diese Fahrten wurden nicht angekündigt,<br />

der Konvoi fuhr mit hoher Geschwindigkeit<br />

und auf immer anderen Wegen<br />

durch die Stadt, am Zielort durften wir<br />

maximal eine halbe Stunde bleiben. Mir ist<br />

nichts passiert, aber über vieleWochen zu erleben,<br />

wie limitiert Freiheit werden kann,<br />

was für viele Menschen jahrelang Alltag ist,<br />

war eine neue Erfahrung.<br />

In Liberia haben SieMenschen behandelt, die<br />

lebendig angezündet worden waren, in Myanmar<br />

Folteropfer.Das sindVerletzungen, die<br />

Sie inDeutschland wahrscheinlich nie gesehen<br />

haben.<br />

Die rohe Gewalt, die Menschen anderen<br />

Menschen antun, werde ich nie verstehen,<br />

Ich habe die Patienten<br />

gefragt, warum sie<br />

gesund werden wollen.<br />

Das klingt vielleicht<br />

brutal, aber weil es so<br />

wenig Möglichkeiten<br />

gab,hatte ichdas Gefühl,<br />

ich muss direkt das<br />

innere Licht des<br />

Menschen ansprechen:<br />

Hat dieser Mensch noch<br />

einen Lebenswillen<br />

oder nicht?<br />

Tankred Stöbe, Arzt<br />

das ist schwer in Worte zufassen. Aber es ist<br />

wichtig, sich als Arzt diese Fragen nicht zu<br />

sehr zu stellen –die Kraft und Konzentration<br />

muss auf der Behandlung liegen.<br />

Hatten Siemal wirklich Angst?<br />

Wenn wir in unsicheren Gebieten arbeiten,<br />

gibt es normalerweise Fluchtrouten und<br />

Sicherheitsprozeduren, die wir alle vorher<br />

sehr genau studieren. Wenn unsere Station<br />

evakuiert werden muss, holt uns ein Rettungsschiff<br />

aus dem Land oder ein Helikopter<br />

oder ein Flugzeug. Es gibt auch Szenarien,<br />

wo das etwas anders läuft. Das war in<br />

Syrien so.Wir haben in einer Höhle eine Klinik<br />

aufgebaut, jede Nachtmussten wir einen<br />

neuen Schlafplatz finden, weil es so unsicher<br />

war und Panzergranaten links und rechts<br />

von uns einschlugen. In einer Nacht hatten<br />

wir das Gefühl, die wollten uns gezielt auslöschen.Wirhaben<br />

nie erfahren, ob das so war,<br />

aber aus der Zentrale kam die klareVorgabe,<br />

den Einsatz sofortabzubrechen. Dasbedeutete<br />

in dem Fall aber nur:warten, bis es dunkel<br />

ist, und stundenlang durch die Bergezurück<br />

in die Türkei wandern. Zum Glück<br />

schien der Mond.<br />

Da hattenSie also Angst?<br />

Ja, und das war auf jeden Fall der Moment,<br />

in dem ich in meinem Leben am<br />

stärksten gesehen habe, was Krieg eigentlich<br />

bedeutet: die Unvorhersehbarkeit,<br />

die Brutalität; dass dramatische Dinge<br />

passieren, ohne angekündigt oder erklärt<br />

zu werden.<br />

Hatten Sie nie Angst, selbst mit einer tödlichen<br />

Krankheit infiziertzuwerden?<br />

Natürlich habe ich Glück gehabt. Ich<br />

hätte mich mit Malaria infizieren können,<br />

Autounfälle sind in vielen Gegenden ein großes<br />

Risiko, Entführungen eine Bedrohung.<br />

Aber damit kein falsches Bild entsteht: HumanitäreHilfe<br />

heißt nicht, dass ich jedes Mal<br />

mein Leben aufs Spiel setze. Wenn etwas<br />

passiert, sind es seltene, furchtbare Ausnahmen.<br />

Wenn Sienach einem EinsatznachBerlin zurückkehren,<br />

in diese wohlhabende Gesellschaft,<br />

was empfinden Sie?<br />

Zunächst ist nur die Freude da. Die<br />

Freude, meine Frau, meine Familie und<br />

meine Freunde wiederzusehen; abends<br />

ausgehen zu können, und alles ist sicher.<br />

Ich kann jede Speise essen, da ist nichts<br />

verdorben oder unsicher. Ich muss keine<br />

Sperrstunde einhalten. Diese uns so vollkommen<br />

selbstverständlichen Dinge wie<br />

Sicherheit, Freiheit, Gleichberechtigung,<br />

die Möglichkeiten, die jeder hier hat,<br />

empfinde ich mit großer Zufriedenheit<br />

und genieße viele Wochen lang bewusst<br />

die Errungenschaften einer modernen, liberalen<br />

Gesellschaft. Gleichzeitig frage<br />

ich mich schon, wenn ich im Kühlregal<br />

fünfzig verschiedene Joghurtsorten sehe,<br />

ob dieser grenzenlose Konsum nicht von<br />

wesentlicheren Fragen abhält.<br />

Kommen Ihnen unsereProblemeimVergleich<br />

manchmal klein vor?<br />

Medizinisch gesehen schlucke ich<br />

schon hin und wieder, was Menschen für<br />

einen Anlass finden, die 112 zu wählen<br />

und einen Notfall zu generieren. Aber es<br />

gab in Deutschland auch seit Jahrzehnten<br />

keine existenziellen Krisen, wo wir auf unsere<br />

Grundfertigkeiten zurückgeworfen<br />

wurden. Wir leben in einer Wohlstandsblase.<br />

Sie nennen in Ihrem Buch Zahlen der UN-<br />

Flüchtlingshilfe. Danach sind derzeit 65 Millionen<br />

Menschen auf der Flucht, mehr als<br />

nach dem Zweiten. Weltkrieg...<br />

... im Moment sind es sogar 68,5 Millionen.<br />

UndEuropaschottet sich zeitgleich ab.Macht<br />

Siediese mangelnde Menschlichkeit wütend?<br />

Diemacht mich wütend. Wirsind ein reicher<br />

Kontinent, auch wenn es einzelne bedürftige<br />

Menschen gibt, und dass wir es<br />

dann den ärmsten Staaten überlassen,<br />

Flüchtlinge aufzunehmen, ist schockierend.<br />

85 Prozent aller Flüchtlinge weltweit werden<br />

von armen Staaten wie Bangladesch oder<br />

Uganda aufgenommen. Das sind harte Zahlen.<br />

Wasich aber noch schockierender finde:<br />

Das, was esanhumanitärem Gedankengut<br />

gibt, an Menschenrechten, an Wissen also<br />

und an Gesetzen, diedie Menschen über die<br />

letzten Jahrzehnte geprägt haben, nämlich<br />

dass wir jeden Menschen gleichwertig sehen,<br />

dass wir einem Menschen in Nothelfen,<br />

das wird den Flüchtenden vor den Küsten<br />

Europas abgesprochen. Wir lassen dortTausende<br />

Menschen ertrinken. Dasfinde icherschütternd,<br />

weil wir unsere eigenen Werte<br />

verraten.<br />

Sie kennen alle großen Krisen der Welt. Was<br />

bleibt hängen?<br />

Es gibt zwei Erfahrungen, die sich wiederholen:<br />

Daseinesinddie Ohnmacht und die<br />

Wut über die politischen Versäumnisse,<br />

wenn ich sehe, dass esden verantwortlichen<br />

Akteuren nicht gelingt, eine Befriedung<br />

der aktuellen Konflikte herzustellen<br />

und die internationale Gemeinschaft und<br />

ein blockierter UN-Sicherheitsrat das<br />

Sterben unschuldiger Zivilisten nicht beenden<br />

kann oder will –wie in Jemen, Libyen<br />

oder Gaza. 2019 haben wir wieder<br />

Stellvertreterkriege, wie wir sie zuletzt im<br />

Kalten Krieg gesehen haben. Das andere<br />

ist: Wenn ich ausblende, was Politik und<br />

Ungerechtigkeit betrifft, und mich als Arzt<br />

darauf konzentriere, was ich mit ein paar<br />

Tabletten oder einfachen notfallmedizinischen<br />

Maßnahmen anLeid lindern kann,<br />

dann ist das etwas sehr Befriedigendes<br />

und Schönes.<br />

Annett Heide findet es bemerkenswert,<br />

dass Stöbe Überstunden anhäuft, um<br />

Zeit für seine Einsätze zu schaffen.

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