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Berliner Zeitung 15.06.2019

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15./16. JUNI 2019 5<br />

Neun Zentimeter groß, 30 Gramm schwer,außen<br />

knusprig und innen zart: Das Fischstäbchen,<br />

Lieblingstiefkühlgericht der Deutschen, wird 60 Jahre<br />

alt. Vorallem Kinder lieben es ungebrochen heiß –und<br />

deshalb verbindet nahezu jeder damit eine Erinnerung<br />

an in jeder Hinsicht goldene Tage.Auch die Redakteure<br />

undRedakteurinnen der <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong><br />

Panade des Grauens<br />

Käpt’n Iglo gab es in meiner Kindheit<br />

nicht. Es gab nur Fischstäbchen. Zumeist<br />

wurden sie mit Spinat und Kartoffeln<br />

angerichtet. Diese Beilagen waren das notwendige<br />

Übel, das zu durchstehen hatte,wer<br />

an die goldpanierten Bratlinge kommen<br />

wollte. Dass Fischstäbchen und Spinat allesamt<br />

Tiefkühlprodukte aus dem Hause Iglo<br />

waren, ging mir sehr viel später<br />

auf. Da konnte ich schon lesen<br />

und entdeckte in der<br />

Ähnlichkeit von „Iglu“<br />

und„Iglo“ einen gewissen<br />

Wortwitz – das<br />

kuppelförmige<br />

Schneehaus der Eskimos,<br />

die klirrende<br />

Kälte in der Arktis,der<br />

Leckerschmecker aus<br />

dem Tiefkühlfach im<br />

Supermarkt …<br />

Mit Käpt’n Iglo hatte das<br />

allerdings immer noch nichts zu<br />

tun. Erst im Laufe der 80er-Jahre lernte<br />

ich den zauselbärtigen Mann mit der adretten<br />

Kapitänsuniform im Werbefernsehen kennen.<br />

Er segelte auf einem stolzen Dreimaster,<br />

ließ mit etwas paramilitärischem Drill eine<br />

Kindermatrosenschar antreten und musste<br />

Christian Schlüter<br />

Warum ich Käpt’n Iglo von Beginn an nicht mochte<br />

sich ansonsten in kleineren Abenteuer irgendwelcher<br />

Piraten und Indianern erwehren.<br />

Und amSchluss gab’s zur Freude aller<br />

Kinder immer den Goldschatz: eine auf einem<br />

Riesentablett dargereichte Menge ordentlich<br />

gestapelter Fischstäbchen.<br />

Ich mochte Käpt’n Iglo von Beginn an<br />

nicht.<br />

Doch erst in den 90er-Jahren verstand ich<br />

meine Abneigung. Es war die Zeit, als Onkel<br />

Dittmeyer im Fernsehen für seinen –<br />

„schmeckt wie frisch gepresst“ –Valensina-<br />

Fruchtsaft warb. Meine Mutter hatte mir seit<br />

frühester Kindheit eingebläut, keinem Onkel<br />

zu trauen, und sei er auch noch so nett. Onkel<br />

Dittmeyer war einfach zu nett, um wahr zu<br />

sein. Er wirkte auf mich wie ein „Mitschnacker“,<br />

so nannte meinte Mutter Kinderentführer<br />

und -schänder.<br />

Undgenau das war’s:Käpt’n Iglo war auch<br />

zu nett, um wahr zu sein.<br />

Dabei ist es bis heute geblieben. Mein<br />

sechsjähriger Sohn bekommt nur Fischstäbchen,<br />

keinen Onkel-Iglo-Quatsch. Und immer<br />

noch brate ich die Fischquader in der<br />

Pfanne, sowie es meine Mutter auch schon<br />

tat, denn im Backofen oder,schlimmer noch,<br />

in der Mikrowelle wird die Panade ein grauenvoller,weil<br />

dampfgeweichter Murks.<br />

Der Fasttagals Festtag<br />

Inder fränkischen Provinz der 70er- und<br />

80er-Jahre gab im wesentlichen der liebe<br />

Gott dem Leben Struktur: Deine Freunde<br />

kanntest du aus dem katholischen Kindergarten,<br />

dessen Erzieherinnen allesamt Nonnen<br />

waren, und dein Freizeitverhalten richtete<br />

sich nach den Angeboten der Pfarrei, in<br />

der du dich ab einem gewissen Alter selbstverständlich<br />

als Messdiener engagiert hast –<br />

auch deshalb, weil der Mesner gleichzeitig<br />

der Religionslehrer war und dich das Ministrieren<br />

bei ihm als quasi professionellen<br />

Kirchgänger auswies, was mit guten Noten<br />

belohnt wurde. Wer hingegen unentschuldigt<br />

beim Sonntagsgottesdienst fehlte, bekameine<br />

Sechs eingetragen.<br />

Und natürlich richtete sich der Speiseplan<br />

streng nach dem katholischen Kalender.<br />

Unddas bedeutete: Freitags gab es<br />

kein Fleisch. Die Hintergründe<br />

dieses Rituals,einer ArtVeggie-<br />

Day, lange bevor es dieser<br />

dämliche Begriff in die gesellschaftliche<br />

Diskussion<br />

schaffte – die Hintergründe<br />

des fleischlosen<br />

Freitags jedenfalls kannte<br />

natürlich jedes Kind: In der<br />

christlichen Tradition ist jeder<br />

Freitag ein Gedenktag an<br />

Veggie-Dayinder fränkischen Provinz<br />

Christian Seidl<br />

den Karfreitag. In einer katholischen Familie,<br />

die was auf sich hielt –auchinder des Autors<br />

–, wurde in Erinnerung daran freitags gefastet.<br />

Wobei Fasten eben so definiert wurde,<br />

dass kein Fleisch gegessen wurde.<br />

Dafür alles andere. Kaiserschmarrn mit<br />

Pflaumenkompott zum Beispiel. Oder Apfelstrudel<br />

vomBlech mitVanillesoße (da kamen<br />

die österreichischen Wurzeln der Familie<br />

durch). Ganz wunderbare Sachen jedenfalls<br />

–während du unter der Woche mit so unfreundlichen,<br />

unverdaulichen Dingen wie<br />

mit Hack gefüllten Paprikaschoten zu tun<br />

hattest oder mit Käse überbackener Fleischwurst.<br />

Unddie Tage gezählt hast, bis endlich<br />

wieder Freitag war.<br />

Zum echten und wahren Festtag wurde<br />

der Fasttag, wenn es Fischstäbchen gab. Mit<br />

viel Butter schön rösch in der<br />

Pfanne gebraten, dazu nicht<br />

mehr als Reis und Ketchup,<br />

Nichts, aber gar nichts<br />

ging da drüber. Danach<br />

war das Wochenende<br />

dein Freund, und<br />

nichts konnte mehr<br />

schiefgehen.<br />

Es waren goldene<br />

Tage, injeder Hinsicht.<br />

Gott seiDank!<br />

Gesundgekratzt<br />

Wie dasTiefkühlprodukt kleinkindgerecht zubereitet wird<br />

Dein Sohn bekommt Fertiggerichte? In seinem<br />

Alter schon?!“ Um mich rabenmuttermäßig<br />

schlecht zu fühlen, brauche ich weder<br />

Elternforen noch Kita-WhatsApp-Gruppen.<br />

EinTelefonat mit den Großeltern, und die<br />

so harmlos daherkommende Frage, was es<br />

denn heute zum Mittagessen gibt, reichen völlig<br />

aus.Ich beeile mich noch zu erwähnen, dass<br />

die Beilagen zu den Fischstäbchen frisch zubereitet<br />

sind und aus dem eigenen Garten kommen,<br />

aber das rettet die Sache auch nicht<br />

mehr: Fischstäbchen sehen nicht aus wie<br />

Fisch, sie schmecken und riechen kaum danach,<br />

daskann nichts Gutes sein. Meine Großeltern<br />

wären die perfekten Vorsteher einer<br />

noch zu gründenden Akademie für gesundes<br />

Leben und Schuldgefühle.<br />

Sei’s drum, fürs Angeln fehlt uns nun mal<br />

die Zeit, und irgendwo müssen die wichtigen<br />

Omega-3-Fettsäuren schließlich herkommen.<br />

Also gibt’s die praktischen Panadenfilets in<br />

Stäbchenform. Der Anderthalbjährige erhält<br />

allerdings eine abgespeckte Light-Version.<br />

Nachdem die Fischstäbchen in der Pfanne<br />

knusprig gebrutzelt wurden, landen sie auf einer<br />

Ladung Küchenkrepp. Ist das überschüssige<br />

Fett im Papier versickert, kratzen wir die<br />

Panade ab. Laut Produktwerbung haftet der<br />

Teigmantel zwar sehr gut am Fisch, diesen Eindruck<br />

können wir allerdings nicht bestätigen.<br />

DiePanadelöst sich quasi wie vonselbst<br />

ab und hinterlässt ein erstklassig zartes,<br />

nicht überwürztes und zudem<br />

komplett grätenfreies Stück Fisch<br />

in einer Portionsgröße, die kleinkindgerechter<br />

nicht sein könnte.<br />

Erste Sahne Fischfilet, sozusagen.<br />

Das Kind nun wird imAngesicht<br />

seines Tellers zunächst das<br />

Gemüse an den Rand schieben –<br />

Unwichtiges hebt man sich gern für<br />

später auf. Dann muss der Fisch mit<br />

dem Löffel zerstückelt und dem Munde<br />

zugeführt werden. Kein Bissen geht daneben<br />

–ein Phänomen, das sich beim anschließenden<br />

Beilagenverzehr leider nicht fortsetzt. Immerhin<br />

aber ist der Junge vollauf beschäftigt,<br />

was uns Eltern Gelegenheit gibt, klammheimlich<br />

die Panadenreste wegzuknuspern. Aber<br />

nicht weitersagen!<br />

Anne Vorbringer<br />

Lutz<br />

Die Feuerwehr zu Besuch<br />

Mit der Wende kam Iglo in meine Küche<br />

–und kurz darauf die Feuerwehr.Was<br />

war passiert?<br />

Meinen Kindern wollte ich mit einer großen<br />

Portion goldgelb gebratener Stäbchen<br />

eine Freude machen. Es ging schief. Bis<br />

heute gelingt mir das nicht. Entweder sie verbrennen<br />

oder sie sind kurz vorm Servieren<br />

innen noch gefroren. Aber zurück zur<br />

Freude. Ich erhitzte Öl in einer großen gusseisernen<br />

Pfanne und legte die Stäbchen nebeneinander<br />

in das Öl. Es war zu heiß, das Öl,<br />

sodass die Pfanne im dicken schwarzen<br />

Rauch kaum noch zu sehen war.<br />

Meinen Kindern, die inzwischen<br />

nach Hause<br />

gekommen waren,<br />

tränten die Augen.<br />

Sie schlossen die<br />

Türen ihrer Zimmer<br />

und ließen<br />

sich vorerst<br />

nicht mehr blicken.<br />

Ab und zu<br />

husteten sie hinter<br />

den geschlossenen<br />

Türen. Derweil<br />

war der Qualm in<br />

Schnedelbach<br />

Kulinarischer Höhepunkt auf dem Herd verkohlt<br />

alle Räume und Ritzen gezogen. Es roch unangenehm.<br />

Keine Spur mehr von Vorfreude<br />

auf einen kulinarischen Höhepunkt. Die<br />

Fenster waren zwar längst geöffnet und der<br />

Elektroherd nicht mehr in Betrieb, aber es<br />

stank mehr und mehr.Soweitich mich erinnere,<br />

hörte ich kurzdarauf Sirenengeheul.<br />

Dann klingelte es dauerhaft an unserer<br />

Wohnungstür. Draußen standen zwei Männer<br />

in schwarzenArbeitsanzügen. Siehatten<br />

Helme auf den Köpfen und gelbe Streifen an<br />

den Hosen und hielten jeder einen Feuerlöscher<br />

in den Händen. Freude in Gesichtern<br />

sieht anders aus.Der eine fragte in strengem<br />

Ton: „Fischstäbchen?“ Ich nickte. Versuche,<br />

mich zu erklären, hätten keinen Erfolg gehabt.<br />

Da war ich mir sicher. Beide Männer<br />

kontrollierten akribisch die Küche.Dannwarensie<br />

so schnell wieder weg, wie sie erschienen<br />

waren. Welcher Mieter meines Hauses<br />

sie gerufen hat, weiß ich bis heute nicht.<br />

Langsam trauten sich auch die Kinder<br />

wieder aus ihren Zimmern. Die Freude auf<br />

schmackhaftes Essen war ihnen sichtlich<br />

vergangen. Mirallerdings auch.<br />

Fischklötzchen brate ich seitdem jedenfalls<br />

nichtmehr.Die Feuerwehr istmit dieser<br />

Entscheidungsicherlich nichtunzufrieden.

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