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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 243 · 1 9./20. Oktober 2019 27<br />
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Feuilleton<br />
Es ging bei den Montagsdemonstrationen<br />
in Leipzig auch um ganz<br />
konkrete Forderungen. IMAGO IMAGES<br />
Handke<br />
liest seine<br />
Kollegen kaum<br />
Literaturnobelpreisträger<br />
erneuert seine Medienkritik<br />
die im Fernseher zu sehen waren, bis<br />
zum Morgengrauen nicht entziehen<br />
konnte.Gegen zehn Uhrmorgens lief<br />
ich durch Leipzig, suchte dieselbe<br />
Euphorie, wie ich sie im Fernsehen<br />
gesehen hatte, fand sie nicht. Die<br />
Menschen schienen ungerührt. Da<br />
und dort sah man einige Passanten<br />
zusammenstehen. Sie redeten. Über<br />
das, was in Berlin passiert war. Weit<br />
weg war das, inLeipzig gab es keine<br />
Mauer, die man hinter sich lassen<br />
konnte.„Siehaben unsereRevolution<br />
geklaut“, meinte ein junger Mann.<br />
Undman ließ der Antipathie gegenüber<br />
den <strong>Berliner</strong>n Lauf. „Die waren<br />
schon immer besser gestellt von der<br />
Regierung als wir“, meinte eine ältere<br />
Frau. Einige Lacher folgten.<br />
Als ich gegen Mittag im Hotel zurück<br />
war, klingelte das Telefon. Endlich<br />
habe man mich erreicht. Der<br />
Westdeutsche Rundfunk. Ich sollte<br />
erzählen, was in Leipzig los sei.<br />
Schon war ich auf Sendung. Undich<br />
antwortete: „Nichts.“ Man wollte es<br />
mir nicht glauben, fragte nach, ich<br />
schaute aus dem Fenster, nun war<br />
keine dicke Luft mehr, schaute auf<br />
den Ring. „Nichts“ wiederholte ich.<br />
Könnte man Kopfschütteln hören, so<br />
hätte man es durch den Telefonhörer<br />
vernommen. Wassollten die Leipziger,<br />
die Helden des 9. Oktober, mit<br />
den Ereignissen in Berlin anfangen?<br />
Sie waren von der Revolution, die<br />
hier begonnen hatte, ausgeschlossen<br />
worden.<br />
Am Abend traf ich mich mit meinen<br />
neuen Leipziger Freunden in der<br />
Moritzbastei. Vor wenigen Tagen<br />
hätte ich noch gar nicht in den FDJ-<br />
Studentenclub mitkommen können,<br />
denn Gäste aus dem Westen hätten<br />
DER AUTOR<br />
Jörg Aufenanger,1945 in Wuppertal geboren,<br />
ist Schriftsteller und Regisseur.Zu<br />
seinen Werken gehören u.a. biografische<br />
Arbeiten über Friedrich Schiller,Heinrich<br />
Heine und Heinrich vonKleist.<br />
BLZ/WÄCHTER<br />
nicht hinein gedurft, meinte Liese.<br />
Natürlich sprach man von dem was<br />
passiertwar,beschloss aber,morgen,<br />
am 11.11., erst mal in der Bastei den<br />
Beginn des Karnevals zu feiern und<br />
am Samstag gemeinsam nach Berlin<br />
zu fahren. „Komm mit nach Berlin“,<br />
meinten alle. „Kannst in meinem<br />
Trabi mitfahren“, sagte einer.Nur Jörg<br />
wollte nicht nach Berlin.<br />
Also feierte ich mit ihnen am<br />
11.11. in der Moritzbastei ausgelassen<br />
Karneval. Nur Liese hatte ein<br />
Problem, denn sie hatte einen Termin.<br />
Wie jeden Samstag sollte die<br />
SED-Funktionärin in der Hochschule<br />
für Grafik und Buchkunst Aktmodell<br />
sein. Undsie fand keine Frau, die es<br />
an ihrer Stelle tun wollte. Also beschloss<br />
sie,zuschwänzen. Schließlich<br />
war ja seit vorgesternalles anders geworden,<br />
nichts galt mehr.Oder?<br />
Am Samstag fuhr ich mit meinen<br />
neuen Freunden nach Berlin,<br />
nicht im Trabi, das traute ich mich<br />
nicht, sondern im Zug. Mit uns<br />
stieg im Leipziger Kopfbahnhof<br />
eine schweigende Mehrheit ein.<br />
Alle wollten sie zum ersten Mal<br />
den Westen sehen. Doch von Begeisterung<br />
war auch hier nichts zu<br />
spüren. In Karlshorst war Endstation,<br />
weiter ging es mit der S-Bahn<br />
bis zur Friedrichstraße. Und so<br />
nahm ich als Westdeutscher denselben<br />
Weg wie einige Leipziger<br />
Bürger in den Westen. Grenzer gab<br />
es noch. DDR-Bürger zeigten ihren<br />
blauen Ausweis, ich meinen<br />
grünen Pass. Und diejenigen, die<br />
keine Papiere dabei hatten, konnten<br />
auch hinüber, waren plötzlich<br />
im Westen. Viele verharrten erst<br />
einmal einen Augenblick.<br />
Literaturnobelpreisträger<br />
Peter<br />
Handke kennt nach eigenem<br />
Bekunden wenig von der aktuellen<br />
Literatur. „Fast eine Schande von<br />
mir, dass ich so wenig lese, was<br />
heutzutag’ geschrieben wird, weil<br />
ich kein rechtes Vertrauen habe“,<br />
sagte der 76-Jährige dem österreichischen<br />
Magazin News.<br />
So kenne er die Werke der ebenfalls<br />
vergangene Woche mit dem<br />
nachgeholten Nobelpreis für 2018<br />
ausgezeichneten Olga Tokarczuk<br />
gar nicht. In dem Gespräch, das vor<br />
einer Woche geführt und am Freitag<br />
veröffentlicht wurde, unterstreicht<br />
Handke seine Medienkritik.<br />
Er habe den Eindruck gehabt,<br />
dass kaum einer der Journalisten,<br />
die nach der Preisverkündung vor<br />
sein Haus bei Paris gekommen<br />
seien, je etwas von ihm gelesen<br />
habe. Es seien sofort provokative<br />
Fragen zu seiner umstrittenen Haltung<br />
im Jugoslawien-Konflikt gestellt<br />
worden. „Im Nachhinein<br />
habe ich mir gedacht, ich hätte ein<br />
paar Fußtritte austeilen sollen.“<br />
Handke ist für seine proserbische<br />
Haltung erneut stark in die<br />
Kritik geraten. Unter anderem der<br />
Gewinner des Deutschen Buchpreises,<br />
der gebürtige Bosnier Saša<br />
Stanišic, hatte Handke ein Ausblenden<br />
serbischer Gräueltaten<br />
vorgeworfen. Regie-Altmeister<br />
Claus Peymann (82) hat Handke<br />
dagegen verteidigt. Der Konflikt<br />
um Handke sei „sehr aufgeblasen“,<br />
letztlich spiele auch sein ungewöhnlicher<br />
Charakter eine entscheidende<br />
Rolle: „Er ist kein Opportunist,<br />
er richtet sich nicht nach<br />
der Mehrheit, sondern spricht<br />
seine eigene Meinung aus, wie das<br />
Schriftsteller machen sollten“,<br />
sagte Peymann der Rhein-Neckar-<br />
<strong>Zeitung</strong> (Heidelberg/Freitag). Der<br />
vielfach preisgekrönte Regisseur<br />
hat zahlreiche Handke-Stücke auf<br />
die Bühne gebracht, darunter auch<br />
„Die Fahrt imEinbaum“ über den<br />
Jugoslawien-Krieg. (dpa)<br />
rowohlt.de<br />
Nach dem internationalen Erfolg von«In Zeiten des<br />
abnehmenden Lichts» kehrt EugenRuge zurück zur Geschichte<br />
seiner Familie –ineinem herausragenden neuen Roman.<br />
«Ein erzählerisches Meisterstück.»<br />
Andreas Platthaus, Frankfurter Allgemeine <strong>Zeitung</strong><br />
«Ein Pageturner ... ein atemberaubendes Stück Zeitgeschichte ... Ein großer Roman.»<br />
Carsten Otte, SWR 2«Lesenswert»<br />
«Schon die wahreGeschichte klingt so spektakulär, als wäre sie erfunden ...<br />
Ein ebenso klug komponiertes wie spannendes Buch.»<br />
Martin Doerry, DerSpiegel<br />
«In der Belletristik gibt es erstaunlich wenig Vergleichbares.»<br />
Cornelia Geißler, <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong><br />
rowohlt.de<br />
©Asja Caspari