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Berliner Zeitung 16.11.2019

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20 <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 267 · 1 6./17. November 2019<br />

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Berlin bewegt sich<br />

Ausflug mit Wau-Effekt<br />

In Brandenburg kann man auch ohne Schnee<br />

Huskytouren machen<br />

VonSarah Pepin<br />

Mit einem Sechser-Huskygespann durch den Birkenwald in Brandenburg: Vorallem bergab kann es sehr schnell gehen. VOLKMAR OTTO (2)<br />

Dunst steigt über den Feldern<br />

Brandenburgs auf.<br />

Die Sonne scheint. Da<br />

atme ich Großstädterin<br />

erst einmal auf. Hier in Prötzel, etwa<br />

eine Autostunde nordöstlich von<br />

Berlin, soll es heute jedoch nicht bedächtig<br />

durch die Wälder spazieren<br />

gehen, die Exkursion ist eher abenteuerlicher<br />

Natur: Ich werde eine<br />

Huskytour machen. Wie beim Hundeschlittenfahren<br />

ziehen dabei die<br />

Tiereeinen Wagen, auf dem der Fahrer<br />

steht. Eine Alternative für<br />

schneelose Zeiten, quasi klimakrisenfreundlich.<br />

Manchmal fliegen die Fetzen<br />

Walter Steinbach, sympathischer<br />

Schwabe mit weichem Akzent und<br />

Lachfältchen, kommt aus seiner<br />

Scheune gelaufen. Der 63-Jährige<br />

bietet seit sieben Jahren in Prötzel<br />

Touren und Trekkings mit Huskys an.<br />

Schlittentouren, vorrangig im<br />

schwedischen Südlappland, macht<br />

er seit 30 Jahren. Sein Leben als gelernter<br />

Fernsehtechniker mit eigenem<br />

Betrieb liegt Jahrzehnte zurück.<br />

Das Paar, das an diesem Vormittag<br />

mitmachen wird, ist bereits da.<br />

Und die Angestellten, wie sie Walter<br />

Steinbach liebevoll nennt, hört man<br />

schon: ohrenbetäubendes Gejaule<br />

aus dem Zwinger. Hier wohnen<br />

40 Schlittenhunde,30davon werden<br />

derzeit für die Touren eingesetzt.<br />

Walter Steinbach bittet nun zur<br />

Zwingerbesichtigung, um uns die<br />

Tiere vorzustellen. Grönländer, sibirische<br />

Huskys und Alaskan Malamutes<br />

hausen hier, meist teilen sie sich<br />

zu dritt oder vierteinen Zwinger.Alle<br />

sehen überaus freundlich-fluffig aus.<br />

Sofort fallen mir die eindrücklichen<br />

Augen der Hunde auf, einige haben<br />

ein blaues und ein braunes.Lucy,Ali,<br />

Baba, Juno heißen sie. Manche stecken<br />

schwanzwedelnd ihren Kopf<br />

durch die Öffnung, um gekrault zu<br />

werden. „Die Hunde sind dem Menschen<br />

gut gesonnen. Nur untereinander<br />

fliegen wegen der Rangordnung<br />

auch mal die Fetzen. Manche<br />

mussten deswegen getrennt werden“,<br />

sagt Walter Steinbach.<br />

Er züchtet die Hunde auch, allerdings<br />

nur für den Eigengebrauch als<br />

Arbeitstiere. Im letzten Zwinger sind<br />

die Welpen, die erst ausgebildet werden.<br />

Ab dem Alter von neun Monaten<br />

werden sie trainiert, vorher sind<br />

die Gelenke noch unzureichend ausgeprägt,<br />

sagt Steinbach. DieTiereahnen,<br />

dass es bald losgeht, sie sind<br />

aufgeregt. Aber zuerst muss noch<br />

eine Einweisung der Gäste erfolgen.<br />

Auf dem Startplatz stehen unsere<br />

Gefährte schon, sie sind an Pfosten<br />

festgebunden. Das Gerät, auf dem<br />

wir stehen und das die Huskys ziehen<br />

werden, sieht wie ein überdimensionaler<br />

Dreiradroller aus Metall<br />

aus. Mit leicht gebeugten Knien<br />

steht man darauf, die Beine einen<br />

großen Schritt auseinander. Die<br />

Hände legt man auf den Lenker, an<br />

dem drei Bremsen angebracht sind.<br />

„Die Hände müssen immer auf den<br />

Bremsen liegen, damit man schnell<br />

reagieren kann“, erklärtSteinbach.<br />

Das Gefährt könne stark Fahrt<br />

aufnehmen. Die Sicherheit gehe jedoch<br />

vor. Man solle nur so schnell<br />

fahren, wie man sich auch sicher<br />

fühlt. Die Zugleine, die die Hunde<br />

Global: Es gibt keinen zentralen<br />

Verband für Huskytouren,<br />

aber mehrere private<br />

Anbieter in Deutschland.<br />

Schlittentouren, oft im<br />

schwedischen Lappland, findet<br />

man bei fast allen Reiseanbietern.<br />

miteinander und mit dem Gefährt<br />

verbindet, muss immer auf Spannung<br />

sein, damit es nicht zu Verstrickungen<br />

kommt oder man darüberfährt.<br />

ANBIETER<br />

Lokal I: In Prötzel bietet Walter<br />

Steinbach Schnuppertouren<br />

(99 Euro) und Halbtagestouren<br />

(148 Euro) an.<br />

Hundeerfahrung braucht<br />

man nicht. Infos unter Tel.<br />

03 34/36 37 592 oder der<br />

Website: huskytouren.de<br />

Lokal II: In Frankendorf bei<br />

Neuruppin bieten Sabine<br />

Kühn und Elmar Fust Huskytouren<br />

und -wanderungen<br />

an, viele Ausflügesind familienfreundlich.<br />

Infos unter<br />

Tel. 03 39/24 79 946 oder<br />

www.freizeit-mit-huskies.de<br />

Unsere Autorin mit zwei Huskys, die auf ihre Gespann-Kollegen warten.<br />

Steinbach erklärt die Schritte für<br />

den Start. Zuerst muss man die Vorrichtung<br />

lösen, die den Schlitten an<br />

Ort und Stelle hält, auch wenn die<br />

Hunde schon ziehen. Dann den Hunden<br />

das Kommando zum Startgeben.<br />

Mein Leithund heißt Baba, daher lautet<br />

das Startkommando in meinem<br />

Fall:„Achtung, Baba –okay!“<br />

Zum Zeitpunkt der Einweisung<br />

sind die Hunde aber noch nicht da.<br />

Beim Testlauf ist esWalter Steinbach,<br />

der den Wagen zieht. Ichbin so langsam<br />

in meiner Reaktion, dass ich den<br />

Roller kaum lenke und fast in einen<br />

Pfosten fahre. Gelächter. Ich frage<br />

mich, worauf ich mich eingelassen<br />

habe.„Nicht auf das Gefährtkonzentrieren,<br />

sondernnach vorneschauen<br />

wie beim Fahrradfahren“, sagt Steinbach.<br />

Diese Anweisung wird entscheidend<br />

für mich sein.<br />

Nun bringt er Baba, meinen Leithund,<br />

zum Einspannen zu mir. Ein<br />

Hund nach dem anderen wird aus<br />

dem Zwinger geholt, bis ein Vierergespann<br />

entsteht. Helm auf. Ich bin<br />

nach dem Lenk-Debakel etwas nervös.Aber<br />

was soll’s –los geht’s,Baba!<br />

Es ist leichter als gedacht. DerBirkenwald,<br />

in dem sich die Parcours-<br />

Strecke befindet, rast vorbei, die<br />

Herbstfarben glänzen. Das Lenken<br />

und Fahren ist tatsächlich eine rein<br />

intuitive Angelegenheit. Die Hunde<br />

bleiben manchmal stehen, um ihr<br />

Geschäft zu verrichten, aber wenn<br />

sie in Fahrt kommen, ist es ein Gefühl<br />

der Freiheit –vor allem, wenn es<br />

bergab geht.<br />

Durchschnittlich sind die Hunde<br />

mit zehn bis zwölf Stundenkilometern<br />

unterwegs, eskommt mir wesentlich<br />

schneller vor. Ich bremse<br />

kaum. Anders sieht es bergauf aus.<br />

„Bauch-Beine-Po-Strecke“ nennt<br />

Walter Steinbach diese Passage. Ich<br />

muss wie bei einem Tretroller mitdrücken,<br />

damit die Hunde den Wagen<br />

den Hügel hinaufziehen. Steinbach<br />

taucht mit einem kleinen Roller<br />

an manchen Ecken der Strecke auf,<br />

feuertuns kräftig an. DieKommunikation<br />

mit den Hunden ist sehr<br />

wichtig, sie müssen auf einen hören.<br />

Kurz darauf mache ich den gleichen<br />

Parcours noch mal, diesmal<br />

mit sechs Hunden. Der Unterschied<br />

ist spürbar.Ich muss weniger treten,<br />

es geht mit zwei Hundestärken noch<br />

schneller. Ich fliege fast aus der<br />

Kurve. Aber nur fast. EinRiesenspaß.<br />

Hitzefrei ab 20 Grad<br />

Die Hunde sind Walter Steinbachs<br />

Passion, er nennt sie seine Familie.<br />

Anders sei das gar nicht möglich.<br />

„Den Job muss man entweder leben<br />

oder bleiben lassen.“ Vier Tage in der<br />

Woche sind Gäste hier.Soromantisch<br />

das für Tierfreunde klingen mag:„Viel<br />

ist auch Scheiße schaufeln“. Walter<br />

Steinbach verfüttertandie zehn Tonnen<br />

Hundefutter proJahr.<br />

„Mit dem Schlitten ist es natürlich<br />

schöner“, sagt Steinbach, nachdem<br />

wir die Hunde wieder in die Zwinger<br />

gebracht haben. Die Hunde entfalten<br />

ihre volle Leistungsfähigkeit erst<br />

bei Minusgraden, ihreWohlfühltemperatur<br />

liegt bei minus 15 bis minus<br />

20 Grad. Deswegen macht Steinbach<br />

auch keine Touren, wenn das Thermometer<br />

mehr als 20 Grad plus<br />

zeigt. Das ist für die Hunde körperlich<br />

zu belastend.<br />

Jeden Winter fährterfür drei Monate<br />

mit den Hunden nach Schweden.<br />

Aber erst mal ist Walter Steinbach<br />

noch hier, inder herbstlichen<br />

Sonne Brandenburgs.<br />

Kufen, Kurven, coole Tiere<br />

Historie<br />

D A<br />

as Schlittenhundefahren<br />

laskan Malamutes,Siberian Huskys,<br />

Grönlandhunde und Samo-<br />

kommt ursprünglich aus dem<br />

hohen Norden. In Kanada, Alaska<br />

und Grönland werden die Tiere im<br />

Schnee als Transportmittel genutzt.<br />

Die Inuit ebenso wie die Tschuktschen<br />

in Sibirien setzen sie ein. In<br />

Schweden hat das Fahren keine Tradition,<br />

sonderndient vorallem dem<br />

Tourismus.<br />

Schon am Anfang des 20. Jahrhundert<br />

nutzten westliche Polarforscher<br />

jedes werden klassischerweise aufgrund<br />

ihres dichten Fells und ihrer<br />

Ausdauer als Schlittenhunde genutzt.<br />

Der Alaskan Malamute sieht wolfsähnlich<br />

aus, ist der stärkste und<br />

größte der Schlittenhunde und kann<br />

schwere Lasten ziehen. Aus diesem<br />

Grund wird er oft als sogenannter<br />

Wheeldog genutzt, also unmittelbar<br />

vor den Schlitten gespannt. Er hat<br />

wie Roald Amundsen Schlittenhunde<br />

braune, bräunlich-rote oder<br />

Roald Amundsen auf Tour IMAGO<br />

für ihreExpeditionen in die Arktis.<br />

Heute gibt es sportliche Rennen<br />

und sogar eineWeltmeisterschaft. Bei<br />

den großen Rennen –wie dem Iditarod<br />

oder dem Yukon Quest –können<br />

die Hunde unter den richtigen Bedingungen<br />

200 Kilometer pro Tag zurücklegen.<br />

Sie erreichen dann auch<br />

Blauäugiger Husky V. OTTO<br />

schwarze Augen.<br />

Der Siberian Husky dagegen ist<br />

von seiner Statur her kleiner und hat<br />

blaue Augen. Er gilt als athletisch und<br />

intelligent und wird deshalb oft als<br />

Leithund vorne imGespann eingesetzt.<br />

Der kräftige Grönländer wiederum<br />

hat viel Ausdauer und eine<br />

Handbremse am Wagen V. OTTO<br />

eine Spitzengeschwindigkeit von<br />

charakteristisch eingerollte Rute.<br />

35 Stundenkilometern. Bei touristischen<br />

Touren laufen die Hunde bis zu<br />

60 Kilometer am Tag.<br />

Grönländer sind schüchterner und<br />

brauchen etwas länger, umsich mit<br />

Fremden anzufreunden.<br />

Die Hunde<br />

Das Gefährt<br />

Da in vielen Gegenden hierzulande<br />

kaum mehr Schnee liegt,<br />

spannt man die Hunde statt vor<br />

Schlitten nun auch vorWagen. Dabei<br />

ziehen die Hunde eine Art Roller mit<br />

drei Rädern aus Aluminium, manchmal<br />

auch vier. Vorne hat der Wagen<br />

drei hydraulische Scheibenbremsen,<br />

zwei für die Hinter- und eine für den<br />

Vorderreifen. Die Wagen sind in den<br />

Sportrennen vor allem für Trainingszwecke<br />

gedacht.<br />

Die traditionellen Schlitten sind<br />

wesentlich schöner anzusehen. Sie<br />

sind aus Holz, oft Esche oder Hickory,<br />

und laufen auf Kufen. Aufihnen steht<br />

hinten der Fahrer, erkann das Gewicht<br />

verlagern, um die Kurven zu<br />

nehmen. Manche Schlitten haben<br />

außerdem einen Schneeanker, um<br />

das Hundegespann bei längeren Pausen<br />

am Weiterlaufen zu hindern. Bei<br />

großenWettkampfrennen können bis<br />

zu 20 Hunde vor den Schlitten gespannt<br />

werden.

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