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Berliner Zeitung 16.11.2019

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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 267 · 1 6./17. November 2019 – S eite 24<br />

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Sport<br />

Das<br />

verlorene<br />

Jahr<br />

Bundestrainer<br />

Joachim Löw gibt vor<br />

den abschließenden<br />

EM-Qualifikationsspielen<br />

zu, dass der<br />

Erneuerungsprozess der<br />

Nationalelf nicht nach<br />

Plan verläuft<br />

VonFrank Hellmann, Düsseldorf<br />

Wirkte in seiner Funktion als erster Fußballlehrer im Lande schon mal zuversichtlicher:Joachim Löw.<br />

AP/MEISSNER<br />

Joachim Löw, das wissen langjährige<br />

Wegbegleiter, ist ein<br />

modebewusster Fußballlehrer.<br />

Wenn draußen die dunkle Jahreszeit<br />

begonnen hat, trägt der Bundestrainer<br />

keine kunterbunten Farben.<br />

Sondern gerne schwarze Rollkragenpullover,<br />

die gut zum bedeckten<br />

Himmel in eher trüben<br />

Novembertagen passen. Vor dem<br />

EM-Qualifikationsspiel gegen Weißrussland<br />

am heutigen Sonnabend<br />

(20.45 Uhr/RTL) in Mönchengladbach<br />

malte der 59-Jährige die Zukunft<br />

für die deutsche Nationalmannschaft<br />

trotz der vermeintlich<br />

leichten Pflichtaufgaben zum Jahresende<br />

nicht gerade rosarot, obwohl<br />

es nur „zwei Schritte bis zur<br />

Tür“ seien, „die uns zur EM bringt“.<br />

Zweifel hat Löw grundsätzlich<br />

keine, dass es im bei weitem nicht<br />

ausverkauften Borussia-Park gegen<br />

den Außenseiter aus dem totalitär<br />

regierten Staat schiefgehen könnte:<br />

„Wenn wir unsere Stärken einbringen,<br />

werden wir gewinnen.“ Schon<br />

mit Eintreffen am Dienstag im Vorbereitungsquartier<br />

Düsseldorf –das<br />

dem DFB-Tross offenbar besser behagt<br />

als der SpielortamNiederrhein<br />

– hatte der Südbadener auch mit<br />

Blick auf den Abschluss gegen Nordirland<br />

in Frankfurt (Dienstag 20.45<br />

Uhr/RTL) versprochen: „Beide haben<br />

uns das Leben nicht so einfach<br />

gemacht in den ersten Spielen, aber<br />

wir werden beide Spiele daheim gewinnen.“<br />

Vor diesem Hintergrund erklärt<br />

sich vielleicht, dass seine Spieler in<br />

ziemlicher Unkenntnis ertappt worden<br />

sind, was die Konstellation einer<br />

vorzeitigen Qualifikation anging.<br />

„Wenn wir am Samstag gewinnen,<br />

sind wir doch durch, oder nicht?“,<br />

fragte Joshua Kimmich verwundert.<br />

„Meine Info ist: Wenn wir gewinnen,<br />

sind wir durch“, sagte Timo Werner.<br />

Beides ist falsch. Wenn die Nordiren<br />

parallel zuhause in Belfast die Niederländer<br />

schlagen, wäredas direkte<br />

Duell mit dieser kampfstarken<br />

Mannschaft drei Tage später noch<br />

vonerheblicher Bedeutung.<br />

Probleme beim Umschaltfußball<br />

Löw hat unabhängig davon („Nordirland<br />

interessiert mich noch gar<br />

nicht“) beschlossen, dass Kapitän<br />

Manuel Neuer in Mönchengladbach,<br />

der gebürtige Gladbacher<br />

Marc-André ter Stegen in Frankfurt<br />

spielt. Die Arbeitsteilung zwischen<br />

den Pfosten ist also geklärt, und auch<br />

bei anderen Personalfragen kommt<br />

es nicht zum Versteckspiel: Matthias<br />

Ginter sei als Abwehrchef, Joshua<br />

Kimmich, Toni Kroos und Ilkay Gündogan<br />

sind als Mittelfeldtrio und<br />

SergeGnabryimSturmgesetzt, sagte<br />

Löw. Doch mit seiner Auskunftsfreude<br />

klangen auch Widersprüche<br />

durch.<br />

Klostermann<br />

DEUTSCHLAND<br />

Gnabry<br />

Poliakow<br />

Gündogan<br />

Stasewitsch<br />

Voraussichtliche Aufstellung<br />

Kovalev<br />

WEISSRUSSLAND<br />

Naumov<br />

Er beteuerte einerseits, dass er<br />

eine „sehr motivierte Mannschaft“<br />

beobachte, die „viel Energie“ verbreite<br />

und eine „gute Disziplin“<br />

zeige.Trotz des gerne vonihm angestellten<br />

Vergleichs zur Generation<br />

Ginter<br />

Dragun<br />

Werner<br />

Laptev<br />

Gutor<br />

Neuer<br />

Kimmich<br />

Maevski<br />

Koch<br />

Brandt<br />

Kovalev<br />

Martinowitsch<br />

Schulz<br />

Kroos<br />

Veretilo<br />

Schiedsrichter:<br />

Orel Grinfeld (Israel)<br />

BLZ/HEIKE FISCHER<br />

Hummels-Boateng-Khedira-Özil<br />

vor der WM 2010 hakt es gleichwohl<br />

an vielen Stellen. Der Umschaltfußball<br />

funktioniert nur phasenweise,<br />

das Gebilde präsentiert sich selten<br />

durchgängig kompakt. Löw konstatierte<br />

fast betrübt: „Dieses Jahr hätte<br />

uns helfen können“, wenn es nicht<br />

so viele Ausfälle und Absagen gegeben<br />

hätte.„Sietragen nicht dazu bei,<br />

Konstanz reinzubringen, Automatismen<br />

einzuschleifen.“ Die Personalsorgen<br />

seien „ständiger Begleiter“<br />

gewesen, grummelte der Genussmensch.<br />

Fast so lästig wie ein entzündeterWeisheitszahn.Vieles<br />

hörte<br />

sich so an, als sei 2019 ein verlorenes<br />

Jahr gewesen.<br />

Dem anspruchsvollen Trainer<br />

fehlt noch immer fast eine komplette<br />

Elf, und weil darunter fest eingeplante<br />

Stützen wie Leroy Sané oder<br />

Niklas Süle sind, kommt der vielzitierte<br />

Umbruch nicht so rechtvoran.<br />

DieEinbrüche jeweils in der zweiten<br />

Halbzeit gegen die Niederlande (3:2,<br />

2:4) oder zuletzt im Test gegen Argentinien<br />

(2:2), befand der Ästhet,<br />

seien irgendwo vollkommen logisch.<br />

„Man kann von dieser Mannschaft<br />

nicht erwarten, 90 Minuten durchzuziehen.“<br />

Dafür müsse sie eingespielt<br />

sein. Dieguten Ansätzehätten<br />

ihn in diesen Begegnungen fast<br />

überrascht. Im Duktus von Löw lautet<br />

die Schlussfolgerung: Favoriten<br />

beim ersten paneuropäischen EM-<br />

Turnier 2020 sind andere.<br />

Die Franzosen mit seiner ausgebufften<br />

Weltmeister-Truppe, die<br />

hungrigen Engländer, die eingespielten<br />

Niederländer oder die sich<br />

ebenfalls im Umbruch befindlichen<br />

Spanier. Nein, die Deutschen, tatsächlich<br />

auch nur auf Platz 16 der<br />

unbestechlichen Fifa-Weltrangliste<br />

geführt, können da nicht mehr mithalten.<br />

Zumal Löw erstmals auch konkreter<br />

wurde, was ihm an der Bundesliga<br />

nicht gefällt. Begriffe wie<br />

„Männerfußball“ und „echte Kerle“<br />

brauche er nicht („die lassen wir mal<br />

weg“), aber mit einem „richtigen<br />

Zweikampfverhalten“ wäre schon<br />

viel gewonnen. Ihm fallen deutsche<br />

Spieler im Alltag viel zu häufig auf<br />

den Boden, wenn sie am Oberkörper<br />

einen Widerstand spürten. Sein<br />

Wunsch: „Auf den Beinen bleiben,<br />

Körperkontakt suchen, dagegenhalten,<br />

widerstandsfähig sein. Da können<br />

wir noch zulegen.“ Zweikämpfe<br />

seien nun einmal die Basis. „Damit<br />

meine ich auch die offensiven Zweikämpfe.<br />

Sich durchzusetzen, sich<br />

nicht wegdrängen zu lassen.“ Zugleich<br />

sollten die Schiedsrichter<br />

hierzulande ihr Tunüberdenken: „Es<br />

wird viel zu viel abgepfiffen. Das<br />

Spiel braucht einen anderen Fluss.“<br />

Das hörte sich schon wie ein erster<br />

Vorentwurffür einen Wunschzettel<br />

in der Weihnachtszeit an.<br />

Frank Hellmann<br />

sieht einen Bundestrainer<br />

in Personalnot.

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