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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 267 · 1 6./17. November 2019 5 *<br />
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Politik<br />
„Das macht uns wütend“<br />
Angehörige der Opfer des Breitscheidplatz-Attentats werfen der Bundesregierung bei der Aufklärung Hinhaltetaktik vor<br />
VonMarkus Decker<br />
Das Mahnmal für die Opfer des Dezember-Attentats am Breitscheidplatz<br />
Die Sprecherin der Hinterbliebenen<br />
des Anschlages<br />
vomBreitscheidplatz<br />
am 19. Dezember 2016,<br />
Astrid Passin, hat angesichts der<br />
jüngsten Enthüllungen im Untersuchungsausschuss<br />
des Bundestages<br />
schwereVorwürfe gegen die Bundesregierung<br />
erhoben und eine schnelle<br />
Vernehmung des damaligen Bundesinnenministers<br />
Thomas de<br />
Maizière (CDU) gefordert. „Wir sind<br />
zutiefst enttäuscht über die neuesten<br />
Nachrichten aus dem Untersuchungsausschuss“,<br />
sagte sie der <strong>Berliner</strong><br />
<strong>Zeitung</strong> (Redaktionsnetzwerk<br />
Deutschland). „Und wir fordern die<br />
Vernehmung von Thomas de<br />
Maizière.“<br />
Er sei als Innenminister verantwortlich<br />
gewesen für die Informationssperre,<br />
die direkt nach dem Anschlag<br />
verhängt worden sei. „Deshalb<br />
ist seine Aussage sehr wichtig.“<br />
Passin fügte hinzu: „Uns wurde immer<br />
gesagt, dass die Zeugen der oberen<br />
Etage erst am Schluss vernommen<br />
werden sollen. Aber das halten<br />
wir zumindest in diesem Fall für<br />
falsch.“ Und die Vernehmung des<br />
CDU-Politikers forderten die Hinterbliebenen<br />
schon sehr lange.<br />
Tempo sei auch deshalb geboten,<br />
weil die Legislaturperiode spätestens<br />
2021 zu Ende gehe und zudem<br />
vorgezogene Neuwahlen nicht ausgeschlossen<br />
seien, so die Sprecherin<br />
der Hinterbliebenen. Damit ende<br />
automatisch auch der Untersuchungsausschuss.Dabei<br />
habe dieser<br />
„absolute Priorität“.<br />
Passin, die selbst bei dem Anschlag<br />
ihren Vater verlor, sagte weiter,<br />
sie vermute hinter all dem eine<br />
„Hinhaltetaktik der Bundesregierung“.<br />
Die Angehörigen seien „fassungslos,dass<br />
ihreVertreter sich mit<br />
uns an einen Tisch setzen und uns<br />
anlügen – und hinterher kommen<br />
immer wieder solche Tatsachen her-<br />
aus. Das macht uns wütend.“ Sie<br />
hoffe, „dass noch mehr Menschen<br />
den Mutfinden, die Dinge beim Namen<br />
zu nennen –sowie es jetzt im<br />
Ausschuss geschehen ist“.<br />
Konsterniertund geschockt<br />
Am Donnerstagabend hatten Polizisten<br />
aus Nordrhein-Westfalen im<br />
Untersuchungsausschuss schwere<br />
Vorwürfe gegen das Bundesinnenministerium,<br />
das Bundeskriminalamt<br />
(BKA) und die <strong>Berliner</strong> Polizei<br />
erhoben. Ein Kriminalhauptkommissar<br />
sagte,ein BKA-Beamter habe<br />
ihm am Rande einer Besprechung<br />
beim Generalbundesanwalt am 23.<br />
Februar 2016 gesagt, der Informant<br />
des nordrhein-westfälischen Landeskriminalamtes,<br />
der damals auf<br />
die Gefährlichkeit des späteren Attentäters<br />
Anis Amri hingewiesen<br />
BERLINER ZEITUNG/PAULUS PONIZIAK<br />
habe, „mache zu viel Arbeit“. Diese<br />
Auffassung werde auch von „ganz<br />
oben“ vertreten, habe ihm der BKA-<br />
Beamte in dem Vier-Augen-Gespräch<br />
gesagt. Auf seine Nachfrage,<br />
wer mit „ganz oben“ gemeint sei,<br />
habe der Beamte damals entweder<br />
das Innenministerium oder de<br />
Maizière selbst genannt sowie einen<br />
leitenden Kriminaldirektor des BKA<br />
im Bereich Staatsschutz. Er sei nach<br />
diesem Gespräch „konsterniert und<br />
geschockt“ gewesen und habe darüber<br />
direkt im Anschluss mit zwei<br />
Staatsanwälten gesprochen.<br />
Die innenpolitische Sprecherin<br />
der Grünen-Bundestagsfraktion,<br />
Irene Mihalic, sagte: „Wir können<br />
jetzt nicht zum Tagesgeschäft übergehen,<br />
sondernwir müssen Teilnehmer<br />
der Besprechung so schnell wie<br />
möglich hören.“ Auch eine Vernehmung<br />
de Maizières sei „in der Priorität<br />
nach vorne gerückt. Er stand damals<br />
in der Verantwortung.“ Der<br />
FDP-Obmann im Untersuchungsausschuss,<br />
Benjamin Strasser, sagte:<br />
„Wenn eine V-Person, die als einzige<br />
Quelle auf die Gefahr von Anis Amri<br />
aufmerksam gemacht hat, mundtot<br />
gemacht werden sollte und das auch<br />
vom Innenminister ausgegangen<br />
sein soll, wäredas ein erschütternder<br />
Skandal.“ Dessen Befragung sei nun<br />
unausweichlich geworden.<br />
Amrihatte am 19. Dezember 2016<br />
in Berlin einen Lastwagen gekapert<br />
und dabei den polnischen Fahrer erschossen.<br />
Anschließend raste er damit<br />
über den Weihnachtsmarkt am<br />
Breitscheidplatz und tötete elf Menschen.<br />
Nach dem Anschlag konnte er<br />
nach Italien fliehen, wo er bei einer<br />
Kontrolle von Polizisten erschossen<br />
wurde. In verschiedenen Untersuchungsausschüssen<br />
wurde versucht,<br />
vor allem zwei Fragen zu beantworten:<br />
Warumkonnte Amri, der bereits<br />
den Sicherheitsbehörden aufgefallen<br />
war,nicht gestoppt werden? Und:<br />
Hatte er Helfer, oder war er wirklich<br />
ein Einzeltäter?<br />
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