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Berliner Zeitung 18.11.2019

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SEITE 14 NUMMER 268 •18. NOVEMBER 2019<br />

Prominente Vertreter wie die Hertha-Profis, die in diesem Jahr „Schichtwechsel“ mitmachten, sorgen für besondere Aufmerksamkeit –der Aktionstag steht aber allen Teilnehmern offen.<br />

HOLGER GROSS<br />

BEIM AKTIONSTAG TAUSCHEN MENSCHEN MIT UND OHNE BEHINDERUNG IHREN ARBEITSPLATZ –INDIESEM JAHR WAREN ERSTMALS PROFIS DER HERTHA BSC DABEI<br />

Neue Perspektiven beim „Schichtwechsel“<br />

Der Arbeitsplatz von Niklas Stark,<br />

Alexander Esswein und Per Skjelbred<br />

ist normalerweise der grüne<br />

Rasen –doch an einem Vormittag im<br />

Oktober befinden sich die drei Profis<br />

des Bundesligisten Hertha BSC in einer<br />

Halle im L-Werk, einer Werkstatt<br />

für Menschen mit Behinderung, und<br />

reparieren unter fachmännischer Anleitung<br />

Fahrräder. Zur gleichen Zeit stehen<br />

40 Beschäftigte aus den Werkstätten<br />

mit Hertha-Profis wie Maximilian Mittelstädt<br />

auf dem Platz und absolvieren<br />

eine Trainingseinheit.<br />

Es ist „Schichtwechsel“, ein besonderer<br />

Aktionstag, bei dem Menschen<br />

mit und ohne Handicap für einen Tag<br />

ihren Arbeitsplatz tauschen. Mehr<br />

als 500 Personen aus gut 100 Unternehmen<br />

und Organisationen sowie<br />

17 Werkstätten für behinderte Menschen<br />

nahmen allein in diesem Jahr an<br />

der Aktion in der Hauptstadt teil –von<br />

der Charité über Edeka bis zur <strong>Berliner</strong><br />

Feuerwehr. „Hertha BSC setzt sich aktiv<br />

und proaktiv für die Vielfalt unserer<br />

Gesellschaft ein. Die Teilnahme am<br />

„Schichtwechsel“ ist für uns die logische<br />

und sinnvolle Weiterführung unserer<br />

aktuellen Projekte im Bereich Inklusion“,<br />

meint Paul Keutner, Mitglied der<br />

Geschäftsleitung des Bundesligisten.<br />

Die Idee hat sich dabei mittlerweile<br />

im gesamten Bundesgebiet etabliert<br />

und findet überall Nachahmer – vom<br />

Erzgebirge über München bis nach<br />

Rheinhessen tauschen Menschen für<br />

einen Tag ihren Arbeitsplatz.<br />

Ausgezeichnete Idee<br />

Erfunden wurde der Aktionstag allerdings<br />

in Berlin, von der Landesarbeitsgemeinschaft<br />

Werkstätten für<br />

behinderte Menschen Berlin e.V. (LAG<br />

WfbM). Dabei handelt es sich um einen<br />

Zusammenschluss der Werkstätten in<br />

Berlin, die mit einer großen Auswahl an<br />

Arbeits-, Bildungs-und Fördermöglichkeiten<br />

über das gesamte Stadtgebiet<br />

verteilt sind. Mit dabei sind die Werkstatträte.<br />

Sie sichern den Selbstvertretungsanspruch<br />

von rund 10 000 Menschen<br />

mit Behinderung. Beide Partner<br />

arbeiten gemeinsam daran, über Menschen<br />

und ihre Leistungen in den Werkstätten<br />

aufzuklären.<br />

Im Jahr 2017 fand erstmals ein<br />

„Schichtwechsel“ statt –damals waren<br />

bereits 320 Menschen mit und ohne<br />

Behinderung am Aktionstag beteiligt<br />

und tauschten ihren Arbeitsplatz.<br />

Für die Initiierung des Schichtwechsels<br />

erhielten die Arbeitsgemeinschaft<br />

den „exzellent“–Sonderpreis, der von<br />

der BAG WfbM vergeben wird. Das<br />

Konzept habe ausreichend Kraft und<br />

Ideen, um aus der <strong>Berliner</strong> Aktion eine<br />

bundesweite zu machen, hieß es in der<br />

Begründung der Jury.<br />

Tatsächlich wirft der Aktionstag ein<br />

Schlaglicht auf die 17 Werkstätten, die<br />

es in Berlin gibt. Hier stehen die rund<br />

10000 Beschäftigten mit ihren unterschiedlichen<br />

Fähigkeiten und Interessen<br />

im Mittelpunkt der Angebots- und Arbeitsgestaltung.<br />

Sie fertigen in inklusiver<br />

Arbeit hochwertige Produkte wie beispielsweise<br />

Designlampen, Bonbons und<br />

Umhängetaschen.Privaten, gewerblichen<br />

und öffentlichen Kunden bieten die Werkstätten<br />

außerdem ein breites Spektrum<br />

an professionellen Dienstleistungen an.<br />

Ob Malerarbeiten, Mediendigitalisierung,<br />

Verpackung, gastronomische Angebote<br />

oder Catering –die Beschäftigten realisieren<br />

individuelle Wünsche ebenso wie<br />

die Komplettabwicklung komplexer Aufträge<br />

als DIN EN ISO zertifizierte Lieferanten<br />

der Industrie. Mit einem jährlichen<br />

Gesamtumsatz von mehr als 35 Millionen<br />

Euro leisten sie einen wichtigen Beitrag<br />

zur <strong>Berliner</strong> Wirtschaftskraft.<br />

Gleichwohl steht weniger die Vorstellung<br />

der <strong>Berliner</strong> Werkstätten im<br />

Zentrum des Aktionstages als die Idee<br />

eines Perspektivwechsels. „Menschen<br />

begegnen sich, veraltete Bilder, Wahrnehmung<br />

und Vorurteilewerden aus<br />

dem Weg geräumt. Der Schichtwechsel<br />

verändert die Sichtweise –diese Idee<br />

möchten wir weitertragen“, erklärt Bettina<br />

Neuhaus, Geschäftsführerin der<br />

LAG WfbM das Konzept.<br />

Von einer neuen Wahrnehmung berichtet<br />

etwa Berlins Senatorin für Integration,<br />

Arbeit und Soziales, Elke Breitenbach.<br />

Die Politikerin hatte bereits im<br />

vergangenen Jahr an dem Aktionstag<br />

teilgenommen, damals wechselte sie<br />

für einen Tag in die Floristik des Unionshilfswerk.<br />

In diesem Jahr packte<br />

die Sozialsenatorin in der Buchbinderei<br />

der Stephanus-Werkstätten mit an.<br />

„Ich freue mich, an diesem Tag selbst<br />

aktiv dabei zu sein. Denn die Aktion<br />

Schichtwechsel ist für mich auch ein<br />

Perspektivwechsel. Ich sehe, wie auch<br />

schon in den vergangenen Jahren, was<br />

Menschen mit Behinderung täglich<br />

leisten und leisten können. Ihre Motivation<br />

beeindruckt mich sehr. Auf der<br />

anderen Seite kann ein Mensch mit<br />

Behinderung an diesem Tag einen Blick<br />

in meinen Arbeitsalltag bekommen“,<br />

so Breitenbach.<br />

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Beim diesjährigen Schichtwechsel<br />

machte jedoch nicht nur die Landespolitik<br />

mit. So öffneten etwa auch auch das<br />

Bundministerium für Arbeit und Soziales<br />

und die Agentur für Arbeit ihre Türen.<br />

Sieben Beschäftigte aus Werkstätten<br />

schlüpften beispielsweise in die Rolle eines<br />

Mitarbeiters einer obersten Bundesbehörde.<br />

Dafür erlebten 20 Mitarbeiter<br />

des Ministeriums für Arbeit und Soziales<br />

an diesem Tag hautnah, welche wertvolle<br />

Arbeit die Menschen in den Werkstätten<br />

tagtäglich leisten. „Inklusion lebt<br />

vom Mitmachen Vieler. Ein besonders<br />

schönes Beispiel dafür ist das Projekt<br />

Schichtwechsel. Er dient dem gegenseitigen<br />

Verständnis, macht neugierig und<br />

fördert auf diese Weise Übergänge und<br />

Kooperationen -und damit auch das Vorankommen<br />

der beruflichen Inklusion,“<br />

meint Staatssekretär Dr. Rolf Schmachtenberg<br />

aus dem Bundesministerium für<br />

Arbeit und Soziales (BMAS) Und Cornelia<br />

Schwarz, Geschäftsführerin Operativ der<br />

Agentur für Arbeit Berlin Süd ergänzt:<br />

„Das Projekt Schichtwechsel stärkt<br />

das menschliche Miteinander und ist<br />

damit gelebte Demokratie. An diesem<br />

Aktionstag nehmen wir die Perspektive<br />

des Anderen ein. Die Perspektive des<br />

Anderen einnehmen heißt, den Anderen<br />

wertschätzen. Die Mitarbeiterinnen und<br />

Mitarbeiter der Agentur für Arbeit Berlin<br />

Süd fühlen sich diesem Gedanken jeden<br />

Tag verpflichtet und beteiligen sich<br />

deshalb selbstverständlich am Aktionstag<br />

Schichtwechsel.“<br />

Tatsächlich kommt der Aktionstag<br />

auch in Bereichen an, in denen inklusives<br />

Arbeitsleben sonst eher selten<br />

Thema ist: Er sei „mega aufgeregt“,<br />

verkündete etwa Dominik Dreyer, Geschäftsführer<br />

beim deutschen Ableger<br />

des US-amerikanischen Rabattanbieteres<br />

Groupon im Vorfeld seines„Schichtwechsels“<br />

über die sozialen Medien.<br />

Gemeinsam mit zwei Kollegen nahm<br />

er an dem Aktionstag teil und stellte in<br />

der Schlosserei und Tischlerei Blumenfisch<br />

in Weißensee seine handwerklichen<br />

Fähigkeiten unter Beweis. Dreyers<br />

Fazit im Nachgang: „Ein toller Tag voller<br />

neuer Perspektiven und Learnings!“<br />

Auch die Hertha-Fußballer, die sich<br />

beim Auswechseln von Schläuchen<br />

und Bremsen in der Fahrradwerkstatt<br />

des L-Werks versuchten, waren von ihren<br />

Erfahrungen beeindruckt. So freute<br />

sich Per Skjelbred über die kompetente<br />

Anleitung seiner Kollegen für einen<br />

Tag –erhabe gelernt, was er lernen<br />

wollte. Die Hoffnung auf eine „ganz<br />

besondere Erfahrung“, die Hertha-Geschäftsleiter<br />

Paul Keutner bereits im<br />

Vorfeld zum Ausdruck gebracht hatte –<br />

sie dürfte sich erfüllt haben.<br />

Der nächste „Schichtwechsel“<br />

ist für den 17. September 2020 geplant<br />

–auch dann wieder bundesweit.<br />

Die Organisation startet im Frühjahr,<br />

Anmeldungen sind jedoch bereits jetzt<br />

möglich. (pha)<br />

selbst. bestimmt.leben.<br />

SC VfJBerlin e.V., Grenzallee 53<br />

Tel. 682 81-492, sportclub@vfj-berlin.de<br />

Mehr Informationen:<br />

schichtwechsel-berlin.de

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