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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 268 · M ontag, 18. November 2019 – S eite 9 *<br />
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Berlin<br />
WasArchäologen alles<br />
am Alexanderplatz<br />
gefunden haben<br />
Seite 10<br />
Die Restaurierung des Ernst-Thälmann-Denkmals kommt nicht wie geplant in Gang Seite 11<br />
Lange vor Tesla war Grünheide Heimat eines der klügsten Oppositionellen der DDR Seite 17<br />
Stadtbild<br />
Stadt<br />
der Engel<br />
BarbaraWeitzel<br />
begegnet einem<br />
guten Menschen.<br />
Jetzt ist schon wieder was passiert.<br />
Dassagt der Brenner immer in den<br />
Krimis von Wolf Haas. Ich kann das<br />
erst jetzt sagen, als ich es aufschreibe.<br />
Denn kurznachdem wieder was passiert<br />
war, war mir alles andere als<br />
brennerisch-lakonisch zumute.<br />
Voreiniger Zeit schrieb ich hier<br />
vonVerlusten, und dass sie immer als<br />
Horde daher kommen. Da ahnte ich<br />
noch nicht, dass nach einem verlorenen<br />
Turnbeutel, einer Bauchtasche<br />
und einer Kameranoch nicht Schluss<br />
sein würde.Dass die Kameraals Ende<br />
nicht dick genug war.Ich schrieb von<br />
Hoffnungen auf die Ehrlichkeit der<br />
Mitbürger und deren teilweise Enttäuschung.<br />
Und dass ich trotzdem<br />
weiter an sie glauben will. Denn es<br />
gibt immer solche und solche.<br />
An einem Samstagmittag also fehlt<br />
mein Portemonnaie. Zwischen drei<br />
Maldie Wohnung absuchen, zwanzig<br />
Mal die Tasche auskippen, Flüchen,<br />
Tränen und Selbstgeißelung, schaffe<br />
ich es irgendwie,telefonisch drei Karten<br />
sperren zu lassen und zitternd<br />
eine Liste der Dokumente zu erstellen,<br />
die ich in der Woche darauf neu<br />
beantragen muss. Die Kinder, zunächst<br />
verstört über den Zerzausungsgrad<br />
der Mutter, erweisen sich<br />
als Engel. Nehmen mich in den Arm<br />
und decken abends den Tisch.<br />
Aufder Polizeiwache sage ich, was<br />
ich eigentlich schon nach dem ersten<br />
Tascheauskippen wusste: Dass ich<br />
die Geldbörse wohl nach dem Bezahlen<br />
im Taxi habe liegen lassen. Ob ich<br />
denn die Quittung noch hätte, fragt<br />
der Polizist, der so väterlich mit mir<br />
spricht, dass ich schon wieder weinen<br />
könnte. Dann könnte ich beim Taxiunternehmen<br />
anrufen. „Die steckt<br />
auch im Portemonnaie“ wimmere<br />
ich und schäme mich über meinen<br />
aufgelösten Zustand.<br />
Wieder zu Hause suche ich im<br />
Stundentakt in der Online-Datenbank<br />
des Fundbüros. Obwohl ich<br />
weiß, dass es bis zu drei Tage dauern<br />
kann, bis Verlorenes dort abgegeben<br />
wird. Dass es am Wochenende ohnehin<br />
geschlossen ist. Dieeinzige Folge<br />
dieser sinnlosen Recherche: Am<br />
Sonntag habe ich jede Hoffnung verloren<br />
und denke: Bestimmt hat der<br />
nächste Fahrgast es eingesteckt. Oder<br />
doch der Taxifahrer, der nur so nett<br />
getan hat, als er auf meinen Wunsch<br />
das Radio lauter stellte.<br />
Am Sonntagabend klingelt es an<br />
der Tür.„Taxi ... Geld ... Freitag“, verstehe<br />
ich nur, dazwischen das Rauschen<br />
der Straße. Ich betätige den<br />
Summer und renne nach unten. Falle<br />
dem Taxifahrer,der mit erleichtertem<br />
Gesicht vor mir steht, fast um den<br />
Hals. Erleichtert ist er, wie er mir erklärt,<br />
weil er morgen früh in die Türkei<br />
abreise.Warum ich mich nicht gemeldet<br />
hätte beim Taxi-Verband,<br />
fragt er.Ich aber bin ganz stumm vor<br />
Glück, strecke ihm das komplette<br />
Bargeld hin, er lehnt ab. Zehn Euro<br />
nimmt er dann doch als Dank. Ich<br />
wünsche ihm eine gute Reise.<br />
Als er weg ist, merke ich, dass das<br />
Glücksgefühl nicht nur vom zurückgekehrten<br />
Portemonnaie rührt. Sondern<br />
auch daher, dass der nächste<br />
Kunde es dem Fahrer gegeben und<br />
dass dieser den Wegzumir auf sich<br />
genommen hat. Daher,dass es solche<br />
und solche Menschen gibt. Undwelche,die<br />
Engeln sehr ähnlich sind.<br />
Einer der Flure der Haftanstalt Tegel.<br />
Neue Herausforderungen hinter Gittern<br />
VonAndreas Kopietz<br />
Der Anteil ausländischer<br />
Gefangener hat in den<br />
<strong>Berliner</strong> Justizvollzugsanstalten<br />
(JVA)stark zugenommen.<br />
In der Untersuchungsund<br />
Strafanstalt Moabit zum Beispiel<br />
hat weniger als ein Drittel der<br />
Häftlinge die deutsche Staatsbürgerschaft.<br />
Ende September saßen von<br />
923 Strafgefangenen dort 293 deutsche<br />
Staatsbürger ein. Dasist ein Anteil<br />
von30,5 Prozent. Vorfünf Jahren<br />
machten die Deutschen noch 44,8<br />
Prozent aus.<br />
Dies geht aus einer noch unveröffentlichten<br />
Antwort der Justizverwaltung<br />
auf eine parlamentarische<br />
Anfrage des FDP-Abgeordneten<br />
Marcel Luthe hervor. In den fünf<br />
Männergefängnissen sowie dem<br />
Frauengefängnis und der Jugendstrafanstalt<br />
bilden Insassen mit<br />
deutschem Pass zwar die größte<br />
Gruppe. Doch überall sinkt ihr Anteil.<br />
In der JVA Tegel waren deutsche<br />
Staatsbürger im Jahr 2014 noch mit<br />
67,2 Prozent vertreten. Inzwischen<br />
haben nur noch 52,8 Prozent einen<br />
deutschen Pass. InPlötzensee sank<br />
der Anteil in dieser Zeit von 68,6 auf<br />
60,9 und in Heidering bei Berlin von<br />
54,4 auf 44 Prozent. Nur imoffenen<br />
Ausländeranteil in Berlins Gefängnissen ist stark gestiegen<br />
Haftanstalten: Berlin hat<br />
vier Männergefängnisse: Die<br />
JVATegel, JVAMoabit, JVA<br />
Plötzensee, die JVAHeidering<br />
bei Berlin sowie ein<br />
Frauengefängnis, eine Jugendstrafanstalt,<br />
eine Jugendarrestanstalt<br />
und die<br />
JVAdes Offenen Vollzuges.<br />
Vollzug sind Deutsche mit 67,4 Prozent<br />
noch stärker repräsentiert. Eine<br />
Erfassung zum Migrationshintergrund<br />
von Gefangenen mit deutschem<br />
Pass erfolgt durch die Verwaltung<br />
nicht.<br />
Besonders zahlreich vertreten<br />
sind nach Angaben der Verwaltung<br />
Gefangene aus der Türkei und Polen,<br />
aber auch aus südosteuropäischen<br />
Ländern wie Rumänien oder Bulgarien.<br />
Stark gestiegen ist in den vergangenen<br />
Jahren außerdem der Anteil<br />
von Häftlingen aus dem Nahen<br />
Osten und Afrika.<br />
„Inden letzten Jahren hat die Belastung<br />
im Justizvollzugsdienst im-<br />
ES SIND NOCH PLÄTZE FREI<br />
Haftplätze: Die Justizvollzugsanstalten<br />
der Hauptstadt<br />
haben insgesamt<br />
4621 Haftplätze. Hinzu<br />
kommt das Justizvollzugskrankenhaus<br />
Berlin in der<br />
Justizvollzugsanstalt Plötzensee<br />
mit 116 weiteren Haftplätzen.<br />
Auslastung: Die Anstalten<br />
sind nicht voll ausgelastet. In<br />
der JVAMoabitwaren zum<br />
Beispiel am 13. November<br />
944 von947 Plätzen belegt.<br />
In Tegelwaren 772 von935<br />
Haftplätzen belegt und in der<br />
JVAPlötzensee 209 von369<br />
Plätzen.<br />
mer weiter zugenommen“, sagt<br />
Marcel Luthe. „Immer mehr Insassen<br />
unterschiedlichster Herkunft,<br />
Kultur und Sprache, teils ohne jeden<br />
Respekt voreinander und den Bediensteten,<br />
bringen unsere Justizvollzugsanstalten<br />
immer wieder an<br />
die Grenzen des Schaffbaren.“ Anstatt<br />
die Probleme abzustreiten,<br />
müsse der Senat endlich gegensteuernund<br />
nicht nur das Personal, sondern<br />
auch die Zahl der Haftplätze<br />
deutlich aufstocken und die Angebote<br />
verbessern, so Luthe. Erkritisiert<br />
die seiner Ansicht nach fehlende<br />
Leistungsfähigkeit der Haftanstalten.<br />
Abrechnung mit der Senatspolitik<br />
BERLINER ZEITUNG/ANDREAS KOPIETZ<br />
Sebastian Brux, Sprecher von<br />
Justizsenator Dirk Behrendt, verweist<br />
darauf, dass die Zahl der Gefängnisinsassen<br />
insgesamt abgenommen<br />
habe. Tatsächlich lag die<br />
Zahl etwa in Moabit vor fünf Jahren<br />
noch bei 942 Insassen, inzwischen<br />
sind es 19 weniger.<br />
Doch zumindest in großen Justizvollzugsanstalten<br />
wie Tegel und<br />
Heidering saßen Ende September<br />
851 Häftlinge ein – 30 Insassen<br />
mehr als noch vorfünf Jahren beziehungsweise<br />
592 –sechs mehr als vor<br />
fünf Jahren. „Wir werben verstärkt<br />
darum, dass wir auch unter den<br />
Nachwuchs-Beamten die gesellschaftliche<br />
Vielfalt abbilden, die wir<br />
in unseren Anstalten haben“, sagt<br />
Brux.<br />
Er verweist darauf, dass Ende<br />
dieses Monats weiterer Beamtennachwuchs<br />
seinen Lehrgang beende.„Wir<br />
sind froh über jeden Beamten,<br />
der mehr als deutsch und<br />
englisch spricht.“ Zudem stünden<br />
für ausländische Gefangene Dolmetscher<br />
bereit.<br />
Nach Angaben der Justizvollzugsverwaltung<br />
wurden in diesem Jahr<br />
bis Ende September 121 Personen<br />
aus der Haft in ihre Heimatländer<br />
abgeschoben. DieGesamtkosten für<br />
einen Haftplatz belaufen sich auf<br />
161,40 Euro proTag.<br />
Kreuzbergs Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann sieht bei Regierung „noch verdammt viel Luft nach oben“<br />
Die Bezirksbürgermeisterin von<br />
Friedrichshain-Kreuzberg, Monika<br />
Herrmann (Grüne), sieht bei<br />
der Arbeit des rot-rot-grünen <strong>Berliner</strong><br />
Senats viel Verbesserungspotenzial.<br />
„Der rot-rot-grüne Koalitionsvertrag<br />
ist der beste, den Berlin je<br />
hatte“, sagte Herrmann in einem Gespräch<br />
mit der Tageszeitung taz<br />
(Sonnabend-Ausgabe). Nach drei<br />
Jahren grüner Regierungsbeteiligung<br />
sei jedoch„noch verdammt viel<br />
Luft nach oben“.<br />
Explizit kritisierte die Grüne-Bürgermeisterin<br />
auch ihre Parteifreundin<br />
und Verkehrssenatorin Regine<br />
Günther –mit Blick auf den Radweg<br />
auf der Oberbaumbrücke. Kritiker<br />
hatten bemängelt, dass er nicht genug<br />
gegen den Autoverkehr geschützt<br />
sei. „Wir sind jetzt im Jahr<br />
Drei der rot-rot grünen Regierungskoalition<br />
und im Jahr Zwei des Mobilitätsgesetzes“,<br />
sagte Herrmann.<br />
„Über die Oberbaumbrücke bewegen<br />
sich die meisten Menschen mit<br />
dem Rad. Ich frage mich, warum<br />
man jetzt nachbessern muss. Man<br />
hätte es gleich richtig machen können.“<br />
Heftige Vorwürfe machte Herrmann<br />
bestimmten Gruppen linker<br />
und linksradikaler Protestierer. Als<br />
2014 ein Flüchtlingscamp auf dem<br />
Kreuzberger Oranienplatz geräumt<br />
wurde, „weil die Leute nicht im<br />
Dreck leben sollten“, sei von ihnen<br />
der Vorwurf gekommen: „du hast<br />
uns die Bilder weggenommen“.<br />
Wortwörtlich! Weiße deutsche Aktivistinnen.<br />
Das ist eine Form von Zynismus,dawill<br />
ich keine Politik mehr<br />
machen.“<br />
Herrmann sagte weiter:„Selbst in<br />
einer Situation, in der es um Leben<br />
und Todgeht –die Leute in der Schule<br />
drohten vomDach zu springen –, haben<br />
die Aktivisten, alle Parteien und<br />
alle Fraktionen und einzeln agierende<br />
Menschen auf unterschiedlichen<br />
Ebenen versucht, die Situation politisch<br />
auszunutzen.“ (dpa)<br />
NACHRICHTEN<br />
Bund gibt 100 Millionen<br />
Euro für Herzzentrum<br />
Aufdem Charité-Campus Virchow-<br />
Klinikum inWedding soll ab 2021 ein<br />
neues Herzzentrum entstehen. Der<br />
Bund wolle sich daran mit 100 Millionen<br />
Euro beteiligen, teilte die Senatsverwaltung<br />
für Wissenschaft am<br />
Freitag mit. Dashabe der Haushaltsausschuss<br />
des Bundestages beschlossen.<br />
DasLand Berlin hatte bereits<br />
etwa 287 Millionen Euro zugesagt.<br />
Im neu gebauten Universitären<br />
Herzzentrum Berlin (UHZB) sollen<br />
auf 28 000 Quadratmeterndie herzmedizinischen<br />
Kompetenzen der<br />
Charité und des Deutschen Herzzentrums<br />
Berlin zusammengeführt<br />
werden. Geplant sind modernste<br />
OP-Säle,Labore, Hybrid-Eingriffsräume<br />
und 380 Betten zur Behandlung<br />
vonHerz-Kreislauf-Erkrankungen.<br />
(BLZ)<br />
Berlin prüft Antrag für<br />
Cannabis-Modellversuch<br />
DerAntrag für ein Projekt zur Abgabe<br />
vonCannabis als Genussmittel<br />
ist auch mehrereMonate nach der<br />
Ankündigung noch nicht eingereicht.<br />
Er werdederzeit in der Senatsverwaltung<br />
für Gesundheit geprüft,<br />
teilte deren Sprecherin Lena<br />
Högemann auf Anfrage mit. Man<br />
gehe davon aus,dass der Antrag<br />
noch dieses Jahr an das Bundesinstitut<br />
für Arzneimittel und Medizinprodukte<br />
(Bfarm) gestellt werden<br />
könne.Das Institut habe dann drei<br />
Monate Zeit für die Bearbeitung, sodass<br />
bis spätestens Ende Märzmit<br />
einem Bescheid gerechnet werde.<br />
Für die Umsetzung des Projekts<br />
oder die Klage im Fall einer Ablehnung<br />
des Antrags seien im Doppelhaushalt<br />
2020/21 je 350 000 Euro<br />
gesichert, sagte die drogenpolitische<br />
Sprecherin der Grünen-Fraktion,Catherina<br />
Pieroth. Als Abgabestellen<br />
seien etwa Apotheken sinnvoll,<br />
wegen der für Betäubungsmittel<br />
nötigen Sicherheits<br />
vorkehrungen. DerBezirkFriedrichshain-Kreuzberghatte<br />
voreinigen<br />
Jahren versucht, ein Modellprojekt<br />
für den kontrollierten Verkauf<br />
vonCannabis durchzusetzen. Das<br />
BfArM lehnte den Antrag des Bezirks<br />
damals ab. (dpa)<br />
Bibliotheken schließen<br />
für eine Woche<br />
Vondiesem Sonntag an bleiben die<br />
öffentlichen Bibliotheken in Berlin<br />
für eine Woche geschlossen. Auch<br />
der Online-Katalog könne nicht genutzt<br />
werden, wie der Verbund Öffentlicher<br />
Bibliotheken Berlin<br />
(VÖBB) mitteilte.Bis zum 24. November<br />
sollen alle Daten in das IT-<br />
Dienstleistungszentrum Berlin<br />
überspielt werden, begründete der<br />
VÖBB die Schließzeit. Dabei werde<br />
die Datenbank auf ein anderes Systemumgestellt.<br />
DerDaten-Umzug<br />
sei vomLand Berlin wegen der Standardisierung<br />
der IT-Struktur vorgeschrieben<br />
worden. Betroffen sind 81<br />
Bibliotheken. DieNutzerkönnen ab<br />
dem 25. November wieder Medien<br />
ausleihen und auf den Katalog zugreifen.<br />
Zudem werdeder Online-<br />
Katalog, auf dem die Medien desVerbundes<br />
recherchiert und gebucht<br />
werden können, um neue Funktionen<br />
erweitert, hieß es.Medien, derenLeihdauer<br />
vordem 17. November<br />
ablaufe,sollten jedoch vordiesem<br />
Tagzurückgegeben oder verlängertwerden.<br />
(dpa)