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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 270 · M ittwoch, 20. November 2019 – S eite 21 *<br />
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Feuilleton<br />
Vor20Jahren wurde<br />
das postdramatische<br />
Theater ausgerufen<br />
Seite 22<br />
„Entschuldigung –estut mir leid!“<br />
Das dürfte der häufigste Dialogsatz in der neuen TV-Serie „Bonusfamilie“ sein Seite 23<br />
Kambodscha<br />
Die Prinzessin,<br />
die Tänzerin<br />
Susanne Lenz<br />
erinnertanBuppha Devis<br />
wichtigste Tat<br />
Prinzessin Norodom Buppha Devi<br />
ist tot. Sie starb am Montag mit<br />
77 Jahren in einem Krankenhaus in<br />
Bangkok. Die Kambodschaner sind<br />
in tiefer Trauer um ein Mitglied der<br />
Königsfamilie, aber vor allem wohl<br />
um die Tänzerin des Königlichen<br />
Balletts,die Buppha Devi einst gewesen<br />
ist. Schon als Kind nahm sie Unterricht,<br />
später trat sie vor ausländischen<br />
Staatsgästen auf. Tanz als Mittel<br />
der Diplomatie. Ob Charles de<br />
Gaulle mehr gesehen hat als die exotische<br />
Schönheit?<br />
Einem Mythos zufolge ist Kambodscha<br />
der verbotenen Liebe zwischen<br />
dem Eremiten Kumpu und einer<br />
himmlischen Tänzerin entsprungen.<br />
Eine Tänzerin also ist die<br />
Urmutter der Kambodschaner. Auf<br />
den steinernen Reliefs in den Tempeln<br />
von Angkor sind Tänzerinnen<br />
abgebildet. Sie tanzten für Regen,<br />
gute Ernte, den Wohlstand des<br />
Reichs, waren Bindeglied zwischen<br />
Göttern und Menschen. Später kamen<br />
die Tanzdramen, allen voran<br />
das Reamker, die kambodschanische<br />
Version des Ramayana. Der<br />
klassische kambodschanische Tanz<br />
gehörtzur Identität dieses Volkes.<br />
Buppha Devi sorgte als Kulturministerin<br />
dafür,dass der Tanz wiederbelebt<br />
wurde, nachdem die Roten<br />
Khmer fast alle Mitglieder des Königlichen<br />
Balletts getötet hatten, dass er<br />
in die Liste des immateriellen<br />
Unesco-Kulturerbes aufgenommen<br />
wurde. Daran wird nun in allen<br />
Nachrufen erinnert. Es gibt noch etwas,andas<br />
es sich zu erinnernlohnt:<br />
Nach dem Ende des Pol-Pot-Regimes<br />
1979 kam die Prinzessin aus<br />
dem französischen Exil in die Flüchtlingslager<br />
entlang der thailändischkambodschanischen<br />
Grenze. Siegab<br />
dortihren Landsleuten, die alles verloren<br />
hatten, Tanzunterricht. Als ob<br />
es nichts Wichtigeres zu tun gegeben<br />
hätte.–Es gab nichts Wichtigeres.<br />
Nichts war besser geeignet als der<br />
Tanz, um den traumatisierten Menschen<br />
einen Wegzur Heilung zu weisen,<br />
ihnen ihre Würde zurückzugeben.<br />
Buppha Devi hat das gewusst.<br />
Das Museum der Moderne in Berlin wird pro Quadratmeter viermal so viel kosten wie die 2018 eröffnete Mannheimer Kunsthalle.<br />
Leise Seufzer im Publikum<br />
Die erste Debatte nach der Geldbewilligung für das Museum der Moderne ließ viele Fragen offen<br />
VonNikolaus Bernau<br />
Wenn das Geld erst mal<br />
da ist, soll die Kritik<br />
schweigen. Das war<br />
der Grundton einer<br />
Veranstaltung im Foyer des Kammermusiksaals<br />
am Montagabend, in<br />
dem der Planungsstand des Projekts<br />
Museum der Moderne vorgestellt<br />
wurde. Um auch gar keinen Streit<br />
aufkommen zu lassen, saßen auf<br />
dem Podium nur solche Diskutanten,<br />
die dem Projekt vonHerzogund<br />
de Meuron freundlich gegenüberstehen.<br />
Zwar seien, behauptete die Stiftung<br />
Preußischer Kulturbesitz, auch<br />
„die Kritiker“ des Projekts angefragt<br />
worden. Aber die hätten abgesagt.<br />
Jedenfalls konnten sie sich nicht gegen<br />
die reichlich pauschalen Vorwürfe<br />
von Karich, vom Architekten<br />
Jaques Herzog, vomDirektor der Nationalgalerie<br />
Udo Kittelmann und<br />
oder dem Museumskurator Wulf<br />
Herzogenrath wehren, total inkompetent<br />
zu sein, falsche Zahlen zu verwenden,<br />
sich nicht mit dem Projekt<br />
beschäftigt zu haben. Es ging<br />
schlichtweg darum, die außerhalb<br />
des Saals sehr breite Opposition still<br />
zu machen.<br />
Die gute Stimmung sollte eben<br />
nicht gestört werden. Und sogab es<br />
nach dem brillanten Vortragvon Nationalgalerie-Kustos<br />
Joachim Jäger<br />
auch keinerlei Streit mehr über die<br />
gewachsenen Platzanspüche und<br />
deren Folgen für die Kosten. Er<br />
zeigte, wie sehr die Sammlung eben<br />
eine politische sei, die aus den<br />
Kämpfen des Kalten Kriegs gewachsen<br />
sei. Sieunterscheide sich deswegen<br />
fundamental von allen anderen<br />
deutschen Museen moderner Kunst.<br />
Deswegen brauche Berlin das Museum<br />
der Moderne mit 9000 QuadratmeternAusstellungsfläche;<br />
2013<br />
wollten die Staatlichen Museen sich<br />
noch mit 6000 Quadratmetern begnügen.<br />
Sei’sdrum.<br />
Die RBB-Redakteurin Claudia<br />
Henne brachte die Sache auf den<br />
Punkt: Die Platz- und damit die<br />
Standortfrage sei mit der Geldentscheidung<br />
des Bundestagshaushaltsausschusses<br />
mindestens derzeit geklärt.<br />
Man müsse nun nach vorn sehen.<br />
Unddagibt es tatsächlich noch<br />
einiges zu klären, wie gerade durch<br />
den Vortragvon Jaques Herzog deutlich<br />
wurde. Erkonnte auch diejenigen<br />
faszinieren, die die Stellung des<br />
Museums mitten auf dem Kulturforumfür<br />
grundfalsch halten. Er zeigte<br />
Räume und Oberflächengestaltungen<br />
in den unterschiedlichsten Formen<br />
und Materialien, weite Durchblicke,bemerkenswerte<br />
Vielfalt.<br />
Unklar aber blieben weiter die<br />
Folgen für Betriebskosten der Mu-<br />
„Ich bin als Architekt<br />
nicht für Kosten und Termine zuständig.“<br />
Jaques Herzog verteidigt seinen Entwurf des Museums der Moderne<br />
seen. Schon gar nicht wurde gefragt,<br />
warum hier nicht ein auch energieund<br />
umwelttechnisch hochmodernes<br />
Museum errichtet wird.<br />
Immerhin seufzte das Publikum<br />
leise bei dem künstlerarroganten<br />
Satz von Jaques Herzog „Ich bin als<br />
Architekt nicht für Kosten und Termine<br />
zuständig“. Ebenfalls ausgesessen<br />
wurde die Einlassung der<br />
rührigen Kulturpublizistin Lea Rosh,<br />
dass Berlin als „Hauptstadt“ Anspruch<br />
habe auf dieses Projekt,<br />
selbst wenn es denn eine halbe Milliarde<br />
kosten werde. An dieser Stelle<br />
JENS KALAENE<br />
wäre esdoch schön gewesen, wenn<br />
der Moderator Rainer Hübsch gefragt<br />
hätte, obesgerechtfertigt sei,<br />
dass das <strong>Berliner</strong> Museum viermal<br />
mehr pro Quadratmeter kostet als<br />
die 2018 eröffnete Mannheimer<br />
Kunsthalle.<br />
Herzogs Charme war überwältigend<br />
–bis zu dem Moment, als aus<br />
dem Publikum angeregt wurde,<br />
doch nach Schweizer Vorbild wenigstens<br />
ein Stangenmodell im Maßstab<br />
1:1 aufzubauen. Das, grantelte<br />
Herzog nun, könne doch die Wirkung<br />
der Architektur gar nicht illustrieren,<br />
sei auch ganz unnötig, sein<br />
Büroschaffe Bestes.Aber auch in der<br />
Schweiz geht es bei diesen Modellen<br />
nur um die Proportionen, nicht um<br />
die Details.Warum wagt man das in<br />
Berlin nicht?<br />
Da Herzog auch wieder keine Illustration<br />
zeigte, die den Ausblick<br />
auf „die Scheune“ durch die Fenster<br />
der Neuen Nationalgalerie zeigt,<br />
blieb die Kernfrage weiter offen: Was<br />
wird aus der Neuen Nationalgalerie,<br />
wie bleiben die Neue Staatsbibliothek<br />
und die Neue Gemäldegalerie<br />
Teil des Kulturforums. Herzog versprach<br />
immerhin, den Fassaden<br />
noch „Peperoncino“ zu geben. Vor<br />
dem Würzen und Abschmecken<br />
aber kommt der erste Spatenstich.<br />
Am 3. Dezember soll er erfolgen.<br />
Ausdiskutiertist noch nichts.<br />
NACHRICHTEN<br />
Saša Stanišic bekommt<br />
Hamburger Buchpreis<br />
Im Oktober gewann Saša Stanišic mit<br />
seinem Roman „Herkunft“ den<br />
Deutschen Buchpreis,nun hat der<br />
aus Bosnien stammende Autor auch<br />
die Jury des Hamburger Literaturpreises<br />
überzeugt.„Herkunft“ sei der<br />
Gewinner der neu geschaffenen Kategorie<br />
„Buch des Jahres“, teilte die<br />
Hamburger Kulturbehörde am<br />
Dienstag mit. Zudem werden Tamar<br />
Baumgarten-Noortfür „Ans Licht“<br />
und Katrin Seddig für„Eine deutsche<br />
Familie“ als beste Romane ausgezeichnet.<br />
DiePreise sind mit jeweils<br />
6000 Euro dotiert. (dpa)<br />
Ein Europäischer Filmpreis<br />
für „Systemsprenger“<br />
Wenige Wochen vorder Verleihung<br />
stehen einige der Gewinner beim<br />
Europäischen Filmpreis fest: „The<br />
Favourite“ wirddemnach in den Kategorien<br />
Kamera, Schnitt, Kostüm<br />
und Maskenbild geehrt. Dasdeutsche<br />
Drama „Systemsprenger“ überzeugte<br />
die Jury mit seiner Musik. Der<br />
Film selbst ist weiter für den Hauptpreis<br />
nominiertund Helena Zengel<br />
in der Rolle des Mädchens darfsich<br />
Hoffnungen auf den Darstellerpreis<br />
machen. DerFilm hatte bisher<br />
500 000 Zuschauer. (BLZ/dpa)<br />
Ägyptisches Museum wird<br />
Projektpartner für Amarna<br />
DasÄgyptische Museum und die Papyrussammlung<br />
der Staatlichen Museen<br />
zu Berlin engagieren sich bei<br />
der Einrichtung des Echnaton-Museum<br />
im mittelägyptischen el-Minja<br />
bei Amarna. Seit 2002 entsteht dort<br />
das Museum mit dem Namen des<br />
großen Pharaos der mono-religiösen<br />
Amarna-Zeit. Echnaton war der<br />
Gatte der Königin Nofretete.Auch<br />
das Ägyptische Museum Hildesheim<br />
beteiligt sich. Nunsollen für den Innenausbau<br />
und die Ausstellungsarchitektur<br />
in el-Minja unter deutscher<br />
Leitung finanzielle Mittel der<br />
Bundesregierung fließen. Damit<br />
wirdein neues Kapitel der Partnerschaft<br />
auf dem Museumssektoraufgeschlagen.<br />
DieVereinbarung unterschrieben<br />
der Preußenstiftungs-Präsident<br />
Hermann Parzinger und der<br />
Botschafter Ägyptens,Khaled Galal<br />
Abdelhamid. (BLZ)<br />
UNTERM<br />
Strich<br />
Kleingarten<br />
Umsonst<br />
und draußen<br />
VonSabine Rohlf<br />
Das Schöne an ländlichen Lebensräumen<br />
ist, dass es dortstets etwas Kostenloses<br />
an der frischen Luft zu tun gibt. Dasjedenfalls<br />
sagte mir neulich eine Philosophin<br />
aus der Prignitz, die, wenn sie nicht gerade<br />
lehrt, schreibt oder denkt, Ställe repariert,<br />
Beete umgräbt oder Holz macht. In Berlin,<br />
wo sie sich auch öfter aufhalten muss, gebe<br />
es, meint sie bedauernd, nur die Möglichkeit,<br />
draußen spazieren zu gehen oder dort<br />
etwas zu konsumieren.<br />
Als Person, die auf dem Land aufwuchs,<br />
weiß ich genau, was sie meint.Wenn es mich,<br />
entnervt von meiner sitzenden Arbeit ins<br />
Freie zieht, jogge ich gernmal durch die Hasenheide.<br />
Aber was ich eigentlich möchte<br />
und dank meines Schrebergartens auch<br />
kann, ist, im Freien einfach ein bisschen beschäftigt<br />
zu sein. Eine halbe Stunde jäten<br />
zum Beispiel, ein paar Blätter zusammenharken,<br />
eine Rosenschereölen. Ichfummele<br />
hier rumund schaue dortnach dem rechten.<br />
Dasist keine Arbeit, sondernEntspannung.<br />
Ich weiß auch nicht, welches Hirnareal<br />
danach giert, jedenfalls ist es mit Hausarbeit<br />
nicht zufrieden. Zwar ähnelt die in manchem<br />
der Gartenarbeit, aber es ist einfach etwas<br />
anderes, eine Harke statt eines Schrubbers<br />
zu schwingen. Das hat bei mir mit geschlechtsspezifischen<br />
Vorbehalten zu tun,<br />
vorallem aber mit denWänden drumherum.<br />
In der Wohnung fehlen die frische Luft, das<br />
CHRISTINA BRETSCHNEIDER<br />
Tageslicht, der Wind und die Möglichkeit,<br />
ganz zwanglos mit der Umgebung Kontakt<br />
aufzunehmen.<br />
Denn das Erfreuliche im Garten ist ja neben<br />
all den Frischlufteffekten, dass ich dort<br />
selbst im November gar nicht so selten Parzellennachbarn<br />
treffe, ein Schwätzchen<br />
halte, ohne dass irgendetwas Großes passiert,<br />
während etwas Kleines erledigt wird.<br />
Einfach so, ohne Anmeldung, ohne Eintritt,<br />
ohne Aufsicht, ohne etwas zu verzehren oder<br />
Geld auszugeben, wann man mal von der<br />
Parzellenpacht absieht.<br />
Könnten doch alle einen Garten haben!<br />
Oder wenigstens einen Hinterhof oder ein<br />
paar Baumscheiben, die es ihnen erlauben,<br />
ohne viel Aufhebens mit der analogen, ganz<br />
handfesten Welt Verbindung aufzunehmen,<br />
sie ein bisschen zu hegen, pflegen und gestalten.<br />
Undwenn es nur der eine Krokus ist,<br />
der im Februar blühen wird, weil ich vorhin<br />
seine Zwiebel im Rasen oder auf der Verkehrsinsel<br />
versenkte. Soetwas ist, das behaupten<br />
zumindest Psychologen, ausgesprochen<br />
gut fürs seelische Gleichgewicht.<br />
Womöglich inspiriert dieser Gedankengang<br />
ganz neue Verfahren, das <strong>Berliner</strong> Laub<br />
ganz ohne dröhnende BSR-Laubbläser von<br />
den Gehwegen, Parkplätzen und Parkrasen<br />
zu entfernen: Wie wäre esmit ein paar Leih-<br />
Gartengeräten und einer App, die Menschen,<br />
denen gerade danach ist, mitteilt, wo sie ein<br />
bisschen harken können? Leute,die im Sommer<br />
die dürstenden Straßenbäume mit Wasser<br />
versorgen, fänden es vielleicht nett, sich<br />
auch um die abgeworfenen Blätter ihrer<br />
Schützlinge zu kümmern.<br />
Vermutlich würde so etwas allen gut tun,<br />
jedenfalls allen, die drinnen einer sitzenden<br />
Tätigkeit nachgehen. Die, die körperlich<br />
schuften oder deren Beruf esist, inGärten,<br />
Parks, auf dem Bau oder sonst wo draußen<br />
zu arbeiten, sind dagegen sicher froh, ihre<br />
Freizeit im Kino, Café, Kaufhaus zu verbringen,<br />
ja womöglich im Theater oder Museum<br />
–oder einfach auf einem gemütlichen Sofa.<br />
Manchmal, besonders im November, finde<br />
ich das auch sehr angenehm.