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#365-375 2010

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November KONTAKT <strong>2010</strong><br />

Unzeitgemäße Tugenden<br />

(c4keit<br />

„Höflichkeit ist eine Zier, doch weiter kommt man<br />

ohne ihr", so lautet - grammatikalisch unsauber - ein<br />

Sprichwort. Es hebt ab auf die Erfahrung, dass Höflichkeit<br />

im Konkurrenzkampf des Lebens das Vorankommen<br />

behindert. Doch ist dies eigentlich ein guter<br />

Rat?<br />

Höflichkeit ist eine Tugend, die die Menschlichkeit<br />

im Umgang miteinander fördert. Dort, wo die Sorge<br />

um den Nächsten an die Belastungsgrenze führen<br />

kann, ermöglicht Höflichkeit kleine, aber spürbar<br />

wohltuende Schritte im Umgang miteinander.<br />

Grüßen und einen Gruß erwidern, sich verabschieden<br />

und nicht einfach wortlos verschwinden, an die Tür<br />

anklopfen — auch beim eigenen Kinde — vor Privaträumen<br />

und Büros Respekt haben, einen anderen<br />

nicht in Verlegenheit bringen, es ihm ersparen, dass<br />

er blamiert wird oder sich schämen muss, dem anderen<br />

den Vortritt lassen, einem Fremden mit Achtung<br />

begegnen und nicht sofort mit dem Verdacht, er sei<br />

möglicherweise ein Krimineller oder einer, der auf<br />

Kosten unseres Landes leben will — im Grunde durchzieht<br />

die Höflichkeit unseren Alltag, angefangen vom<br />

einfachen „Bitte" und „Danke" bis dahin, im<br />

anderen ein Ebenbild Gottes zu sehen.<br />

Höflichkeit ist das Gegenteil von Rücksichtslosigkeit,<br />

von vulgären und ungehemmten Umgangsformen,<br />

von Verletzung der Diskretion<br />

oder Schädigung des guten Rufes. Sie ist mehr<br />

als nur das korrekte Einhalten von Benimmregeln,<br />

die manchmal auf Skepsis stoßen, weil<br />

sie aus einer anderen, aus einer „höfischen"<br />

Gesellschaft stammen. Sie kann formal sein<br />

und in Scheinhöflichkeit, Förmlichkeit, Unaufrichtigkeit<br />

abgleiten. Aber dann handelt es sich<br />

gerade nicht mehr um Höflichkeit, sondern nur<br />

noch darum, so zu tun als ob.<br />

Höflichkeit ist gekonnte Zuwendung und kennt<br />

keine Hintergedanken. Sie bewirkt Entkrampfung<br />

dort, wo im täglichen Miteinander das<br />

Gefühl von Enge entsteht: in der kleinen Mietwohnung,<br />

im Großraumbüro, beim Stau auf der<br />

Autobahn, vor der Kasse im Supermarkt. Man<br />

reibt sich aneinander, die anderen gehen einem auf<br />

die Nerven. Höflichkeit ist die Kraft, dem anderen<br />

Raum zu lassen, Rücksicht auf ihn zu nehmen, sich<br />

nicht auf Kosten der anderen vorzudrängen und<br />

durchzusetzen.<br />

Romano Guardini hat einmal von der Höflichkeit<br />

Gottes gesprochen und damit gemeint: Gott gönnt<br />

uns täglich unseren Lebensraum. Er engt uns nicht<br />

ein, übt keinen Zwang und keinen Druck aus, Gott ist<br />

höflich.<br />

Dann wäre unsere menschliche Höflichkeit der gute<br />

Stil, dem anderen Entfaltungsraum zu lassen, ohne<br />

ihn akustisch, gestisch, verbal oder wie auch immer<br />

zu bedrängen. Höflichkeit schützt diesen Raum, sie<br />

achtet und ehrt die private Sphäre, die jede und jeder<br />

um sich hat; sie weiß um diese Verwundbarkeit und<br />

Fragilität der und des anderen und fügt nicht unbedacht<br />

Schmerzen zu. So ist sie das, als was sie gern<br />

bezeichnet wird: „die kleine Schwester der Nächstenliebe".<br />

Entnommen aus der Zeitschrift „Franziskaner"<br />

Franz Richardt ofm<br />

Auch Kinder haben ein Recht<br />

auf Privatsphäre:<br />

Höflichkeit beginnt beim Anklopfen an der Zimmertür<br />

oder beim Respektieren eines Telefongesprächs<br />

- sie ist der gute Stil, mit dem wir anderen<br />

die Freiheit zur Entfaltung lassen.

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