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Berliner Zeitung 16.01.2020

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22 <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 13 · D onnerstag, 16. Januar 2020<br />

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Feuilleton<br />

Rebecca Carrington und Colin Brown brauchten drei Jahre, um den richtigen Steuerberater zu finden.<br />

BERLINER ZEITUNG/MARKUS WÄCHTER<br />

„Die Deutschen halten sich zum Glück nicht für so witzig“<br />

Das britsche Duo Carrington-Brown über seine Brexit-Operette in der Bar jeder Vernunft, die britische Politik und den deutschen Pass<br />

Das britische Musikabarettistenduo<br />

Rebecca<br />

Carrington und Colin<br />

Brown empfängt in seiner<br />

Wohnung in Kreuzberg. Dort ist<br />

noch Weihnachten, und zwar deutsche.<br />

Auf dem Küchentisch stehen<br />

Figuren aus dem Erzgebirge, ein<br />

Nussknacker und ein Engel, der zwei<br />

Kerzen hält. Rebecca Carrington<br />

kocht Tee, sie selbst trinkt ihn allerdings<br />

– ganz unbritisch – ohne<br />

Milch. Die beiden beschreibt man<br />

am besten mit dem Wort quirlig.<br />

Könnten Sie mal einen Brexit-Witz<br />

erzählen?<br />

REBECCA CARRINGTON: Es gibt<br />

natürlich viele in unserer Operette,<br />

aber die wollen wir nicht verraten.<br />

„Brexit's acatastrophy, Britains now<br />

think they are free/David Cameron,<br />

Theresa May, au revoir BorisJ.“ –Wir<br />

machen Karikaturen aus ihnen. Sie<br />

haben auch andereNamen.<br />

Wie heißt denn Boris Johnson bei Ihnen?<br />

REBECCA CARRINGTON: Horris<br />

Momsense. Wir machen internationale<br />

Witze auf Deutsch mit britischem<br />

Humor, also ironisch, trocken,<br />

schwarz.<br />

COLIN BROWN: Bei den Deutschen<br />

muss ein Witz ganz klar sein.<br />

REBECCA CARRINGTON: In England<br />

kann man subtiler sein, aber es<br />

ist auch unheimlich schwer, Witze<br />

auf der Bühne zu machen. Denn fast<br />

all Leute im Publikum denken, sie<br />

sind witziger als die da oben. In<br />

Deutschland ist das nicht so. Die<br />

Deutschen halten sich zum Glück<br />

nicht für so witzig. Da gibt es keine<br />

Konkurrenz.<br />

Gibt es auch Brexit-Witze, die sich die<br />

Leute in Großbritannien auf der<br />

Straße erzählen?<br />

REBECCA CARRINGTON: Sie nennen<br />

das, was passiert „shit show“.<br />

Oder „Comedy of Errors“, nach dem<br />

Stück von Shakespeare, also Komödie<br />

der Irrungen.<br />

COLIN BROWN: Es gibt auch ein<br />

neues Wort: tobrexit. Das benutzt<br />

man, wenn man auf einer Party ist<br />

und ankündigt zu gehen, aber man<br />

dann gar nicht geht.<br />

Ihre Operette hatte im Mai 2019 Uraufführung<br />

bei den Ludwigsburger<br />

Schlossfestspielen. Weil dann aber<br />

immer wieder viel passiert ist in der<br />

Politik, mussten Sie sie wahrscheinlich<br />

ständig umschreiben, oder?<br />

REBECCA CARRINGTON: Klar.Theresa<br />

May war ja dann irgendwann<br />

nicht mehr da. Und wir mussten<br />

dem deutschen Publikum die neuen<br />

Charaktere erklären, denn sie kennen<br />

sich in der britischen Politik<br />

nicht so aus.<br />

Washat Ihre Brexit-Operette „Turnadot“<br />

mit Giacomo Puccinis Oper „Turandot“<br />

zu tun?<br />

REBECCA CARRINGTON: DieMusik<br />

können wir nicht benutzen, da bestehen<br />

noch Rechte. Aber die Geschichte<br />

ist ein uraltes persisches<br />

Märchen aus dem 13. Jahrhundert.<br />

Undwir erzählen sie weiter und verbinden<br />

sie mit dem Brexit. Unsere<br />

Protagonisten reisen durch die Welt<br />

bis nach China.<br />

Hatdas Wort „Turnadot“ eine Bedeutung?<br />

REBECCA CARRINGTON: Da steckt<br />

das englische Wort „turn“ drin, herumdrehen.<br />

Und das machen wir.<br />

Wir drehen die Geschichte herum:<br />

Sämtliche Mitglieder der Royal Imperial<br />

Victorian Opera Company sitzen<br />

wegen des Brexits im Flughafen<br />

vonHeathrow fest. Nurwir haben es<br />

nach Deutschland geschafft, weil wir<br />

als einzige auch einen deutschen<br />

Pass haben. Deshalb müssen wir die<br />

Produktion jetzt allein stemmen.<br />

Unddas ist auch die Wahrheit.<br />

Dass Siedeutsche Pässe haben?<br />

REBECCA CARRINGTON: Ja.Wir haben<br />

auch einen deutschen Pass.<br />

DAS DUO UND SEINE PRODUKTION<br />

Das Duo: Rebecca Carrington hat am RoyalNorthernCollegeofMusic in Manchester,England,<br />

Cello studiert, zusammen mit ihrem Mann Colin Brown bildet sie das vielfach ausgezeichnete<br />

Musik-und Comedy-Duo Carrington-Brown. In ihren Produktionen verbinden die<br />

beiden klassische Musik mit Komödie.<br />

Die Brexit- Operette: Mit „Turnadot“ nimmt das Duo die aktuelle britische Politik und den Brexit<br />

aufs Korn. Bar jeder Vernunft, 21. und 23.-26. Januar,jeweils um 20 Uhr,am26. Januar<br />

um 19 Uhr.Karten: 883 15 82<br />

Seit wann?<br />

COLIN BROWN: Seit Januar 2019.<br />

Wegen des Brexits.Wir wollten nicht<br />

für jedes Land, in dem wir spielen,<br />

ein Visum beantragen. Das geht<br />

nicht.<br />

REBECCA CARRINGTON: Jetzt sind<br />

wir frei, in Europa zu bleiben, ohne<br />

Visum.<br />

COLIN BROWN: Wir wohnen schon<br />

seit zwölf Jahren in Berlin, damals<br />

sind wir hergezogen, weil dieTheater<br />

nicht mehr die Ausländersteuer für<br />

uns bezahlen wollten.<br />

REBECCA CARRINGTON: Aber die<br />

Einbürgerung war trotzdem richtig<br />

viel Arbeit.<br />

Was war das für ein Gefühl, einen<br />

deutschen Pass zu bekommen?<br />

REBECCA CARRINGTON: Ich kann<br />

immer noch nicht glauben, dass ich<br />

da drin bin. Es ist eine große Ehre,<br />

dass wir beide haben können. DieÖsterreicher<br />

zum Beispiel würden diese<br />

doppelte Staatsbürgerschaft nicht erlauben.<br />

COLIN BROWN: Das ist ein super<br />

Gefühl. Der deutsche Pass ist der<br />

beste auf der ganzen Welt.<br />

REBECCA CARRINGTON: Vor 70<br />

Jahren hätte man das nicht gedacht.<br />

In England sollen die Pässe jetzt ja<br />

wieder blau werden.<br />

COLIN BROWN: Und sie haben dafür<br />

einen Vertrag mit Frankreich geschlossen,<br />

dort sollen die neuen<br />

Pässe produziert werden. Gleichzeitig<br />

gehen sie raus aus der EU. Ich<br />

finde das absurd.<br />

REBECCA CARRINGTON: Das war<br />

vor eineinhalb Jahren, vielleicht hat<br />

sich das inzwischen geändert. Aber<br />

es wäre pure Ironie, wenn das die<br />

Franzosen machen würden.<br />

Für die britischen Künstler ohne EU-<br />

Pass wirdesschwerer.<br />

REBECCA CARRINGTON: Ja, das ist<br />

ein Problem für diese Leute, deshalb<br />

haben ja auch gerade Künstler gegen<br />

den Brexit protestiert, Leute,die international<br />

tätig sind wie Sting oder Ed<br />

Sheeran. Für uns war es nicht so leicht,<br />

hier Fuß zufassen. Deutschland ist<br />

doch ganz anders als England. Wir<br />

sind selbstständig und eine Steuererklärung<br />

zu machen, ist nicht gerade<br />

einfach. Wir haben jetzt den vierten<br />

Steuerberater und sie ist wunderbar,<br />

aber das war ein langerWeg, drei Jahre<br />

lang Drama. Zwischendurch dachte<br />

ich, ich muss gehen. Ichhabe darüber<br />

sogar ein Lied komponiert, den „Steuerberater-Blues“.<br />

Der Brexit spaltet England bis in die<br />

Familien hinein. Wie ist das bei Ihnen?<br />

COLIN BROWN: Es hat die Leute polarisiert.<br />

Viele haben ihre Haltung<br />

nicht öffentlich gemacht, aber seit<br />

Boris Johnson die Wahl gewonnen<br />

hat, sagen viele: Das ist es, was wir<br />

wollen.Wirwollen nicht so viele Ausländer<br />

oder Leute, die von unserem<br />

Sozialsystem profitieren. Für mich<br />

ist das rassistisch. Dabei hat doch<br />

England die halbe Welt kolonisiert.<br />

Der Brexit ist eine Katastrophe, von<br />

der nur die Reichen profitieren.<br />

Meine Familie wohnt in und um<br />

London, die meisten sind gegen den<br />

Brexit.<br />

REBECCA CARRINGTON: Meine<br />

beste Freundin aus der Internatszeit<br />

ist für den Brexit. Wir haben abgemacht,<br />

nicht darüber zu sprechen.<br />

Dasist zu schwierig.<br />

COLIN BROWN: England hat wegen<br />

des Brexits den Vertragmit Tesla verloren.<br />

Diegehen jetzt nach Deutschland.<br />

Und die Engländer werden<br />

noch mehr verlieren.<br />

Was machen Sie am31. Januar um<br />

Mitternacht?<br />

REBECCA CARRINGTON: An dem<br />

Tagtreten wir in Frankreich auf.<br />

Keine Trauerzeremonie?<br />

REBECCA CARRINGTON: Das habe<br />

ich schon hinter mich gebracht, an<br />

dem Tagals Boris Johnson so haushoch<br />

gewonnen hat.<br />

DasGespräch führte Susanne Lenz.<br />

VomUrknall zur Öde der Zivilisation<br />

Fantastisch aufeinander eingespielt: Das Freiburger Barockorchester spielt im Kammermusiksaal der Philharmonie französische Opernsuiten<br />

VonMartin Wilkening<br />

Ungewohnt, in malerischprachtvoller<br />

Symmetrie, ist die<br />

Aufstellung des Freiburger Barockorchesters<br />

an diesem Dienstagabend<br />

im Kammermusiksaal.Vorne, frontal<br />

zum Publikum, sitzt die Bass-<br />

Gruppe, gerahmt von Kontrabässen<br />

links und rechts. Ihnen schließen<br />

sich zwei Cellisten an, in der Mitte<br />

Laute und Cembalo. Dahinter stehen<br />

die anderen Musiker, unter ihnen<br />

die Geigerin Amandine Beyer,<br />

die das Orchester für dieses Konzert<br />

mit französischer Musik als Leiterin<br />

eingeladen hat. Sie führt das fantastisch<br />

aufeinander eingespielte Ensemble<br />

ebenso unauffällig wie effektiv<br />

aus der Mitte heraus, ohne große<br />

Die Geigerin Amandine Beyer leitete das Orchester.<br />

OSCAR VAZQUEZ<br />

dringlich, als klingende Repräsentation<br />

kunstvoll stilisierter Körperbewegungen.<br />

Den Rahmen des<br />

Programms liefern zwei Stücke, die<br />

nichts weniger zum Thema haben<br />

als die Entstehung des Universums<br />

und dessen Krönung durch die Erscheinung<br />

des Menschen. „Die Elemente“<br />

von Jean-Féry Rebel inszeniertdas<br />

Chaos voraller Zeit im drastischen<br />

Einsatz des einzigen Cluster-<br />

Akkords des 18. Jahrhunderts.<br />

Dessen energetische Ladung löst<br />

sich nach beschleunigten Repetitionen<br />

wie in einem Urknall auf, dann<br />

finden alle Töne ihren richtigen<br />

Platz. Mit dieser Anfangssensation<br />

hat der Komponist allerdings sein<br />

Pulver weitgehend verschossen, im<br />

Fortgang herrscht die Öde der Zivili-<br />

Gesten. Gleich vier Suiten aus französischen<br />

Barock-Opern umfasst<br />

das Programm, 35 Einzelsätze von<br />

nicht immer ausgeprägter Eigenart.<br />

Derdrohenden Monotonie begegnet<br />

Beyer mit einem Arrangement, das<br />

sparsamen, aber pointierten Gebrauch<br />

vonSchlaginstrumenten mit<br />

einschließt. Schellen, Tambourins<br />

und Trommeln lockern den Klang<br />

immer wieder einmal auf.<br />

Doch anhaltende Freude macht<br />

vor allem die Durchdachtheit und<br />

die lebhafte Feinheit der Phrasierung,<br />

die kleine wie große Spannungsbögen<br />

zieht und ins richtige<br />

Verhältnis zueinander bringt. Dass<br />

dies fast alles Musik für den Bühnentanz<br />

ist, verdeutlicht die durchgeformte<br />

Gestik ebenso subtil wie einsation.<br />

Auch in Rameaus „Zais“ breitet<br />

sich nach der verstörenden Ouvertüre<br />

bald behagliche Sanftmut<br />

aus,aber hier wirken das Chaos und<br />

seine Auflösung viel stärker kompositorisch<br />

gestaltet, fast wie eine Erzählung<br />

über die Entstehung der<br />

Musik selbst.<br />

Am Anfang erscheinen deren Elemente,Rhythmus<br />

und Melodie,Harmonik<br />

und Klangfarbe in Bruchstücken,<br />

getrennt und auf scheinbar<br />

wilde Art durcheinandergeschüttelt,<br />

die sich dann als kunstreicher Vermittlungsprozess<br />

entpuppt. Ohne<br />

solche Kraftakte kamen die Suiten<br />

von Rameaus Vorgänger André<br />

Campra und Élisabeth Jacquet de la<br />

Guerre aus, der ersten Opern-Komponistin<br />

des 17. Jahrhunderts.

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