DER KONSTRUKTEUR 10/2020
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KONSTRUKTIONSELEMENTE<br />
stofflager aus einer Maschine aus, wenn sie ihr Lebensende erreicht<br />
hat? Und auch bei nicht-technischen Kunststoffen will Frank Blase<br />
aktiv werden. Deshalb hat er sich außerdem an dem spannenden<br />
Projekt „Plastic2Oil“ beteiligt. Einfach gesagt geht es darum, klassisch<br />
nicht recycelbare Kunststoffe chemisch zu recyceln, aus ihnen<br />
wieder Erdöl herzustellen. „Mitte letzten Jahres bin ich in einem<br />
Artikel der FAZ auf die Catalytic-Hydrothermal-Reactor-Technologie<br />
– kurz: Cat-HTR – aufmerksam geworden und habe mit dem<br />
deutschen Erfinder Professor Thomas Maschmeyer in Sydney den<br />
Kontakt aufgenommen.“ Sieben Monate später, nach intensiven Recherchen,<br />
investierte Igus vier Millionen Britische Pfund (4,7 Millionen<br />
Euro) in die Mura Technology Limited und damit auch in den<br />
Bau der ersten Cat-HTR-Anlage in Wilton/Großbritannien. Im Vergleich<br />
zu dem Wettbewerbsverfahren, der Pyrolyse, weist die Cat-<br />
HTR-Technologie laut ihrem Erfinder zwei bedeutende Vorteile auf:<br />
Mit ihr lassen sich auch unsortierte Kunststoffabfälle umwandeln<br />
und zwar mit relativ geringem Energieaufwand. Die Herstellung<br />
des synthetischen Erdöls soll so ressourcenschonender sein als die<br />
Gewinnung fossiler Erdöle. Lediglich Wasser, hohe Temperaturen<br />
und Druck werde für das Trennen und Neuverbinden der Zellen<br />
eingesetzt – so Maschmeier.<br />
Frank Blase erklärt: „Nachdem die Technologie über zehn Jahre in<br />
einer Pilotanlage in Australien getestet wurde, geht es nun darum,<br />
eine Anlage im großen Stil zu bauen und Erfahrungen zu sammeln.<br />
Langfristig könnten wir uns z. B. vorstellen, uns mit daran zu beteiligen,<br />
dass irgendwann in Nordrhein-Westfalen so eine Anlage gebaut<br />
wird. Wichtig ist, dass Firmen da sind, die den Ausgangsstoff liefern<br />
und solche, die das synthetische Erdöl abnehmen.“ Eine langfristige<br />
Vision, bei der es auch auf Zusammenarbeit in der Industrie ankommt.<br />
„Im Moment ist das erstmal eine reine Finanzentscheidung,<br />
eine Investition“, schließt Frank Blase ab. Eine faszinierende Idee,<br />
denn so würde Erdöl quasi zum nachwachsenden Rohstoff …<br />
ROLLE <strong>DER</strong> KONSTRUKTION<br />
Bei dem Thema Recycling ist normalerweise der Betreiber gefragt,<br />
da er die Teile am Ende ihrer Lebensdauer in seiner Obhut hat. „Wir<br />
erhoffen uns, dass sich hier irgendwann Modelle ergeben werden,<br />
bei denen der Maschinenbauer seinen Kunden ein Recycling-Paket<br />
04<br />
anbietet, nach dem Motto: Wenn Du die Maschine stilllegst, sag uns<br />
Bescheid – wir sorgen dann für sortenreines Recycling“, spekuliert<br />
Frank Blase. Letztendlich sind alle Beteiligten gefragt. Der Kon s -<br />
trukteur ist dabei in einer besonderen Rolle. Denn schon bei der<br />
Entwicklung muss er ans Ende denken. Er muss berücksichtigen,<br />
ob Komponenten recycelbar sind. Und nicht nur im Hinblick auf<br />
Wiederverwendung, sondern insgesamt ist Nachhaltigkeit ein Thema,<br />
das – wie so vieles – in der Konstruktion beginnen und auch dort<br />
schon zu Ende gedacht werden muss.<br />
„Wir können Konstrukteure bei der Entwicklung nachhaltiger<br />
Lösungen unterstützen“, sagt Frank Blase. „Ja, wir haben ein grünes<br />
Lager, das zu 54 % aus nachwachsenden Rohstoffen besteht im Programm.<br />
Und wir bieten Energiekettenrecycling an. Aber womit wir<br />
dem Konstrukteur wahrscheinlich am meisten helfen, sind unsere<br />
Berechnungstools.“ Igus hat über 30 Berechnungsprogramme für<br />
seine unterschiedlichen Produktgruppen entwickelt, die Konstrukteuren<br />
verlässliche Aussagen zu Lebensdauer und Belastbarkeit der<br />
einzelnen Komponente an die Hand geben. „Seit 2001 haben wir<br />
die Gleitlager-Lebensdauerberechnung. Bis heute ist kein Fall an<br />
NACHHALTIGKEIT MUSS IN <strong>DER</strong><br />
KONSTRUKTION BEGINNEN<br />
uns herangetragen worden, in dem der Kunde gesagt hat: ‚Ich habe<br />
das berechnet, und jetzt klappt es nicht‘. Wir haben einen großen<br />
Aufwand betrieben, um unsere Kunststofflager zu einem wirklich<br />
berechenbaren Maschinenelement zu machen, auf das man bauen<br />
kann.“ Und das nicht ohne Grund. „Die Vorbehalte vieler Maschinenbauer<br />
gegenüber Antriebselementen aus Kunststoff sind immer<br />
noch da“, berichtet Frank Blase. „Aber wir haben viele Beweise dafür,<br />
dass der Einsatz unserer Kunststoffe gegenüber Metall, geschmiertem<br />
Metall, in ganz vielen Fällen wirklichen Nutzen bringt“, sagt<br />
Frank Blase. „Kostennutzen, technischen Nutzen und ökologischen<br />
Nutzen. Und wenn es das nicht tut“, ergänzt er, „dann muss man das<br />
natürlich auch sagen und anerkennen. Aber aus meiner Sicht liegt<br />
hier noch ein großes Potenzial, in der Substitution von Metallen<br />
durch Kunststoff, in der Gewichtsersparnis, dem Wegfallen von<br />
Schmierstoffen etc.“<br />
AUF DEM WEG<br />
Der visionäre Firmenchef hat übrigens nicht auf alles eine Antwort –<br />
noch nicht! „Ein Problem, das wir noch nicht gelöst haben, ist das<br />
Thema Mikroabrieb. Und das betrifft uns natürlich auch, unsere<br />
Komponenten haben ja Abrieb. Wir müssen schauen, wie man diesen<br />
minimiert oder auffängt, oder, oder, oder.“ Frank Blase bekräftigt:<br />
„Wir wollen das ganzheitlich angehen, aber wir fangen ja gerade erst<br />
an. Wir können nicht alle Probleme auf einmal lösen.“ Der Igus Geschäftsführer,<br />
der von sich selbst sagt, er sei „neu-gierig“ sieht das so:<br />
„Man muss sich auf den Weg begeben. Oft kommen dann unterschiedliche,<br />
teils unerwartete Lösungen heraus. Vielleicht gibt es<br />
irgendwann auch einen ganz neuen Werkstoff, wer weiß ...?“ Er hofft<br />
auch auf eine Kettenreaktion: „Wir wollen einfach versuchen, ob in dem<br />
Thema Nachhaltigkeit etwas drinsteckt. Und wenn da etwas drinsteckt,<br />
dann glaube ich, dass die Kunden das auch bei anderen Firmen<br />
nachfragen werden.“ Frank Blase hat sich mit Igus jedenfalls auf<br />
den Weg gemacht, das Thema Nachhaltigkeit zu Ende zu denken und<br />
etwas zu bewegen. Man darf gespannt sein, wo die Reise hingeht …<br />
Bilder: igus GmbH<br />
www.igus.de<br />
www.derkonstrukteur.de <strong>DER</strong> <strong>KONSTRUKTEUR</strong> <strong>2020</strong>/<strong>10</strong> 37