05.10.2020 Aufrufe

VSAO JOURNAL Nr. 5 - Oktober 2020

Raum - Aufräumen, heilen, malen, bloggen Orthopädie - Orthopädische «Kurvendiskussion» Schmerz - Analgetikaunverträglichkeit: Intoleranz oder Allergie? Politik - Neuer vsao-Präsident

Raum - Aufräumen, heilen, malen, bloggen
Orthopädie - Orthopädische «Kurvendiskussion»
Schmerz - Analgetikaunverträglichkeit: Intoleranz oder Allergie?
Politik - Neuer vsao-Präsident

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Fokus<br />

Der Eisnebel löste sich auf dem<br />

Hörnligrat oberhalb von Arosa<br />

auf. Die winterliche Morgensonne<br />

stand waagrecht zu<br />

mir und strahlte durch die Reste des Eisnebels.<br />

Instinktiv zückte ich mein Smartphone,<br />

denn in diesem Moment bildete<br />

sich ein unglaublich schöner Halo. Blitzschnell<br />

fotografierte ich mit dem Smartphone<br />

und brachte zur eigenen Überraschung<br />

diesen Lichteffekt in seiner<br />

Gesamtheit auf den Chip. Nur einige Minuten<br />

später ging eines der Bilder dieses<br />

Halos per WhatsApp und Twitter raus in<br />

den digitalen Raum. Was ich nie geahnt<br />

hätte: Genau dieser Tweet wurde tausendfach<br />

gelikt und retweetet und erreichte<br />

am Schluss viral über Blogs, Newsportale<br />

und Tageszeitungen Millionen<br />

von Lesern. «A photographer in the Swiss<br />

Alps has captured a remarkable image of<br />

an ice halo, the moment ice crystals freeze<br />

in midair, creating a halo effect around<br />

the Sun», schrieb beispielsweise der USamerikanische<br />

Nachrichtensender Fox<br />

News. Der kleine Raum meiner sozialen<br />

Medienwelt wurde über Stunden riesengross!<br />

Alles nur Narzissmus?<br />

Und jetzt? Die drei Minuten Ruhm hatte<br />

ich! Obendrein viel kostenlose Arbeit, um<br />

alle die Anfragen von Bildredaktionen zu<br />

bearbeiten. Warum habe ich dieses Bild<br />

überhaupt gepostet, warum teilen Menschen<br />

wie ich im Netz Fotos und Gedanken,<br />

und warum sehen/lesen wir so gerne<br />

von anderen Menschen? Natürlich kann<br />

man die Frage stellen, ob Menschen, die<br />

Fotos und Gedanken in den digitalen<br />

Raum posten, alle narzisstisch veranlagt<br />

sind. Brüten soziale Netzwerke allenfalls<br />

sogar Narzissten aus? Oder sind Instagram<br />

& Co. bloss die nötige Bühne für alle Selbstdarsteller?<br />

Für mich ist dies zu einfach. Nur weil<br />

ich gerne fotografiere und meine Werke<br />

zusammen mit kleinen Geschichten über<br />

meinen Blog und so über Twitter, Instagram<br />

& Co. weiterverbreite, bin ich doch<br />

deswegen nicht gleich selbstverliebt! Oder<br />

sogar narzisstisch! Ist es nicht eher, dass<br />

wir heute in einer Zeit leben, in welcher die<br />

Vermarktung des eigenen Ichs und Tuns<br />

von der Gesellschaft erwartet wird? Und<br />

zwar face to face wie auch online?<br />

Der Halo-Tweet zeigt eindrücklich auf,<br />

wie ich im digitalen Raum verschiedene<br />

Nutzer erreichen und mich mit ihnen austauschen<br />

kann. Ich kann mich in eigenen<br />

definierten Räumen bewegen. Darin nutze<br />

ich die Kommunikation und Vernetzung<br />

einerseits, um Wissen, Meinungen und Informationen<br />

auszutauschen, andererseits,<br />

um meine Fotografien bewerten zu lassen<br />

und um zu inspirieren. Natürlich gibt es<br />

auch Personengruppen, die sich in ihren,<br />

in anderen digitalen Räumen bewegen,<br />

sich in der Selbstpräsentation üben und<br />

sich überwiegend mit materiellen Dingen<br />

beschäftigen – wie im realen Leben auch.<br />

«Truly all photographs<br />

are self-portraits.»<br />

Elizabeth Opalenik,<br />

Photographic Artist<br />

Im digitalen Raum gehen lernen<br />

Den richtigen Umgang mit diesen sozialen<br />

Medien musste ich vor einigen Jahren allerdings<br />

zuerst lernen, denn anfänglich<br />

lockten mich Twitter und Instagram raffiniert<br />

immer tiefer in ihre Welt, nicht zuletzt,<br />

weil sie eine Schwäche von mir ausnutzen<br />

konnten: Meine Art, immer aktiv<br />

und produktiv zu sein, traf voll den Nerv.<br />

Zuletzt bin ich tatsächlich dem Spiel um<br />

Anerkennung erlegen. Aus einer schönen<br />

Zeitverschwendung wurde Zeitvernichtung!<br />

So habe ich die Schattenseite der Social<br />

Media kennengelernt und bin einfach<br />

ausgestiegen, habe diesen digitalen Raum<br />

verlassen, die Zugänge gekappt und die<br />

Kanäle einfach ohne mich weiterrauschen<br />

lassen.<br />

In der Folge habe ich Zeit gewonnen.<br />

Zum Nachdenken. Zum Lesen. Oder einfach<br />

so. Ich habe besser geschlafen, nach<br />

ein paar Tagen fühlte ich mich ruhiger<br />

und konzentrierter. Mein Verstand verlangsamte<br />

sich, und ich wurde präsenter<br />

in dem, was ich tat.<br />

Meine Räume beschränkten sich nur<br />

noch auf die reale Welt. So erkannte ich<br />

nach einigen Wochen, dass es ganz ohne<br />

digitales Leben nicht geht. Die totale Abstinenz<br />

für mich nicht der richtige Weg ist.<br />

WhatsApp ist Teil meiner persönlichen<br />

Kommunikation, und als Hobbyblogger<br />

stehe ich sowieso im digitalen Raum. Ein<br />

Blog ohne die Kanäle der sozialen Medien<br />

macht in der heutigen Zeit wenig Sinn.<br />

Zurück in mein altes Schema wollte<br />

ich nicht mehr, da war einiges falsch gelaufen.<br />

Und meine kostbar gewonnene<br />

Zeit wollte ich behalten. Positiv kam mir<br />

entgegen, dass ich von vielen Lesern und<br />

Leserinnen meines Blogs Anregungen erhalten<br />

habe, wie man mit den Social Media<br />

«gesund» umgehen kann. Daraus habe<br />

ich meinen eigenen digitalen Kodex zusammengebastelt,<br />

und heute macht mir<br />

der Umgang mit den sozialen Medien immer<br />

noch Spass.<br />

Mein Aroser Halo-Tweet zeigte mir<br />

eindrücklich auf, was die sozialen Medien<br />

für Möglichkeiten und Überraschungen<br />

bieten. Und während der Coronapandemie<br />

fing ich an, das Ganze noch mehr zu<br />

schätzen. Klar, die klassischen Medien,<br />

beispielsweise die Tagespresse, waren<br />

meine Informationsquellen. Doch über<br />

die sozialen Medien konnte ich meine persönlichen<br />

Kontakte aufrechterhalten. Und<br />

neben meinem harten Berufsalltag war da<br />

gleichzeitig ein Raum, in welchem ich Ablenkung,<br />

Hoffnung und Inspiration fand.<br />

Und zwischendurch die Welt durch andere<br />

Augen sehen konnte.<br />

<strong>VSAO</strong> /ASMAC Journal 5/20 27

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!