Monitoringbericht "Flüchten - Ankommen - Bleiben!?"
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Zugang zu Beratungen in
Österreich: Düstere Aussichten
In Österreich sind insbesondere seit 2016 zahlreiche Gesetzesänderungen
verabschiedet worden, die vor allem darauf
abzielen, Schutzsuchenden den Zugang nach Österreich zu
erschweren, positive Asylentscheide möglichst gering zu
halten und möglichst viele Menschen mit negativem Asylbescheid
abzuschieben oder zur sogenannten „freiwilligen“
Rückkehr zu bewegen. 223
Nicht nur das Asylgesetz ist für asylsuchende Menschen relevant,
sondern auch zahlreiche andere Rechtsbereiche. Diese
regeln beispielsweise, welche Zugänge Asylwerber*innen zu
(Fort-)Bildungseinrichtungen haben oder welche Ansprüche
auf Förderungen und Sozialleistungen sie haben. In praktisch
allen Lebensbereichen von schutzsuchenden Menschen
gibt es laufend Veränderungen. Deswegen sind neben
einer professionellen Rechtsberatung auch spezialisierte
psychosoziale Beratungsstellen für schutzsuchende Menschen
unabdingbar. Sie unterstützen bei der Orientierung in
komplexen bürokratischen Systemen und leisten wichtige
Beiträge zur Verselbständigung am neuen Ort.
Jurist*innen wie auch NGOs, die mit geflüchteten Menschen
arbeiten, sehen die rechtlichen Entwicklungen im Asylbereich
sehr problematisch und üben starke Kritik, sowohl
an Gesetzesänderungen, als auch an der Rechtsprechung.
Christian Schmaus, Rechtsanwalt und Vorstandsmitglied
des Integrationshauses, betont: „Das Asylverfahren hat den
Schutz einer besonders gefährdeten Personengruppe sowie
zentrale und fundamentale Grund- und Menschenrechte
zum Gegenstand. Wer argumentiert, es handle sich nur um
ein Randthema, das Österreicher*innen nicht betreffe, verkennt,
dass diese Rechte, wie auch die staatliche Verpflichtung
zum Schutz von Menschen im Laufe der Geschichte
schwer errungen wurden und ein Abbau dieser Rechte stets
auch das Fundament des Rechtsstaates selbst angreift.“ 224
Politisches Klima
wirkt auf die Rechtsprechung
Diskurse von Regierungsträgern über schutzsuchende Menschen
haben in den letzten Jahren auch zu einer Veränderung
des politischen Klimas geführt. Dies hat Auswirkungen
auf die aktuelle Rechtsprechung. „Es werden nicht nachvollziehbare
Entscheidungen getroffen“, so Michael Weiss,
Rechtsberater des Integrationshauses, „Richter*innen fühlen
sich scheinbar durch die politische Wetterlage ermächtigt,
besonders hart zu entscheiden.“ 225
Ähnlich sehen dies auch andere Jurist*innen. Der Österreichische
Rechtsanwaltskammertag (ÖRAK) dokumentiert
in seinem Wahrnehmungsbericht 2018/2019 zahlreiche
Fälle, in denen „fundamentale Grundsätze des Staates mit
Füßen getreten“ werden. So werden Rechtsanwält*innen von
Asylwerber*innen beispielsweise per Dienstanweisung keine
Telefonauskünfte gegeben oder die Akteneinsicht wird beschränkt.
226
Dringend erforderlich ist angesichts der nationalen Politik
eine qualitativ hochwertige, unabhängige und parteiische
Rechtsberatung. UNHCR empfiehlt, „einen Anspruch auf
umfassende Rechtsberatung und -vertretung in allen asylrechtlichen
Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen
und Asyl vorzusehen und dafür Sorge zu tragen, dass diese
in jeder Hinsicht – also örtlich, zeitlich und finanziell – für
alle Asylsuchenden gut erreichbar ist.“ 227
Doch in Österreich ist der Zugang zu einer guten Rechtsberatung
und -vertretung nicht in allen Bereichen und Stadien
des Asylverfahrens gewährleistet. Die staatlich geförderte
Rechtsberatung und -vertretung wird noch bis Ende 2020
von der ARGE Rechtsberatung der Diakonie und Volkshilfe,
sowie vom Verein Menschenrechte Österreich (VMÖ) durchgeführt.
Der VMÖ wird aber aufgrund der engen Zusammenarbeit
mit dem Innenministerium oft kritisiert, da er nicht
dem Schutz der Rechte der Asylsuchenden verpflichtet zu
sein scheint. 228
Weiss bemängelt zudem, dass in Österreich beispielsweise
die Rechtsberatung und -vertretung zur Vorbereitung und
während der ersten Einvernahme fehlt. Dies ist ein Bereich,
der von unabhängigen spendenfinanzierten Rechtsberatungen,
wie die des Integrationshauses, sehr oft übernommen
wird. 229
Aufgrund der COVID-19-Pandemie und den damit einhergehenden
Ausgangsbeschränkungen sahen sich diverse Rechtsberatungsstellen
mit einer weiteren rechtlichen Aufgabe
konfrontiert. Zahlreiche Klient*innen erhielten Strafverfügungen
aufgrund von teils vermeintlichen Verstößen gegen
die Ausgangsbeschränkungen. Auch die Beratungsstelle des
Integrationshauses unterstützte beim Verfassen von Einsprüchen.
Wie das Verwaltungsgericht Wien im Juni 2020 in
einem Fall entschied, war es nie verboten, sich ohne triftigen
Grund im Freien aufzuhalten. Daher sind wohl zahlreiche
der Strafen, welche die ohnehin schon von Armut betroffenen
und in oft beengten Verhältnissen lebenden Schutzsuchenden
erhielten, nicht zulässig. Diesbezüglich wurden
auch die mehrsprachigen Corona-Informationen des Österreichischen
Integrationsfonds (ÖIF) für Migrant*innen stark
kritisiert, da sie den Eindruck vermittelten, es sei grundsätzlich
verboten, die Wohnung zu verlassen. Dass gerade
Schutzsuchende nicht richtig informiert wurden und viele
Verwaltungsstrafen erhalten haben, deutet erneut auf eine
strukturelle Diskriminierung dieser Menschen hin. 230
Das BBU-Errichtungsgesetz:
Das Ende der unabhängigen
Rechtsberatung in Österreich?
Besonders scharf fällt die Kritik von Expert*innen an dem
Errichtungsgesetz für die Bundesagentur für Betreuungsund
Unterstützungsleistungen (BBU) aus. „Stellen Sie sich
vor, der Schiedsrichter eines Spiels trainiert gleichzeitig das
andere Team. Oder Ihr Anwalt arbeitet für die Gegenseite.“
Damit beginnt der Aufruf der österreichweiten Kampagne
#FairLassen, die versucht, die Einführung der Bundesagentur
zu verhindern. 231
223
Müller, S./Rosenberger, Nach der „Asylkrise“ 2015: Die österreichische
224
Schmaus, Statements zu asylrechtlichen Entwicklungen, 08.07.2020.
227
UNHCR Österreich, UNHCR-Analyse des Entwurfs für ein BBU-Errichtungsgesetz,
230
ORF, Coronavirus: Tausende Strafen beeinsprucht, 15.06.2020; Integrati-
Asyl- und Grenzmanagementpolitik, In: G. Pallaver, E. Alber, A. Engl (Hrsg.),
225
Weiss, Die Rechtsberatung des Integrationshauses, 19.11.2019.
2019.
onshaus, Rechtsberatung bei Corona-Strafen, 16.04.2020; Lorenz/Marchart,
„Politika 2017 – Südtiroler Jahrbuch für Politik“, 2017; Vgl. Kapitel Asylverfahren.
226
Der Österreichische Rechtsanwaltskammertag, Wahrnehmungsbericht
228
AIDA, Regular procedure - Austria, 2019.
Integrationsfonds informierte Migranten unvollständig über Corona-Maßnahmen,
2018/2019; ORF, Rechtsanwälte fordern mehr Geld für Justiz, 17.12.2019.
229
Agenda Asyl, Stellungnahme von Agenda Asyl betreffend Fremdenrechtsänderung
der Standard, 16.04.2020.
2018, 2018; Weiss, Die Rechtsberatung des Integrationshauses,
231
#FairLassen, Für unabhängige Asylrechtsberatung,
19.11.2019.
<https://www.fairlassen.at/>.
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