Monitoringbericht "Flüchten - Ankommen - Bleiben!?"
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Bildung und
Arbeitsmarktintegration
Während im öffentlichen Diskurs zu Migration oftmals die
Rede von Ängsten der lokalen Bevölkerung um Arbeitsplätze
und ein überlastetes Sozialsystem ist, zeigen zahlreiche
Studien auf, dass diese Ängste nicht nur unbegründet sind,
sondern dass Europa Zuwanderung dringend braucht – insbesondere
auf dem Arbeitsmarkt und zur Erhaltung der Sozialsysteme.
Durch die demografischen Veränderungen in
Europa – steigende Lebenserwartung und rückläufige Geburtenzahlen
– würde vieles ohne Migration stillstehen. Ohne
Menschen, die von außerhalb Europas zuwandern, könnten
nicht nur zahlreiche Bauprojekte nicht umgesetzt werden,
kranke Menschen nicht versorgt werden und Lebensmittel
nicht produziert und transportiert werden, es würde auch
den europäischen Sozialsystemen bald an Finanzierung
mangeln. Eine kürzlich erschienene Studie der deutschen
Bertelsmann Stiftung zeigt, dass Deutschlands Wirtschaft
eine Zuwanderung von 146.000 Menschen von außerhalb
der EU braucht – und das jedes Jahr bis 2060. Nur so kann das
deutsche Sozialsystem, wie es heute existiert, erhalten bleiben.
Für Österreich sind die Prognosen ähnlich. 255
Hinzu kommt, dass Menschen, die nach Europa kommen
und hier arbeiten, nicht nur einen extrem wichtigen Beitrag
zur Erhaltung der verschiedenen Sozialversicherungen hier
leisten, sie tragen oft auch maßgeblich zur Entwicklung und
Förderung ihrer Herkunftsregionen bei, indem sie Geld an
zurückgebliebene Familienangehörige und Freund*innen
schicken. 256
Dazu ist es allerdings notwendig, dass Menschen, die in Europa
ankommen, auch rasch Zugang zum Arbeitsmarkt sowie
gute Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten erhalten. Sowohl
für Deutschland als auch für Österreich belegen Zahlen,
dass sich ein Großteil der Geflüchteten, die 2015 und 2016 angekommen
sind, rasch in den lokalen Arbeitsmarkt integrieren
konnte, sofern ihnen diese Möglichkeit überhaupt offen
steht. 257 Allerdings arbeiten viele als Hilfsarbeiter*innen und
ihre mitgebrachten Ressourcen und Qualifikationen gehen
dadurch verloren. Menschen, die neu in einem Land ankommen,
brauchen Unterstützung, um sich in einem neuen System
und einer neuen Sprache zurechtfinden zu können. 258
Mehrsprachige bedarfsorientierte Beratungsangebote, Zugang
zu Bildung, Ausbildungen und die Anerkennung mitgebrachter
Qualifikationen haben einen zentralen Stellenwert
für die weitere Zukunft. Genauso wichtig sind ein diskriminierungsfreier
Umgang mit Menschen anderer Herkunft,
sowie die Anerkennung, dass Menschen, die eventuell die
Landessprache noch nicht fehlerfrei beherrschen, deswegen
keine Nachteile bringen. Im Gegenteil: Mehrsprachigkeit
und Diversität sind im Bildungsbereich, auf dem Arbeitsmarkt
sowie in anderen Lebensbereichen eine Bereicherung.
Als solche sollen sie auch verstanden werden. 259
Entwicklungen in den Schulen
Gerade was die Anerkennung von Diversität und Mehrsprachigkeit
betrifft, sind im österreichischen Bildungssystem
2018/2019 leider Rückschritte erfolgt. Die im
Herbst 2018 eingeführten Deutschförderklassen sind von
Wissenschafter*innen und Expert*innen scharf kritisiert
worden. Anstatt bewährte Modelle weiterzuentwickeln, wurden
die Budgetmittel für die Integration an Schulen von 80
Millionen Euro im Jahr 2018 für das Jahr 2019 um die Hälfte
auf 40 Millionen Euro gekürzt. 260
Dass die Schulen sehr wenig Ressourcen für die Kinder haben,
bemerkt auch Gwendolyn Ploberger, Klinische- und
Gesundheitspsychologin im Integrationshaus, die für die
psychosoziale Betreuung der Schulkinder zuständig ist: „In
letzter Zeit habe ich mit Schulen verstärkt die Erfahrung gemacht,
dass diese, wenn ein Kind schwierig ist, anrufen und
versuchen, die Zuständigkeit an uns zu übergeben.“ 261
Die vorhergehende Handhabung, die auf langjährig erprobten
schulautonomen Lösungen basierte, die viel Potential zur
Weiterentwicklung hatten, wurden durch ein einheitliches
segregationsförderndes „Deutschförderklassen-System“ ersetzt.
Die neu eingeführten Maßnahmen richten sich nicht
nach dem aktuellen Stand der Forschung und sind ohne
die Einbindung von Wissenschafter*innen, Schulleitungen,
Lehrkräften sowie Betroffenen entwickelt worden. Dies stieß
in weiten Kreisen auf großes Unverständnis. Das jetzige Modell
hebt vor allem die defizitären Deutschkenntnisse der
Schüler*innen hervor, anstatt sich „an den individuellen
Lernvoraussetzungen der Schüler*innen [zu] orientieren
und die Erstsprachen der Schüler*innen ein[zu]beziehen“ 262 ,
wie der Österreichische Verband für Deutsch als Fremdsprache/Zweitsprache
(ÖDaF) kritisierte.
Kinder, welche die Regelunterrichtssprache erlernen, können
nur wenige Stunden am Regelunterricht teilnehmen.
Durch diese Segregation in eigene Klassen gehen die Sprachvorbilder
aus der Peer-Group verloren, die dem Sprachlern-
255
Fuchs/Kubis/Schneider, Zuwanderung und Digitalisierung - Wie viel
256
medico international/ProAsyl/Brot für die Welt, Flucht(ursachen)
259
Wiedner/Salikutluk/Giesecke, Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten:
261
Krob/Ploberger, Die psychosoziale Betreuung im Integrationshaus,
Migration aus Drittstaaten benötigt der deutsche Arbeitsmarkt künftig? bekämpfung, 2017.
Potenziale, Perspektiven und Herausforderungen, 03.2018; Verwiebe et al, 12.11.2019. (40:30)
Bertelsmann Stiftung, 2019; Szigetvari, Sind wir zu viele? Nein, zu wenige!,
257
APA, 44 Prozent der Flüchtlinge von 2015 haben inzwischen einen Job,
Finding your way into employment against all odds? Successful job search of
262
ÖDaF, Stellungnahme des Österreichischen Verbands für Deutsch als
der Standard, 21.11.2019.
der Standard, 28.07.2019; Brücker et al, Geflüchtete machen Fortschritte
refugees in Austria, Journal of Ethnic and Migration Studies 2019.
Fremdsprache/ Zweitsprache zu den Lehrplänen für Deutschförderklassen
bei Sprache und Beschäftigung, DIW Wochenbericht, 2019.
260
SOS Mitmensch, Integrationspolitik auf dem Rückzug?, 03.2019.
in Volksschulen, Sonderschulen, Neuen Mittelschulen sowie allgemein
128
258
Akari, Asylum Seekers in the EU Labour Market: The Example of Sweden,
bildenden höheren Schulen, 23.08.2018.
129
2019.