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Monitoringbericht "Flüchten - Ankommen - Bleiben!?"

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Die Situation

auf den griechischen Inseln

Aktuell kommen trotz des Deals stetig Menschen auf den

griechischen Ägäis-Inseln an, wenn auch nicht sehr viele

– bedingt auch durch die Einschränkungen aufgrund der

COVID-19-Pandemie. Dennoch sind es weit mehr, als wieder

abgeschoben werden konnten. 801 Personen wurden im

Jahr 2016 laut UNHCR aufgrund des Deals in die Türkei abgeschoben,

2019 noch 195 Menschen. Auch hier kann nur von

einem klaren Versagen der Politik gesprochen werden. Seit

2016 verschlechtert sich die Lage auf den ägäischen Inseln

kontinuierlich, aber Lösungsvorschläge sind bislang ausgeblieben.

So spitzte sich die Lage insbesondere auf den Inseln

Lesbos, Chios und Samos über die Jahre hinweg drastisch zu.

Über 43.000 Menschen harrten im Februar 2020

in und um die Lager der Inseln aus, die meisten

davon ohne Zugang zu offizieller Infrastruktur. In

und um das Lager Moria auf der Insel Lesbos,

das für rund 3.000 Menschen errichtet wurde,

lebten im Februar 2020 circa 20.000 Menschen.

Mehr als ein Drittel davon sind Kinder, davon 60

Prozent jünger als 12 Jahre.

Auch viele unbegleitete minderjährige Geflüchtete sitzen auf

Lesbos fest, viele davon nicht im Schutzbereich des offiziellen

Camps, sondern völlig auf sich allein gestellt. Die meisten

Menschen schlafen in leichten Zelten in den umliegenden

Olivenhainen, vollkommen inadäquat, sowohl in eisigen

Winternächten wie auch an heißen Sommertagen. Die Menschen

müssen oft den ganzen Tag in der Schlange stehen,

um unzureichende Essensportionen und Hygieneprodukte

zu erhalten. Es gibt kein elektrisches Licht, in der Nacht ist

es völlig dunkel. Es gab zahlreiche sexualisierte Übergriffe,

so dass viele Personen nachts nicht aus ihren Zelten gehen,

auch wenn sie auf die Toilette müssen.

Allgegenwärtige Gewalt

Die von Freiwilligen und NGOs geführten medizinischen

Notversorgungsstellen berichten, dass sie fast täglich Personen

mit Stichwunden behandeln. Nicht alle überleben diese

Verletzungen. Immer wieder kommt es auch zu Rauchgasvergiftungen

und Bränden, weil die Menschen versuchen,

sich und ihre oft fieberkranken Kinder warm zu halten.

Auch gibt es zahlreiche Personen mit schweren psychischen

Erkrankungen, die ohne Betreuung und mit unzureichender

medizinischer Versorgung überleben müssen. Die Situation

im Lager führt dazu, dass sich bei vielen Menschen erlebte

Traumata weiter verschlimmern. So kann es nicht überraschen,

dass es immer wieder zu Suizidversuchen und Todesfällen

kommt. Falls es zu einem großflächigen Ausbruch von

COVID-19 kommen sollte, ist zu befürchten, dass die ohnehin

unhaltbare Situation noch weiter eskalieren könnte. Die

anhaltenden Ausgangsbeschränkungen aufgrund der Pandemie

führen jetzt bereits dazu, dass sich die ohnehin schon

engen Verhältnisse in den Camps weiter verschlechtern. 76

Regelmäßig kommt es auch zu Demonstrationen von Geflüchteten,

die eine Überführung auf das Festland und eine

menschliche Lösung für ihre Situation fordern. Es kam

dabei bereits zu massiven Zusammenstößen mit der Polizei.

Anfangs gab es viel Solidarität von den eingesessenen

Inselbewohner*innen, doch durch die seit Jahren unhaltbare

Situation hat sich auch bei ihnen viel Frustration angesammelt,

da sie sich mit der Situation auf den Inseln allein gelassen

fühlen. Auch dies entlädt sich immer wieder in Protesten.

Insbesondere als die griechische Regierung im Februar

2020 ankündigte, geschlossene Lager zu bauen, kam es zu

Demonstrationen und heftigen Auseinandersetzungen. Wie

der Bau von gefängnisartigen Lagern zur Verbesserung der

Situation beitragen soll, bleibt fragwürdig. 77

Neben internationalen NGOs leisten derzeit auch selbstorganisierte

Gruppen von Geflüchteten und lokalen Freiwilligen

wichtige Arbeit in den Lagern. Die Initiative Stand by me Lesvos

verbreitet beispielsweise mit einem Awareness-Team aus

Camp-Bewohner*innen Informationen, wie man sich gegen

eine Infektion mit dem Corona-Virus schützen kann und

stellt Masken im Camp her. Ein großes Problem bildet allerdings

die unzureichende Wasserversorgung, was die Umsetzung

von minimalen Hygienemaßnahmen erschwert. 78

Zu begrüßen ist es eigentlich, dass im Mai 2020 fast 400

vulnerable Personen aufs Festland evakuiert wurden, um

einem Ausbruch von COVID-19 vorzubeugen. Allerdings

sind adäquate Unterbringungsmöglichkeiten auch auf dem

Festland nicht ausreichend gewährleistet. Positiv einzuschätzen

sind die ersten Schritte einiger EU-Staaten, größtenteils

unbegleitete minderjährige Geflüchtete von den Inseln

aufzunehmen. Doch diese Bemühungen sind noch nicht

ausreichend. Die Lager sind nach wie vor maßlos überfüllt

und vollkommen inadäquat ausgestattet. Auch andere EU-

Staaten, darunter Österreich, sollten nachziehen und Verantwortung

übernehmen, insbesondere gegenüber vulnerablen

Schutzsuchenden sowie Erstankunftsländern, wie beispielsweise

Griechenland. 79

Eskalation mit Ankündigung

Ende Februar 2020 erklärte der türkische Präsident Erdoğan,

dass die türkische Seite der Grenze nicht mehr bewacht wird.

Dies führte zu einer Eskalation der Gewalt an der türkischgriechischen

Grenze: Schutzsuchende Menschen standen

der griechischen Polizei an der Landgrenze entlang des Flusses

Evros gegenüber. Es kam zu gewaltvollen Szenen und

massiven Menschenrechtsverletzungen. Die griechische Polizei

setzte Tränengas über die Grenze hinweg ein. Auch gab

es vermehrt Berichte von Push-Backs über den Grenzfluss in

die Türkei vonseiten der griechischen Polizei und maskierter

Personen. Verschiedene Organisationen dokumentierten darüber

hinaus, dass von der griechischen Seite der Grenze aus

Schüsse auf schutzsuchende Menschen abgefeuert worden

waren. Mindestens drei Personen sind laut Amnesty International

dabei ums Leben gekommen. 80

76

UNHCR Greece, returns from Greece to Turkey, 31.12.2019; PRO

77

Smith, Greece sends more riot police to Lesbos after migrant clashes,

79

Wallis, Almost 400 migrants moved from Lesbos to Greek mainland,

ASYL, Humanitäre Krise in Griechenland: Flüchtlingsaufnahme jetzt!,

The Guardian, 04.02.2020; Smith, Greeks clash again with riot police over InfoMigrants, 04.05.2020; ECRE, Greece: New Relocations the only Positive

28.02.2020; Chapman, A doctor’s story: inside the ‘living hell’ of Moria refugee

new migrant camps, The Guardian, 26.02.2020.

Development amid Continued Violations, 15.05.2020.

camp, The Guardian, 09.02.2020; Montague, In Lesbos’s Moria camp,

78

Stand by Me Lesvos, Corona Emergency in Moria, <https://standbymelesvos.gr/projects/refugee-cir/>.

80

Mobile Info Team, Illegal Pushbacks in Evros: Evidence of Human Rights

I see what happens when a child loses all hope, The Guardian, 06.10.2019;

Abuse at the Greece/Turkey Border, 11.2019; Amnesty International,

Médecins Sans Frontières, 3 migrant children attempted suicide, 17 had

Greece/Turkey: Asylum-seekers and migrants killed and abused at borders,

injured themselves, 13.09.2019.

03.04.2020; Forensic Architecture, The Killing of Muhammad al-Arab,

56 04.03.2020.

57

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