Monitoringbericht "Flüchten - Ankommen - Bleiben!?"
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Die Balkanroute heute
Die Abschottung Europas vor der Verantwortung, Menschen
in Not Schutz und Zugang zu einem Leben in Würde zu gewähren,
spiegelt sich auch nur gut 200 km von der österreichischen
Grenze entfernt: in den unhaltbaren Bedingungen,
unter denen Menschen an den Grenzen zwischen Kroatien,
Bosnien und Herzegowina sowie Serbien ausharren müssen.
Seit der Schließung des Balkan-Korridors 2016 versuchen
Menschen auf der Flucht irregulär, von Griechenland oder
Bulgarien aus, über den Balkan nach Nord- und Zentraleuropa
zu gelangen. Dabei treffen sie auf eine weitere Externalisierung
der Grenze der Europäischen Union. Die EU-
Mitgliedstaaten Kroatien und Ungarn sorgen mit äußerster
Brutalität dafür, dass die Menschen nur unter schwierigsten
Bedingungen EU-Boden betreten können. Gelingt es den
Menschen dennoch, werden sie oft im Landesinneren aufgegriffen
und es folgen Push-Backs unter massiven Rechtsverletzungen
zurück nach Bosnien und Herzegowina oder
Serbien. Gleichzeitig wurden im Mai 2020 weitere Kooperationen
der EU-Grenzschutzagentur Frontex mit Nicht-EU Balkanstaaten
bewilligt. Auch investiert die EU immer wieder
in die Infrastruktur der Lager in Bosnien und Herzegowina
sowie Serbien und drängt die Balkanstaaten, ein funktionierendes
Asylsystem aufzubauen. Dadurch treten rechtliche
und humanitäre Bedenken in den Hintergrund, und die Verantwortung
für schutzsuchende Menschen kann leichter auf
die sogenannten „sicheren Drittstaaten“ des Balkans ausgelagert
werden. 67
Ungarn
Ungarn hat seine Grenzen schon früh mit Stacheldraht,
Überwachungstechnologien und Grenzwächtern abgeriegelt
und zwei Lager in der Transitzone direkt an der Grenze zu
Serbien errichtet. Dort wurden ab und an wenige Menschen
in die Transitzonen gelassen und konnten Asyl beantragen.
Sie mussten dafür für die gesamte Dauer des Asylverfahrens
in den engen Containern des geschlossenen Transitlagers
ausharren. Zivilgesellschaftlichen Akteur*innen war der Zugang
dazu verwehrt. Auch Essensrationen wurden nicht an
alle Personen verteilt. 68 Nach mehreren rechtlichen Schritten
gegen die Unterbringung von Schutzsuchenden in diesen
gefängnisähnlichen Transitzentren urteilte der Gerichtshof
der Europäischen Union im Mai 2020, dass Ungarn diese
schließen muss. Die circa 300 Personen, die sich zu dem Zeitpunkt
in den Transitzentren befanden, wurden in halb offene
Lager verlegt. Allerdings wird nun befürchtet, dass es für
flüchtende Menschen gar nicht mehr möglich sein wird, in
Ungarn um Schutz anzusuchen, was einer groben Verletzung
von internationalem Recht gleichkommt. 69
Zudem hat Ungarn seit 2015 zahlreiche Gesetzesänderungen
eingeführt, die nicht mit Europarecht vereinbar sind. Beispielsweise
hat ein irregulärer Grenzübertritt strafrechtliche
Konsequenzen und Push-Backs sind als legale Praxis im Gesetz
verankert und werden auch in der Praxis umgesetzt. Berichte
zeugen von brutaler Gewalt der Grenzbeamten gegen
flüchtende Menschen, die in Ungarn aufgegriffen werden,
bevor sie über die Grenze nach Serbien zurückgebracht wer-
den. Auch sind schon einige Menschen wegen irregulärem
Grenzübertritt zu Gefängnistrafen verurteilt worden. Des
Weiteren können Personen, die Unterstützung, eine Essensausgabe
oder Beratung für nicht-registrierte Personen und
Asylsuchende anbieten, mit bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft
werden. 70
Kroatien
Aufgrund dieser Situation versuchen viele schutzsuchende
Menschen, über Kroatien in die EU zu gelangen. Trotz zahlreicher
Dokumentationen von Menschenrechtsorganisationen
über massive Polizeigewalt und Push-Backs durch die
kroatische Polizei schreiten die Beitrittsverhandlungen zum
Schengen-Raum zwischen der EU und Kroatien voran. Auch
wird der kroatische Grenzschutz von Frontex unterstützt
und von der EU mitfinanziert. Die Praxis der gewaltvollen
Push-Backs führt dazu, dass die Menschen in unwegsames
Gelände ausweichen und versuchen, sich tagelang durch
den Wald bis nach Slowenien durchzuschlagen oder sich immer
gefährlichere Verstecke in oder unter LKWs oder Zügen
zu suchen. Wer Geld hat, versucht, mit Schmugglern die EU-
Außengrenze zu überqueren. Doch auch wenn es Menschen
gelingt, Slowenien zu erreichen, wird ihnen oft auch dort das
Recht, einen Asylantrag zu stellen, verwehrt. Viele Berichte
belegen, dass die slowenischen Grenzbeamten ebenfalls in
die rechtswidrige Praxis der Push-Backs involviert sind. Sie
übergeben die schutzsuchenden Menschen an die kroatischen
Behörden, welche diese in sogenannten Ketten-Push-
Backs weiter nach Bosnien und Herzegowina oder Serbien
bringen. Das Border Violence Monitoring Network, ein Zusammenschluss
aus kleinen NGOs vor Ort, sammelt Zeugenaussagen
von Menschen und dokumentiert die Gewalt und
Folter, die Geflüchteten von Seiten der kroatischen Polizei
zugefügt werden. Diese wurden im Juni 2020 auch dem österreichischen
Parlament vorgelegt. Von Schlägen und Tritten
am ganzen Körper, zum Teil mit Stangen und Tasern,
Hundebissen bis hin zu Praktiken, wie Kleidung und Schuhe
entwenden oder Menschen mit Farbe anzusprühen, bevor
die Personen dann über die Grenze zurück geschickt werden,
zeichnen die Berichte ein zutiefst erschütterndes Bild.
Laut Medienberichten sind auch schon Schüsse auf Flüchtende
abgefeuert worden. Zahlreiche Menschen haben in
den Wäldern, Grenzflüssen, auf Straßen und Zuggleisen ihr
Leben verloren. Obwohl die Situation ausreichend dokumentiert
ist und es auch Zeugenaussagen von involvierten
kroatischen Polizist*innen gibt, dementiert die kroatische
Regierung die Vorwürfe und verhindert jegliche offizielle
Aufarbeitung. Des Weiteren kommt es zu Kriminalisierungsversuchen
und Diffamierungskampagnen gegen jene Organisationen,
die laufend auf die drakonischen Rechtsverletzungen
der Polizei hinweisen. 71
67
Savković, Frontex and the Western Balkans: A new actor on the external
border of the EU, European Western Balkans, 02.12.2019.
68
Human Rights Watch, Hungary: Asylum Seekers Denied Food,
22.08.2018.
69
Novak, Hungary Moves to Close Border Camps After E.U. Court Ruling,
The New York Times, 22.05.2020; UNHCR Central Europe, UNHCR calls
on Hungary to ensure access for people seeking asylum, 22.05.2020.
70
AIDA, Access to the territory and push backs - Hungary, 2019.
71
ECRE, Schengen: A Club where Fundamental Rights (Do Not) Matter?,
2019; Border Violence Monitoring Network, Torture and cruel, inhumane,
or degrading Treatement of Refugees and Migrants in Croatia in
2019, 2020; Amnesty International, Pushed to the Edge: Violence and
Abuse against Refugees and Migrants along the Balkans Route, 2019; APA,
Migrant in Kroatien durch Schuss schwer verletzt, Salzburger Nachrichten,
17.11.2019; Human Rights Watch, Croatia: Migrants Pushed Back to Bosnia
and Herzegovina, 11.12.2018.
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