Monitoringbericht "Flüchten - Ankommen - Bleiben!?"
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Herkunftsstaat“ kommt, durchläuft sie ein beschleunigtes
Verfahren. Inzwischen gibt es in Österreich eine Liste von 19
sogenannten „sichere Herkunftsstaaten“, darunter beispielsweise
Algerien, Marokko, Senegal und Georgien. Das sind im
EU-Vergleich sehr viele. In Deutschland gelten lediglich acht
Staaten als „sichere Herkunftsländer“. 121
Die Erstaufnahmezentren unterliegen dem Bundesministerium
für Inneres und werden vom Bund betreut. Dieser
hat die Schweizer Firma ORS Service AG mit der Betreuung
der Schutzsuchenden beauftragt. Die Firma ORS ist in der
Schweiz mitunter der größte Player bei der Verwaltung von
Unterbringungseinrichtungen für geflüchtete Menschen.
Das Unternehmen, welches die Aufgaben, die davor von
nicht-profitorientierten NGOs durchführt wurden, übernommen
hat, ist durch seine Intransparenz in Bezug auf den
Umgang mit den staatlichen Geldern in der Schweiz in Kritik
geraten. Insbesondere wurde der Vorwurf geäußert, dass bei
der Betreuung der schutzsuchenden Personen gespart würde,
um Profit daraus zu schlagen. 122
Noch im Jahr 2020 werden die Erstaufnahmezentren in die
Zuständigkeit der neuen Bundesagentur für Betreuungund
Unterstützungsleistungen (BBU) fallen, die direkt dem
Innenministerium untersteht. Es könnte bedeuten, dass
der Zugang von Zivilgesellschaft und NGOs zu schutzsuchenden
Menschen zusätzlich erschwert wird. Insbesondere
auch, weil ab Jänner 2021 die Rechtsberatung und -vertretung
ebenfalls in die Zuständigkeit der BBU fällt. Somit
wird auch der Verlust einer unabhängigen und parteiischen
Rechtsberatung befürchtet, was weiter dazu beiträgt, dass
Asylwerber*innen in einem geschlossenen System ohne die
Möglichkeit auf Unterstützung aus der Zivilgesellschaft isoliert
werden (siehe Kapitel Beratung). 123
Mit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie in Österreich wurden
am 20. März 2020, zusätzlich zu den circa 500 Personen
im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen, rund 120 schutzsuchende
Menschen aus dem Rückkehrzentrum Schwechat
gebracht. Vier Tage später wurden dort zwei Personen positiv
auf COVID-19 getestet und das gesamte Lager mit rund 620
Personen gesperrt und unter Quarantäne gestellt. Nach einer
kurzen Lockerung mussten die Bewohner*innen vom Zentrum
in Traiskirchen erneut in eine zweiwöchige Quarantäne.
Dies zeigt besonders deutlich, dass die Unterbringung in
solch großen Quartieren inakzeptable Lebensbedingungen
mit sich bringt, insbesondere während einer Pandemie. 124
Die Einvernahmen
Wird die Person zum Asylverfahren in Österreich zugelassen,
erhält sie die „weiße Karte“ und wird nach einem bestimmten
Verteilungsschlüssel einem Bundesland zugeteilt, in dem
die Person dann auch wohnhaft sein muss. Zumeist wird sie
vorerst in einem Grundversorgungsquartier untergebracht.
Die schutzsuchende Person muss zu einer Einvernahme
durch eine*n Referent*in des Bundesamts für Fremdenwesen
und Asyl (BFA). Dabei werden die Asylwerber*innen zu
den Fluchtgründen befragt und müssen glaubhaft darlegen
können, dass sie berechtigte Furcht vor Verfolgung in
ihrem Herkunftsstaat haben und es keine innerstaatlichen
Fluchtalternativen gibt. Bei geflüchteten Menschen aus Afghanistan
war in den letzten Jahren eine Zunahme von ne-
gativen Entscheiden zu beobachten mit der Begründung,
dass es innerstaatliche Fluchtalternativen gäbe – dies trotz
der sich rapide verschlechternden Sicherheitslage im ganzen
Land. 125
Die Einvernahme bedeutet massiven Stress für schutzsuchende
Menschen. Sie müssen einer ihnen fremden Person
teils sehr persönliche und oft traumatische Ereignisse erzählen,
die sie zur Flucht bewogen haben. Insbesondere für
Menschen, die an einer posttraumatischen Belastungsstörung
leiden, ist dies extrem herausfordernd und kann eine
Retraumatisierung auslösen. Deshalb kann es vorkommen,
dass eine befragte Person beim Interview die besonders
traumatischen Erlebnisse weglässt, die allerdings für die Gewährung
von Asyl relevant sind. Dies beobachten auch Lydia
Krob und Gwendolyn Ploberger, die sich im Rahmen der psychosozialen
Betreuung im Integrationshaus mit geflüchteten
Menschen befassen: Oft werden traumatische Ereignisse
nur der*dem Therapeut*in oder einer Vertrauensperson
eröffnet. Dann ist es die Aufgabe der Rechtsberatung, diese
Angaben zu Fluchtgründen beim BFA einzubringen, ohne
dass die Glaubwürdigkeit des*der Klient*in in Frage gestellt
wird. Gerade in solchen Fällen ist eine gute, engagierte und
unabhängige Rechtsberatung unerlässlich. 126
Wichtig ist auch eine gute Vorbereitung auf die erste Einvernahme.
Hier sieht Michael Weiss, Leiter der unabhängigen
Rechtsberatungsstelle des Integrationshauses, eine Lücke im
staatlichen Beratungsangebot. Deshalb springen in diesem
Bereich oft unabhängige Rechtsberatungen von NGOs ein.
Besonders 2016 hat die Vorbereitung für die Erstinterviews
beim BFA viel Aufmerksamkeit gefordert. Inzwischen ist die
Zahl der Asylwerber*innen jedoch deutlich zurückgegangen.
127
Damit die asylsuchenden Menschen nicht alleine zur Einvernahme
gehen müssen, hat das Integrationshaus einen
Pool an speziell geschulten Freiwilligen, die Geflüchtete als
Vertrauenspersonen begleiten und beim Interview am BFA
anwesend sind. Ziel ist es dabei, die Geflüchteten bei diesem
schwierigen und entscheidenden Termin menschlich zu
unterstützen und zu bestärken, insbesondere wenn die Ressourcen
bei der Rechtsberatung knapp sind und die Person
nicht begleitet werden kann. 128
Übersetzung im Asylverfahren
Eine zentrale Rolle bei der Einvernahme kommt auch den
Dolmetscher*innen zu. Es gibt keine standardisierte Qualifizierung
für Übersetzer*innen, die bei Asyleinvernahmen
zum Einsatz kommen, was von verschiedenen Organisationen
kritisiert wird. UNHCR hat im September 2019 zum ersten
Mal einen Lehrgang für Dolmetscher*innen im Asylverfahren
angeboten. 129
Kritisch wird auch die Praxis gesehen, dass für die Menschen
nicht immer in ihrer Herkunftssprache übersetzt
wird. So werden beispielsweise viele Asylinterviews von
Tschetschen*innen meist auf Russisch geführt oder es werden
Personen aus afrikanischen Staaten lediglich Englisch
oder Französisch als Übersetzungssprachen angeboten. 130
121
AIDA, Country Report: Austria, 2019 Update, 03.2020; AIDA, Safe
country of origin - Germany, 04.2019.
122
Jirát/Hanimann, ORS Service AG: Die Asylprofiteure, WOZ.ch - die
Wochenzeitung, 10.02.2012; Hanimann, Die Asylprofiteure von der ORS:
Glättli fordert Transparenz bei Asylbetreuung, WOZ.ch - die Wochenzeitung,
14.06.2017.
123
#FairLassen, Für unabhängige Asylrechtsberatung,
<https://www.fairlassen.at/>.
124
Marchart, Erstaufnahmezentrum in Traiskirchen wird unter
Quarantäne gestellt, der Standard, 24.03.2020; Initiative gegen Rückkehrzentren,
<https://www.rueckkehrzentrenschliessen.org/>.
125
AIDA, Regular procedure - Austria, 2019; AIDA, Overview of the main
changes since the previous report - Austria, 2019.
126
Krob/Ploberger, Die psychosoziale Betreuung im Integrationshaus,
12.11.2019. (46:40)
127
Weiss, Die Rechtsberatung des Integrationshauses, 19.11.2019. (10:30)
128
Scherzer, Die Freiwilligenarbeit im Integrationshaus, 15.01.2020.
(1:32:55)
129
Stadt Wien, „QUADA“ – Lehrgang für Dolmetscher*innen im Asylverfahren,
OTS.at, 12.09.2019.
130
AIDA, Regular procedure - Austria, 2019; Vgl. Kapitel Tschetschenien.
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