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Monitoringbericht "Flüchten - Ankommen - Bleiben!?"

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ation auf, beispielsweise durch das mit der fortschreitenden

Neoliberalisierung einhergehende größere Reichtumsgefälle

in europäischen Staaten. 169

DIE ROLLE DER MEDIEN

Auch Medien tragen zur Festigung solcher Stereotypisierungen

und homogenisierender Diskurse über bestimmte

Bevölkerungsgruppen bei. Beispielsweise hat die Berichterstattung

über die sexualisierten Übergriffe in der

Silvesternacht 2015 in Köln maßgeblich dazu beigetragen,

das bereits vorhandene Vorurteil gegenüber geflüchteten

muslimischen Männern als inhärent sexistisch, gewalttätig

und als eine Bedrohung für „einheimische“ Frauen zu festigen.

Auch dies ist eine Stereotypisierung, die auf koloniale

Muster zurückgeht. Ähnlich funktioniert die Legitimierung

von erhöhten und beschleunigten Sicherheitsmaßnahmen,

basierend auf der diskursiven Verschmelzung der Figur des

„muslimischen Migranten“ als (potentieller) „Terrorist und

Sicherheitsbedrohung“. 170

Die Situation in Österreich:

Auswirkungen von Rassismus

und Ausgrenzung

In Österreich sind diese Tendenzen besonders an der Diskursverschiebung

über männliche asylsuchende und schutzberechtigte

Menschen aus Afghanistan zu beobachten. Diese

werden medial oft als gewalttätig und kriminell dargestellt,

als potentielle Drogendealer und als gewalttätig gegenüber

Frauen. Zeitgleich mit dem Rückkehr-Abkommen zwischen

der EU und Afghanistan wurde diese Diskursverschiebung

auch von der damaligen Regierungskoalition vorangetrieben.

Dies alles, obwohl sich die Sicherheitslage in Afghanistan

in keiner Weise verbessert hat und Menschen aus Afghanistan

nach wie vor schutzbedürftig sind. Die konkreten

Auswirkungen dessen auf die betroffenen Personen sind

zerstörend: negative Asylentscheide, Aberkennungsverfahren

und Abschiebungen in ein Land im Krieg. Nicht die Asylgründe

sind weggefallen, sondern der Diskurs hat sich in

eine rechtskonservative Richtung verschoben.

Dass auch die Regierungsebene in Österreich zu Diskursverschiebungen

beiträgt, ist auch an offiziellen Statistiken sichtbar,

welche als objektiv und faktenbasiert gelten. So hat beispielsweise

die NGO SOS Mitmensch im Februar 2020 stark

kritisiert, dass das Innenministerium sogenannte „Asyl-Zahlen“

veröffentlichte, wobei ein sehr irreführender Zusammenhang

zwischen Asylwerber*innen und Abschiebungen,

insbesondere auch Abschiebungen auf Grund von Straffälligkeit,

hergestellt wurde. Dies, obwohl es sich bei den Abgeschobenen

zu gut dreiviertel um EU-Bürger*innen handelte,

die nie einen Asylantrag gestellt hatten. Dies ist ein Beispiel

dafür, wie Vermischungen in öffentlichen Diskursen dazu

führen, dass zunehmend pauschal Verbindungen zwischen

Migrant*innen, Asyl und Kriminalität hergestellt werden. 171

Diese diskursiven Verschiebungen haben erhebliche Auswirkungen

auf Menschen, die neu in Österreich ankommen

und erschweren deren Start hier. Eine EU-weite Erhebung

der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA)

von 2019 mit Menschen afrikanischer Abstammung in der

EU führt eindrücklich vor Augen, wie stark diese Personen

in Österreich Diskriminierungen ausgesetzt sind. Im EU-Vergleich

findet in Österreich in allen erfragten Bereichen überdurchschnittlich

starke rassistische Diskriminierung statt.

Dazu gehören erlebte Diskriminierungen am Arbeits- und

Wohnungsmarkt, aber auch im alltäglichen Leben. Darüber

hinaus haben - nach Finnland - in Österreich am meisten

Menschen angegeben, Erfahrungen mit rassistischer Gewalt

gemacht zu haben. Gleichzeitig liegt Österreich im untersten

Bereich, was die Meldung von rassistischen Übergriffen angeht.

Auch haben nur sehr wenige der Befragten angegeben,

überhaupt Stellen zu kennen, bei denen sie Übergriffe melden

könnten. Dies alles zeigt, dass es in der österreichischen

Gesellschaft eine sehr starke Verbreitung von Vorurteilen

gegenüber Menschen gibt, die als „nicht-österreichisch“ angesehen

werden. Und dies auch auf institutioneller Ebene.

Institutioneller Rassismus bei der Polizei

Österreich übertrifft alle anderen EU-Staaten, insbesondere

was rassistische Übergriffe durch Polizeibeamt*innen angeht.

Laut der FRA-Erhebung haben in den fünf Jahren vor

der Umfrage 37 Prozent der Befragten in Österreich angegeben,

dass sie von der Polizei kontrolliert worden sind und

dies als „Racial Profiling“ empfunden haben – also, dass die

Betroffenen davon ausgehen, dass sie nur kontrolliert worden

sind, weil sie schwarz sind. Der EU-Durchschnitt liegt

dabei lediglich bei 10 Prozent. 172

ZARA, eine Wiener Organisation für Menschen mit Rassismuserfahrungen,

bietet Unterstützung unter anderem bei

der Einforderung von Rechten nach Diskriminierungserfahrungen.

In ihrem jährlich erscheinenden „Rassismus

Report“ thematisieren sie die großen Schwierigkeiten, rassistische

Übergriffe durch die Polizei aufzuklären oder gar

rechtliche Schritte einzuleiten, da diese praktisch keine Erfolgschancen

haben. Dies führt auch dazu, dass ein sehr großes

Misstrauen gegenüber den Behörden vorhanden ist. Der

Missstand in Österreich ist also institutionalisiert. 173

Zu begrüßen ist daher die im Regierungsprogramm angekündigte

Einrichtung einer Behörde für Misshandlungsvorwürfe

gegen Polizeibeamt*innen, wie auch die Ankündigung

eines „nationalen Aktionsplans gegen Rassismus und Diskriminierung“.

Wie diese Pläne tatsächlich umgesetzt werden,

ist allerdings nicht geklärt. Von Expert*innen wird im Integrationsbericht

von SOS Mitmensch die mangelnde Konkretisierung

von Zielsetzung, Maßnahmen und Finanzierung

kritisiert, wie auch ein eingeschränktes Rassismusverständnis,

welches institutionellen, strukturellen sowie Alltagsrassismus

ausklammert. 174

Inklusion und Teilhabe:

Ängste abbauen und Begegnung

auf Augenhöhe schaffen

Inklusion und soziale Teilhabe sind mitunter die wichtigsten

Faktoren in Bezug auf die psychische Gesundheit von

Geflüchteten, hebt die Migrationsforscherin Judith Kohlenberger

hervor, die sich intensiv mit der Integration von

Schutzsuchenden in Österreich nach 2015 beschäftigt. Ausgrenzung,

Diskriminierungserfahrungen und Rassismus

machen krank. Auch die Expert*innen aus den verschiedenen

Fachbereichen des Integrationshauses sind sich einig,

169

Wodak, Vom Rand in die Mitte, 2018; Hall, The Neo-Liberal Revolution,

171

SOS Mitmensch, Innenministerium soll irreführende „Asyl-Zahlen“

172

FRA, Als Schwarzer in der EU leben. Zweite Erhebung der Europäischen

173

ZARA, Rassismus Report 2018, 2019.

Cultural Studies 2011.

korrigieren, 14.02.2020.

Union zu Minderheiten und Diskriminierung, 15.11.2019.

174

SOS Mitmensch, Integrationsbericht: Rückkehr der Integrationspolitik?,

170

Foroutan, Forschungsbericht: „Solidarität im Wandel?“, 2017; El-Tayeb,

08.06.2020.

Undeutsch: Die Konstruktion des Anderen in der postmigrantischen

96 gesellschaft, 2016.

97

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