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Monitoringbericht "Flüchten - Ankommen - Bleiben!?"

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scheide, die schutzsuchende Menschen vom BFA erhalten,

soll dieses Zitat aus einem Entscheid gelten: „Nicht glaubhaft

ist Ihre Behauptung, dass Sie jeden Sonntag in die Kirche gehen

würden. XXX, Generalsekretär der Vereinigten Pfingstkirchen

Österreichs (VPKÖ) bestätigte in seinem Schreiben

vom XX.XX.XXXX, dass Ihre Anwesenheitsquote lediglich

86 Prozent beträgt. Von einem Besuch des Gottesdienstes an

jedem Sonntag kann daher nicht die Rede sein.“ 144

Augenscheinlich zeigten diese Missstände auch die Stellungnahme

des renommierten Grazer Asyl- und Fremdenrechtsanwalts

Ronald Frühwirth auf, der seine Kanzlei 2019 schloss:

Die Rechtsprechung habe sich mit der schwarz-blauen Regierung

2017 in einem Maße zum Schlechteren verändert,

dass es ihm unmöglich geworden sei, weiter zu arbeiten.

Auch vom Höchstgericht erhalten Asylsuchende keinen juristischen

Schutz mehr, obwohl es viele dringend brauchen

würden. Zudem hätten die formalen Hürden enorm zugenommen,

so dass es formal schon kaum mehr möglich sei,

mit einer Revision durchzukommen. Frühwirth sieht in der

veränderten Rechtsprechung politische Gründe, was rechtsstaatlich

äußerst bedenklich ist. 145

Erteilt auch das BVwG als zweite Instanz kein Schutzrecht,

so gibt es die Möglichkeit eines höchstgerichtlichen Rechtsmittels,

wenn schwere Mängel im Verfahren vorliegen. Dieses

Rechtsmittel bietet allerdings keinen Rechtsschutz vor

Abschiebung während der Rechtsmittelfrist. Dies ist eine

rechtlich fragwürdige Handhabe, da damit der Zugang zum

Höchstgericht nicht garantiert wird. Der Fall des zum Christentum

konvertierten E. Z., der am 4. Februar 2020 nach Af-

ghanistan abgeschoben worden war, zeigt dies auf tragische

Weise auf: Zwei Wochen nach seiner Abschiebung erkannte

das Bundesverwaltungsgericht E.Z. aufschiebende Wirkung

gegen die Abschiebung zu und delegierte den Fall zurück an

den Verwaltungsgerichtshof. 146

Negative Entscheide und

Aberkennungsverfahren

Eine Person erhält einen rechtskräftig negativen Bescheid,

wenn in zweiter Instanz das BVwG der Person kein Schutzrecht

zuspricht oder die Beschwerdefrist nach dem erstinstanzlichen

negativen Entscheid nicht wahrgenommen wurde.

Die Person muss Österreich dann innerhalb von 14 Tagen

verlassen. Personen mit negativem Entscheid sind dazu verpflichtet,

eine Rückkehrberatung in Anspruch zu nehmen

und an der Erlangung eines Heimreisezertifikats mitzuwirken.

Dabei kann es zu erheblichem Druck auf die Betroffenen

kommen, so dass diese trotz berechtigter Ängste in eine

sogenannte „freiwillige Rückkehr“ einwilligen. Ist es trotz

der Mitwirkung der betroffenen Person nicht möglich, ein

Heimreisezertifikat zu erhalten, beispielsweise, weil der Herkunftsstaat

nicht kooperiert oder die Person staatenlos ist,

kann eine „Duldung“ erteilt werden. Damit ist der Anspruch

auf Grundversorgung gegeben und nach einem Jahr kann

der Aufenthaltstitel „Besonderer Schutz“ beantragt und somit

wieder ein regulärer Status erlangt werden. In der Praxis

geschieht dies allerdings nicht sehr häufig. 147

Aberkennungsverfahren

Eine der tiefgreifenden Veränderungen der letzten Jahre ist

die massive Zunahme von Aberkennungsverfahren.

Im Jahr 2018 wurden 5.991 Aberkennungs-verfahren

eingeleitet, allein von Jänner bis August

2019 bereits 5.547. Im Jahr 2018 wurde 732

Konventionsflüchtlingen und 908 Personen mit

subsidiärem Schutz der Status auch tatsächlich

aberkannt.

Dies ist eine drastische Zunahme: Während es im Jahr 2015

lediglich 127 Aberkennungen gab, betraf es 1.640 Personen

im Jahr 2018. Hauptbetroffene waren Menschen aus Afghanistan,

gefolgt von Personen aus der Russischen Föderation,

vermutlich größtenteils Tschetschen*innen. 148

Für Christian Schmaus, Rechtsanwalt und Vorstandsmitglied

des Integrationshauses, ist diese Entwicklung äußerst

bedenklich: „Es widerstreitet grundsätzlichen rechtsstaatlichen

Erwägungen, wenn Menschen aus Afghanistan noch

vor einigen Jahren in der Regel zumindest subsidiärer Schutz

gewährt worden ist, während dieser Schutz heute in vergleichbaren

Fällen – trotz weiterer Verschlechterung der

Sicherheits- und Versorgungslage vor Ort – nicht mehr gewährt

wird.“ 149

Für Menschen mit subsidiärem Schutzstatus hat dies zu einer

schwerwiegenden Verunsicherung geführt. Rechtsberater

Michael Weiss bestätigt, dass viele seiner Klient*innen

von Aberkennungsverfahren betroffen sind und es häufig

vorkommt, dass insbesondere subsidiär Schutzberechtigten

der Status nicht verlängert wird. Dies ist anfechtbar und der

Schutzstatus kann in zweiter Instanz auch wieder erteilt werden.

Was jedenfalls bleibt, ist die Angst vor dem Verlust eines

gesicherten Aufenthaltes. 150

Massive Auswirkungen

auf die psychische Gesundheit

Diese Rechtspraxis hatte auch Auswirkungen auf die Beratung

im Integrationshaus, so Lydia Krob, Leiterin des Wohnheims:

„Früher war es so: Wenn sich die Klient*innen anstrengen,

gut Deutsch lernen, die Kinder in der Schule sind,

wenn versucht wird, sich im Umfeld zu engagieren, freiwillig

aktiv zu sein, oder sich in einer Kirche zu engagieren,

dann sind das alles Pfeiler, die den Aufenthalt sichern. Das

ist jetzt in dem Ausmaß nicht mehr der Fall. Das hat starke

psychische Auswirkungen auf die Personen.“ Während Asylverfahren

schon immer Stress und psychische Belastungen

verursacht haben, sehen Lydia Krob und Gwendolyn Ploberger

von der psychosozialen Betreuung nun aber massive

Auswirkungen auf die psychische Gesundheit und Stabilität

von Schutzsuchenden: „Wir haben das auch daran gemerkt,

dass der Bedarf an psychologischer Unterstützung größer

geworden ist und wir es kaum schaffen, alle Beratungen im

Rahmen der zur Verfügung stehenden Ressourcen abdecken

144

fairness-asyl, Mehr Fairness im Asylverfahren,

<http://www.fairness-asyl.at/>.

145

ORF, Grazer Asyl-Anwalt gibt auf, 09.08.2019.

146

Brickner, Abschiebestopp für konvertierten Afghanen kam zwei

Wochen zu spät, der Standard, 18.02.2020.

147

asylkoordination österreich, Rechtskräftig negativ, Asyl Aktuell -

Zeitschrift der asylkoordination österreich, 2019.

148

Bundesministerium Inneres, Parlamentarische Anfrage - Neuüberprüfung

(Stichwort: Asyl auf Zeit) von Asylbescheiden im BFA 2018 - 3345/

AB-BR/2019 vom 06.03.2019 zu 3615/J-BR, 05.03.2019; Bundesministerium

Inneres, Parlamentarische Anfrage - Aberkennungen von Asyl und subsidiärem

Schutz sowie Abschiebungen 2018/2019 - 4105/AB zu 4117/J (XXVI.

GP), 30.10.2019; Vgl. Kapitel Tschetschenien.

149

Schmaus, Statements zu asylrechtlichen Entwicklungen, 08.07.2020.

150

Weiss, Die Rechtsberatung des Integrationshauses, 19.11.2019. (07:30)

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