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Monitoringbericht "Flüchten - Ankommen - Bleiben!?"

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Die Gesundheitskrise hat auch diskursive Veränderungen

mit sich gebracht. Einerseits wurde den zahllosen essentiellen

Arbeitskräften mehr Sichtbarkeit und teils auch Anerkennung

entgegengebracht, beispielsweise in den Bereichen

Pflege oder Landwirtschaft, wo sehr viele migrantische

Arbeitskräfte tätig sind. Andererseits hat die Krise einen Aufschwung

von Verschwörungstheorien und national(istisch)

en und auch rassistischen Diskursen herbeigeführt. Das CO-

VID-19-Virus und die Eindämmungsmaßnahmen haben in

Europa mittel- und langfristig hohe finanzielle und menschliche

Kosten verursacht. Was die langfristigen politischen

Konsequenzen sein werden und ob es zu einem Paradigmenwechsel

kommt, wird sich erst noch zeigen müssen. 166

Exkurs

Die Macht der Sprache:

Diskursive Entwicklungen und

Normalisierung rechter Sprache

Ruth Wodak, Diskursforscherin und emeritierte Professorin

aus Wien, legt in zahlreichen Analysen dar, wie sich historische

Kontinuitäten durch die diskursive Konstruktion von

„Anderen“ weiterziehen. Diese „Anderen“ werden benötigt,

um eine Gefahr für ein – entlang vermeintlich homogener

nationaler und „ethnischer“ oder „kultureller“ Linien definiertes

– „Wir“ zu formulieren, das geschützt werden muss.

Die Vorstellungen von einer Nation mit einer homogenen

„Kultur“ beruht auf einem ahistorischen, fiktiven Mythos,

der die nationale Gemeinschaft als soziale, kulturelle und politische

Einheit mit starken Zugehörigkeitsgefühlen entlang

nationaler Grenzen konstruiert und fördert. Dieser nationale

Mythos braucht die Konstruktion einer „fremden“ Bedrohung

durch vermeintlich „Andere“.

Dies ist kein neues Phänomen. Welchen Gruppen und Personen

dieses „Andere“ zugeschrieben wird, hat sich über die

Jahre immer wieder verändert und entwickelt. Es wird dabei

an historische Ideologien angeknüpft, wie antisemitisches

oder rassistisches koloniales Gedankengut, denen die Überlegenheit

der europäischen weißen „Rasse“ zugrunde liegt.

Auch nationalsozialistische Ideologien finden sich in zeitgenössischen

rechten Diskursen wieder, die sich beispielsweise

auf den Erhalt einer „reinen“ Nation im „Heimatland“

beziehen, die von äußeren, „unreinen“ Elementen gesäubert

werden muss. Der Begriff der „Rasse“ wurde in zeitgenössischen

Diskursen weitgehend durch den Begriff der „Kultur“

abgelöst. Die dahinterliegenden ideologischen und diskursiven

Muster sind allerdings nach wie vor sehr ähnlich. Oft

werden diese nicht explizit, sondern implizit geäußert und

es wird davon ausgegangen, dass die implizierten Äußerungen

– durch eine geteilte, verankerte Weltanschauung – auch

so verstanden werden, wie sie gemeint sind. 167

Verschiebung der „Grenzen des Sagbaren“

Jegliche Kommunikation findet immer in einem sozio-politischen

und historischen Kontext statt. Es gibt keine isolierten

Informationsäußerungen. Alle visuellen oder sprachlichen

Äußerungen werden im jeweils vorherrschenden Kontext

situativ geordnet und dadurch auf eine bestimmte Weise

verstanden. So werden Meinungen erzeugt und festgesetzt.

Durch die stetige Wiederholung gewisser sprachlicher und

visueller Muster können Ausgrenzungsprozesse vorangetrieben

und öffentlichen Diskursen etabliert werden. Diese wiederum

können ganz konkrete politische Handlungen oder

auch neue Gesetze herbeiführen und legitimieren.

Wodak beobachtet in den letzten Jahren eine Radikalisierung

von abfälligen und diskriminierenden Äußerungen

gegenüber Minderheiten. Dafür werden gesellschaftliche

Tabus, welche nach dem zweiten Weltkrieg konstituiert wurden,

gezielt überschritten und gebrochen. Damit wird die

Grenze des „Sagbaren“ verschoben. Diese immer expliziter

werdende Sprache der Ausgrenzung sieht Wodak nicht nur

bei rechten Parteien, sondern inzwischen auch bei Parteien

aus anderen politischen Spektren. Solche ausschließenden,

rassistischen und ausländerfeindlichen Diskurse haben also

einen Prozess der Normalisierung durchlaufen. Aussagen

und Pauschalierungen über schutzsuchende Menschen, die

vor einigen Jahren noch für große öffentliche Empörungen

gesorgt hätten, sind inzwischen „salonfähig“ geworden. 168

Normalisierung findet durch die Verschiebung der Konnotationen

von Begriffen statt. Dies verändert die gesamten

semantischen Komplexe, inklusive deren Praxisbezüge. Begriffe

werden in andere, neue Kontexte gesetzt und erhalten

darüber neue Bedeutungen. In solchen Prozessen geht es

um die Etablierung einer neuen hegemonialen Bedeutungsmacht;

das heißt, eine neue Normalität zu schaffen, die dann

auch als solche akzeptiert wird. So haben rechte Diskurse

dazu beigetragen, die verschiedenen Kategorien von Flüchtlingen,

Migrant*innen, Asylwerber*innen und Menschen

mit Schutzstatus zu einer Gruppe von „Anderen“ oder „Fremden“

zu vermischen und zu homogenisieren.

Dadurch können alle Menschen aus Drittstaaten als Belastung

und/oder Bedrohung dargestellt werden. Die Zuschreibungen

funktionieren auch mit und über Widersprüche. So

ist ein weitverbreitetes rechtes Diskurselement, dass „die

Fremden“ Sozialleistungen beziehen und dadurch den Sozialstaat

belasten, gleichzeitig aber auch, dass sie den „Einheimischen“

die Arbeit „wegnehmen“. Komplexe Realitäten

werden ausgeblendet, zum Beispiel, dass Österreich in vielen

Bereichen auf Menschen aus Drittstaaten angewiesen ist

und dass die Zuwanderungsrichtlinien ohnehin schon extrem

streng sind, aber auch, dass Asylweber*innen gar nicht

arbeiten dürfen.

Insbesondere wird außen vor gelassen, dass Asylsuchende

und Menschen mit Schutzstatus Personengruppen sind, die

Schutz vor Verfolgung brauchen und nicht diejenigen sind,

von denen Gefahr ausgeht. Diese hegemonialen Diskursverschiebungen

werden durch Krisenmomente beschleunigt,

treten oft mit Veränderungen der sozioökonomischen Situ-

166

Woollard, Weekly Editorial: WRD in COVID Times: No Time for Panic

167

Wodak, Vom Rand in die Mitte - „Schamlose Normalisierung“, Politische

168

Wodak/Köhler, Wer oder was ist »fremd«? Diskurshistorische Analyse

– High Time for Cool Heads, ECRE, 19.06.2020.

Vierteljahresschrift, 2018; Anderson, Die Erfindung der Nation. Zur Karriere

fremdenfeindlicher Rhetorik in Österreich, SWS-Rundschau, 2010.

94 eines folgenreichen Konzepts, 1996.

95

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