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procontra-Thema-Recht

Die Experten der Kanzlei Michaelis bringen auf den Punkt, was für Beratung und Vertrieb 2021 wichtig ist.

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<strong>Recht</strong><br />

2. Problem Kontokorrent<br />

Das Saldoanerkenntnis ist streng von der<br />

Verrechnung als solcher zu trennen. 33<br />

Durch die Verrechnung entsteht eine kausale<br />

Forderung, die mithin in den zugrunfür<br />

die Darlegung und Beweislast hoch<br />

an. 22<br />

Im Rückforderungsprozess trägt der Unternehmer<br />

die Darlegungs- und Beweislast<br />

für das Fehlen von Provisionsansprüchen.<br />

Dies erfordert eine übersichtliche Abrechnung,<br />

deren Buchungstechnik erläutert ist.<br />

Ferner sind dort für jeden Einzelfall die<br />

Gründe der Vertragsbeendigung, der Zeitpunkt<br />

und die Art der Mahnung sowie<br />

der Unterrichtung des Vertreters über die<br />

Stornogefahr darzulegen. Aus der Untätigkeit<br />

des Handelsvertreters kann ohne Hinzutreten<br />

weiterer Umstände nicht auf ein<br />

Saldoanerkenntnis geschlossen werden. 23<br />

Da das Kontokorrent nun eine Regelung<br />

ist, die den erweiterten Bedürfnissen von<br />

Kaufleuten dienstbar sein soll, sowohl der<br />

Unternehmer als auch der Handelsvertreter<br />

aber diesen Status ausfüllen, musste<br />

sich der BGH früher oder später zu der<br />

Möglichkeit eines „Saldoanerkenntnisses<br />

durch widerspruchsloses Hinnehmen von<br />

Provisionsabrechnungen“ verhalten. 24 Zunächst<br />

erklärte er, 25 dass die „jahrelange<br />

widerspruchslose Hinnahme von Abrechnungen<br />

durch einen umsatzstarken,<br />

geschäftserfahrenen“ Handelsvertreter<br />

ausnahmsweise auch die Annahme eines<br />

Saldoanerkenntnisses begründet. Hier läge<br />

im weiterem Informationsverlangen des<br />

Handelsvertreters sonst ein widersprüchliches<br />

Verhalten, und damit wäre auf<br />

einen <strong>Recht</strong>smissbrauch zu erkennen. 26<br />

Inzwischen hat sich der BGH bekanntlich<br />

von dieser Position distanziert und<br />

ausgeurteilt, dass „im Schweigen eines<br />

Handelsvertreters zu den Provisionsabrechnungen<br />

durch den Unternehmer<br />

i.d.R. kein Anerkenntnis“ liege. 27 Dass im<br />

Schweigen grundsätzlich kein Saldoanerkenntnis<br />

liege, erklärt sich nicht zuletzt<br />

anhand der „zwingenden“ Informationsrechte<br />

des Handelsvertreters, vgl. § 87c<br />

Abs. 5 HGB, die anderenfalls unterlaufen<br />

werden könnten. 28<br />

Daraus folgt: Die dem Schutz des in<br />

der Regel wirtschaftlich schwächeren<br />

Handelsvertreters (HV) dienenden <strong>Recht</strong>e<br />

des § 87c HGB sind nach der gesetzlichen<br />

Wertung auch nach Vertragsende zu beachten.<br />

Deswegen darf der Unternehmer<br />

die geschuldeten Informationen nicht in<br />

einer anderen als der im Gesetz vorgesehenen<br />

und vom HV zu <strong>Recht</strong> geforderten<br />

Weise erteilen. Die Geltendmachung der<br />

<strong>Recht</strong>e des § 87c HGB kann in der Regel<br />

auch nicht gegen § 242 BGB verstoßen,<br />

selbst wenn der HV frühere Informationen<br />

des Unternehmers nicht beanstandet<br />

3. Berücksichtigung der Interessen<br />

des Unternehmers<br />

Auch dieser – dogmatische – Schutzgedanke<br />

reicht naturgemäß nicht unendlich,<br />

hat die Gegeninteressen des Unternehmers<br />

selbstredend mitzuberücksichtigen.<br />

§ 87c HGB schreibt in zeitlicher Hinsicht<br />

in gewissen Bahnen eine Rangfolge der<br />

einzelnen Informationsmittel vor. Auf<br />

diese Weise werden sinnvoll die widerhat.<br />

Ebenso wenig kann die Erteilung<br />

einer vereinbarten sogenannten Schlussrechnung<br />

die (noch) bestehenden Informationsrechte<br />

und Zahlungsansprüche des<br />

HV beeinträchtigen oder ausschließen. 29<br />

Für den Handelsvertreter entsteht damit<br />

gleichsam ein paradiesischer Zustand:<br />

Die <strong>Recht</strong>sprechungs-Formel hat diesen<br />

gleichsam von allen Bindungen, die sonst<br />

an den rücksichtsvollen Umgang unter<br />

(auch ehemaligen) Vertragspartnern zu<br />

stellen sind, enthoben. Durch einfaches<br />

Berufen auf § 87c HGB soll jede im<br />

Vorfeld unternommene noch so starke<br />

Anstrengung des Unternehmers, für kontinuierliche<br />

Transparenz in der Vermittler-<br />

Abrechnung zu sorgen, obsolet geworden<br />

sein.<br />

Das ist paradox, da auch die <strong>Recht</strong>sprechung<br />

weiß, 30 dass es sich im Versicherungsvertrieb<br />

um ein Massengeschäft<br />

handelt, bei dem der fürsorgliche Unternehmer<br />

selbstverständlich digitale<br />

Buchungsmechanismen zum Einsatz<br />

bringt und auch den Handelsvertreter<br />

selbst Sorgfaltspflichten hinsichtlich der<br />

Dokumentation der durch ihn vermittelten<br />

Geschäfte treffen. Dieses Vorgehen<br />

ist aber zudem auch in sich inkonsistent,<br />

da eine Untersagung an den Unternehmer,<br />

sich auf § 242 BGB zu berufen, nur<br />

einseitig das Bedürfnis des Handelsvertreters<br />

berücksichtigt. Diese Entscheidung<br />

kann der BGH aber gar nicht treffen, da<br />

er damit selbst gegen den sehr viel umfänglicheren<br />

und sehr viel bedeutsameren<br />

privatrechtlichen Grundsatz der „beidseitigen<br />

Begründung“ verstößt. 31<br />

Kann dem BGH (wie der lediglich an<br />

immer weiter gehenden Ausdifferenzierungen<br />

dieses Grundsatzes interessierten<br />

obergerichtlichen <strong>Recht</strong>sprechung) an dieser<br />

Stelle ein Vorwurf gemacht werden?<br />

Über die allgemeine dogmatische Schwierigkeit,<br />

den hybriden Status des selbstständigen<br />

Handelsvertreters, der aber in<br />

die Belange seines Geschäftsherrn bis an<br />

die Preisgabe-Grenze der wirtschaftlichen<br />

Autonomie integriert bleibt, wurde schon<br />

ausführlich räsoniert. 32 Die getroffene<br />

Entscheidung des BGH, einzig das Informationsbedürfnis<br />

des Handelsvertreters<br />

zu schützen, geht weit über diese Orientierungslosigkeit<br />

hinaus.<br />

de liegenden Einzelforderungen radiziert<br />

ist. Da diese zum Teil aber wiederum ganz<br />

unterschiedliche rechtliche Eigenschaften<br />

haben können (zum Beispiel hinsichtlich<br />

der Verjährung, dem Gerichtsstand etc.<br />

pp.), entspricht es gängiger kaufmännischer<br />

Praxis, dass die Parteien eines<br />

solchen Kontokorrent-Verhältnisses in periodischen<br />

Abständen eine Anerkennung<br />

des Saldos vornehmen.<br />

Dies geschieht deshalb, um das Kontokorrent<br />

damit auf eine neue – diesmal<br />

notwendig auf eine abstrakte – Grundlage<br />

zu stellen. 34 Bei diesem „Saldoanerkenntnis“<br />

handelt es sich nach ganz herrschender<br />

Meinung um einen abstrakten<br />

Schuldanerkenntnisvertrag nach § 781<br />

BGB, der folglich einen neuen Anspruch<br />

begründet. 35<br />

Das Schuldversprechen nach § 780 BGB<br />

und das Schuldanerkenntnis nach § 781<br />

BGB sind nun Verträge, durch die eine<br />

Leistungsverpflichtung selbstständig,<br />

das heißt ohne Ansehung des <strong>Recht</strong>sgrundes,<br />

begründet bzw. anerkannt<br />

wird. Beide setzen voraus, dass eine von<br />

ihren wirtschaftlichen und rechtlichen<br />

Zusammenhängen losgelöste Leistungspflicht<br />

begründet wird, sodass sich der<br />

Gläubiger zur Begründung seines Anspruchs<br />

nur noch auf das Versprechen<br />

bzw. Anerkenntnis zu berufen braucht. 36<br />

Eben weil hier, im Zusammenhang des<br />

abstrakten Saldoan erkenntnisses, eine<br />

Schuld vollkommen losgelöst von ihrem<br />

Entstehungszweck begründet wird, mithin<br />

auf die Mechanismen des genetischen wie<br />

des konditionalen Synallagma verzichtet<br />

wird, 37 muss der schützenswerte Handelsvertreter<br />

besonders behandelt werden.<br />

Daraus folgt, dass an dieser neuralgischen<br />

Stelle zugunsten dieses Vermittler-Typus<br />

die Professionalisierung unter Kaufleuten<br />

eine Einschränkung erfährt.<br />

Das ist der (eigentliche) Grund, warum<br />

laut BGH – vor Entstehung dieser<br />

abstrakten Forderung – der HV seine Auskunfts-<br />

und Informationsrechte geltend<br />

machen können soll.<br />

Sonderausgabe<br />

17

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