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procontra-Thema-Recht

Die Experten der Kanzlei Michaelis bringen auf den Punkt, was für Beratung und Vertrieb 2021 wichtig ist.

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<strong>Recht</strong><br />

Arglist in der Berufsunfähigkeits versicherung:<br />

das Ende der spontanen Anzeigepflicht<br />

– TEXT: RA KATHRIN PAGEL, FACHANWÄLTIN FÜR VERSICHERUNGSRECHT –<br />

Kathrin Pagel führt aus, was ein Urteil<br />

des Oberlandesgerichts Karlsruhe<br />

vom 20.04.2018 (12 U 156/16) für Versicherungsmakler<br />

bedeutet:<br />

Die Arbeit des Versicherungsmaklers<br />

bestimmt sich in erheblichem Maße<br />

danach, was die Gerichte in der Praxis zur<br />

Beratung des Versicherungsnehmers als<br />

wesentlich ausurteilen. Aus diesem Grund<br />

sind wir immer am Puls der Zeit, was die<br />

<strong>Recht</strong>sprechung Neues für unsere Makler<br />

bereithält. Wesentliches aus dem Gerichtssaal<br />

zur Berufsunfähigkeitsversicherung<br />

ergibt sich immer wieder. Erwartungsgemäß<br />

hat etwa das Oberlandesgericht<br />

Karlsruhe eine Entscheidung des Landgerichts<br />

Heidelberg zur spontanen Anzeigepflicht<br />

korrigiert.<br />

Der Kläger, ein Orthopädietechniker für<br />

die Herstellung von Orthesen, hatte im<br />

Jahr 2010 eine Berufsunfähigkeitsversicherung<br />

abgeschlossen. Bei Antragstellung<br />

hatte der Versicherer keine Gesundheitsfragen<br />

gestellt, sondern vielmehr lediglich<br />

eine „Erklärung“ vorgedruckt, in welcher<br />

der Versicherungsnehmer durch Setzen<br />

eines Kreuzchens bestätigen sollte:<br />

„Ich erkläre, dass bei mir bis zum<br />

heutigen Tage weder ein Tumorleiden<br />

(Krebs), eine HIV-Infektion (positiver<br />

AIDS-Test), noch eine psychische Erkrankung<br />

oder ein Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit)<br />

diagnostiziert oder behandelt<br />

wurden. Ich bin nicht pflegebedürftig.<br />

Ich bin fähig, in vollem Umfange meiner<br />

Berufstätigkeit nachzugehen.“<br />

Für den Fall, dass diese Frage nicht mit Ja<br />

beantwortet werden könne, sollten Fragen<br />

eines weiteren Formulars beantwortet<br />

werden.<br />

„Die Beklagte hatte in ihrem Versicherungsantragsformular<br />

für den Fall einer<br />

versicherten Berufsunfähigkeitsrente bis<br />

12.000 € eine vorformulierte Erklärung<br />

des Versicherungsnehmers nur zu vier<br />

verschiedenen Krankheiten vorgesehen.<br />

Nur wenn der Versicherungsnehmer eine<br />

höhere Versicherungsleistung vereinbaren<br />

wollte oder sich gehindert sah, die vorgedruckte<br />

Erklärung abzugeben, sollte er<br />

den ausführlichen Fragenkatalog des von<br />

der Beklagten als Anlage B13 vorgelegten<br />

Formulars A122 beantworten, der sich<br />

unter Punkt 4 Buchst. J mit Krankheiten<br />

,des Gehirns, Rückenmarks oder der<br />

weiteren Nerven‘ befasste und dort als<br />

Beispiel ausdrücklich ,Multiple Sklerose‘<br />

nannte.“<br />

LEISTUNGSANTRAG WEGEN BERUFS­<br />

UNFÄHIGKEIT IM JAHR 2012 GESTELLT<br />

Der Versicherungsnehmer hatte die<br />

Erklärung abgegeben und diesen Antrag<br />

gestellt und mit dem Versicherer den Vertrag<br />

im Jahr 2010 abgeschlossen. Im Jahr<br />

2012 wurde der Leistungsantrag wegen<br />

Berufsunfähigkeit gestellt, wobei der VN<br />

angab, dass er an multipler Sklerose (MS)<br />

erkrankt war. Weiterhin gab er an, dass<br />

diese Erkrankung bereits im Juli 2002<br />

erstmals diagnostiziert und fortlaufend<br />

behandelt wurde.<br />

Der Versicherer berief sich daraufhin<br />

auf eine Verletzung der vorvertraglichen<br />

Anzeigepflichten und behauptete, der<br />

Kläger habe gefahrerhebliche Umstände<br />

vorsätzlich verschwiegen und darüber<br />

arglistig getäuscht. Weiterhin hielt sich<br />

der Versicherer aus diesem Grund für<br />

leistungsfrei.<br />

Der Versicherungsnehmer hingegen war<br />

damit nicht einverstanden und beharrte<br />

darauf, dass er den Versicherungsantrag<br />

vollständig und richtig ausgefüllt hatte.<br />

Insbesondere hatte er an keiner der dort<br />

aufgeführten Krankheiten gelitten, ebenso<br />

wenig war eine solche diagnostiziert<br />

oder behandelt worden. Er war fähig, in<br />

vollem Umfang seiner Berufstätigkeit als<br />

Orthopädietechniker ohne Einschränkungen<br />

nachzugehen, und auch nicht<br />

pflegebedürftig. Er war der Ansicht,<br />

bei Antragstellung seien die konkreten<br />

beruflichen Anforderungen an die „Laufstreckenfähigkeit“<br />

in seinem Beruf gering<br />

genug gewesen, um eine Einschränkung<br />

nicht zu begründen. Die erforderlichen<br />

Wege zum Patienten, um beispielsweise<br />

gefertigte Orthesen anzupassen, seien ihm<br />

problemlos möglich gewesen, sodass er in<br />

seinen beruflichen Anforderungen nicht<br />

eingeschränkt gewesen sei.<br />

<strong>Recht</strong>lich ist die Lage nach den gesetzlichen<br />

Bestimmungen so, dass der Versicherer<br />

grundsätzlich nur dann <strong>Recht</strong>e<br />

aus der Nichtangabe der MS-Erkrankung<br />

ableiten könnte, wenn es sich um einen<br />

anzeigepflichtigen Umstand gehandelt hätte.<br />

Genau das war hier aber fraglich.<br />

Für die vorvertraglichen Anzeigepflichten<br />

des Versicherungsnehmers hat der Gesetzgeber<br />

in den gesetzlichen Regelungen<br />

des VVG 2008 unter § 19 VVG konkrete<br />

Voraussetzungen geschaffen.<br />

WANN BESTEHT EINE ANZEIGEOBLIEGENHEIT?<br />

Danach besteht eine Anzeigeobliegenheit<br />

nur noch bei Fragen, die der Versicherer<br />

in Textform gestellt hat.<br />

Das bestätigte auch das OLG Karlsruhe in<br />

der Berufungsinstanz dieses <strong>Recht</strong>sstreites.<br />

Eine Anzeigepflicht wird hinsichtlich<br />

der multiplen Sklerose durch das Gericht<br />

verneint. Dass der Kläger nicht bei<br />

Antragstellung auf die multiple Sklerose<br />

hingewiesen hat, war keine Täuschung,<br />

denn eine Aufklärungspflicht bestand<br />

insoweit nicht.<br />

Wenn der Versicherer wie vorliegend nur<br />

eingeschränkte Gesundheitsfragen stellt,<br />

hier in Form der „Erklärung“, ist der<br />

Versicherungsnehmer gerade nicht ver-<br />

22<br />

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