3. Facetten des Elementaren Musikunterrichts - KOMU
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<strong>3.</strong>23 Kreatives Musikgestalten<br />
Eine Einzelstunde in der Lan<strong>des</strong>musikschule Alkoven<br />
Petra Linecker / Oö Lan<strong>des</strong>musikschulwerk<br />
K. wird von seiner Betreuerin zur Musikstunde gebracht. Er blutet stark aus einer<br />
Wunde in seinem Gesicht. Die Betreuerin erzählt mir kurz, dass es K. seit 3 Tagen nicht<br />
gut geht, was sich in verstärktem auto- und fremdaggressiven Handeln manifestiert.<br />
Ich begrüße K., fasse ihn um die Schultern und begleite ihn zu “seiner Ecke“. Diese<br />
Ecke entsteht durch einen Kasten der nahe dem Flügel steht. Am Boden habe ich eine<br />
Decke aufgebreitet – so kann K. geschützt neben (beinahe unter) dem Klavier am<br />
Boden in einer Nische sitzen. Ich beginne am Klavier das Begrüßungslied zu spielen<br />
und dazu zu singen, worauf K. mit heftigen Schlägen in sein Gesicht reagiert.<br />
Nun gibt es im Prinzip 4 verschiedene Erklärungsmodelle für die Funktion von<br />
Autoaggressionen:<br />
1. Selbst-Stimulierung wenn der behinderte Mensch durch seine Umgebung zu wenig<br />
stimuliert wird<br />
2. Stereotypes Verhalten das der Überstimulierung in einer unübersichtlichen Umwelt<br />
entgegenwirken soll<br />
<strong>3.</strong> Instrumentelles Verhalten das dazu dient eine Belohnung herbeizuführen<br />
4. Instrumentelles Verhalten das dazu dient eine als bedrohlich empfundene Situation<br />
wegzunehmen<br />
Abgesehen davon wird auch eine zwanghafte Autoaggression beschrieben, die kaum<br />
bzw. nur sehr schwer zu beeinflussen ist.<br />
K.´s Reaktion in dieser Situation entspringt hauptsächlich der Funktion <strong>des</strong> 2. Punktes,<br />
wahrscheinlich mitausgelöst durch meine zu hohe Anforderung sofort mit ihm in<br />
Beziehung treten zu wollen. Ich reduziere mein Spiel an Lautstärke, Tempo und<br />
Aufforderungscharakter. Es entsteht eine Improvisation über jeweils 2 Takte Am und 2<br />
Takte E. Damit erfülle ich die in diesem Moment wichtigsten Kriterien – ich besinne<br />
mich auf mich selbst – spüre und bringe zum Ausdruck wie es mir in dieser Situation<br />
geht. Für mich ist es immer wieder schwer auszuhalten einen Menschen zu sehen, der<br />
sich selbst verletzt, bis hin zu der Tatsache, die man manchmal akzeptieren muss, dass<br />
dieser Mensch in diesem Augenblick die vielleicht für ihn einzige<br />
Ausdrucksmöglichkeit gefunden hat und ich ihm in diesem Moment nichts Adäquates<br />
bieten kann.<br />
Gleichzeitig verringere ich durch meinen „Rückzug“ den Druck auf K. – werde<br />
sozusagen „erwartungslos“. Die ständige Wiederkehr der 2 Akkorde (auch eine<br />
wiederkehrende, einfache Melodie ist schnell gefunden) bietet Struktur und gibt Halt.<br />
Die starken Schläge ins Gesicht lassen nach, K. sackt kurz in sich zusammen und sitzt<br />
ein paar Minuten regungslos mit hängenden Schultern am Boden. Dann beginnt er mit<br />
der Faust auf den Boden zu klopfen und mit der Zunge zu schnalzen. Ich ahme ihn<br />
nach, ohne den “stützenden Musikpolster“ zu unterbrechen. Es entsteht ein kleines<br />
Frage-Antwort-Spiel, welches zu Beginn von K. unbemerkt bleibt. Die nächsten 10<br />
Minuten verbringen wir damit, abwechselnd zu klopfen und zu schnalzen. Ab und zu<br />
hält K. inne, legt den Kopf schief und lauscht. Die Interaktion ändert sich... K. wartet<br />
Elementare Musikpädagogik | <strong>Facetten</strong>berichte | 2007-12 Seite 59 von 64