altlandkreis - Das Magazin für den westlichen Pfaffenwinkel - Ausgabe Januar/Februar 2022
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München | Jung, kein Akademiker<br />
und im Dialekt sprechend: Andreas<br />
Krahl, 32, ist ein Mann der Praxis.<br />
Geboren und aufgewachsen im<br />
niederbayerischen Freyung, meistert<br />
er als Sohn eines Landwirts<br />
„brav“ das Abitur und absolviert<br />
auf Mamas Wunsch „eine anständige“<br />
Ausbildung – die zum Bankkaufmann.<br />
Was aber nix <strong>für</strong> ihn ist.<br />
Die Lösung: Eine Zweitausbildung<br />
zum Gesundheits- und Krankenpfleger,<br />
die ihn über München bis<br />
nach Murnau führt. Gefühlt angekommen,<br />
stellt sich im Herbst 2018<br />
sein ohnehin schon aufregendes<br />
Leben erneut auf <strong>den</strong> Kopf: Bei der<br />
Landtagswahl bekommt er 18 000<br />
Erststimmen, 9 500 Zweitstimmen<br />
und zieht als aktiver Anhänger der<br />
Grünen ins Maximilianeum ein. Mit<br />
erst 28! „Eine immer noch surreale<br />
Welt“, sagt er. Aber eine, in der er<br />
was bewegen will. Im großen Interview<br />
auf der Roten Couch spricht<br />
der Abgeordnete des Bayerischen<br />
Landtags (MdL) über seinen prägendsten<br />
Fall im UKM, wie der<br />
bundesweite Pflegenotstand in <strong>den</strong><br />
Griff zu bekommen ist und warum<br />
er sitzungsfreie Zeiten bevorzugt<br />
auf Seerettungsschiff und Covid-<br />
Stationen verbringt.<br />
Herr Krahl, Politik ist <strong>für</strong> die meisten<br />
Kinder und Jugendlichen ein Erwachsenen-Ding,<br />
total uncool. Warum<br />
waren Sie in der Jungen Union?<br />
In meiner Familie war ich schon<br />
immer Außenseiter – man musste<br />
mich nie zur Tagesschau im Ersten<br />
zwingen, weil mich Politik bereits<br />
als junger Schüler brennend interessiert<br />
hat. Allen voran der Machtwechsel<br />
von Schröder zu Merkel.<br />
So richtig los ging’s dann mit 16<br />
Jahren, als mir klar wurde: Eine<br />
Gesellschaft zum Positiven verändern<br />
kann man nur durch aktives,<br />
politisches Engagement.<br />
Im Nachwuchs der CSU?<br />
Wo ich herkomme, im tiefsten<br />
Bayerischen Wald, konntest du<br />
so intensiv und lange nach politischen<br />
Jugendorganisationen suchen<br />
wie du willst – es gab dort<br />
weit und breit nur eine: Die der<br />
CSU. In meinem Falle zwei Straßen<br />
weiter. Die Themen damals waren<br />
Studiengebühren und das tschechische<br />
Kernkraftwerk in Temelin.<br />
Letztlich sind bei <strong>den</strong> Treffen verschie<strong>den</strong>ste<br />
Weltanschauungen<br />
aufeinandergeprallt, über die man<br />
nicht nur diskutiert, sondern richtig<br />
gestritten hat – weil die Ansichten<br />
Historisch wertvolle Gemälde mit geschichtsträchtigen Motiven und in<br />
der Größe eines Fußballtors: <strong>Das</strong> Maximilianeum von innen.<br />
10 | <strong>altlandkreis</strong><br />
der meisten so gar nicht mit meinen<br />
vereinbar waren, bin ich nach<br />
zweieinhalb Jahren wieder ausgetreten.<br />
Nach dem Abi ging’s <strong>für</strong> Sie nach<br />
Passau und München – Ausbildung<br />
zum Bankkaufmann. Warum setzten<br />
Sie eine Zweitausbildung zum<br />
Gesundheits- und Krankenpfleger<br />
obendrauf?<br />
Die Affinität zu kranken Menschen<br />
ist bei mir immer schon dagewesen<br />
– parallel zur Banklehre habe<br />
ich bereits eine Ausbildung zum<br />
Rettungsassistenten absolviert. Als<br />
ich nach Abschluss meiner Banklehre<br />
noch drei Monate in München<br />
am Schalter gestan<strong>den</strong> bin<br />
war <strong>für</strong> mich endgültig klar: Dieser<br />
Beruf geht überhaupt nicht <strong>für</strong><br />
mich! Also habe ich mich <strong>für</strong> eine<br />
Zweitausbildung im Gesundheitswesen<br />
entschlossen. Allerdings<br />
nicht wie bei der Bankausbildung<br />
über das erstbeste Stellenangebot –<br />
diesmal habe ich mich ganz bewusst<br />
<strong>für</strong> eine Ausbildung bei der<br />
Schwesternschaft des Roten Kreuzes<br />
in München entschie<strong>den</strong>. Deren<br />
Ruf als Ausbildungsstätte mit „Zuckerbrot<br />
und Peitsche“ hat sich in<br />
<strong>den</strong> drei Jahren Lehrzeit bestätigt.<br />
Während dieser beruflichen Neuausrichtung<br />
haben Sie sich auch politisch<br />
wieder engagiert. Allerdings<br />
<strong>für</strong> die Grünen.<br />
Ausschlaggebend <strong>für</strong> <strong>den</strong> Parteieintritt<br />
war damals weder der<br />
Kampf gegen die dritte Startbahn<br />
noch das Thema Umweltschutz.<br />
Ich habe <strong>den</strong> Grünen meine Probleme<br />
in der Pflege geschildert und<br />
dabei festgestellt: Deren Ansichten<br />
und Programminhalte sind meinen<br />
Standpunkten sehr ähnlich.<br />
Den Grünen sind Sie seither treu<br />
geblieben, der Landeshauptstadt<br />
allerdings nicht.<br />
Nach rund vier Jahren in München<br />
wollte ich zurück aufs Land. Allerdings<br />
unter zwei Gesichtspunkten:<br />
Trotzdem auf medizinisch hohem<br />
Rustikaler Gang, von der Tiefgarage in Richtung Eingangshalle: Andreas<br />
Krahl (rechts) und „<strong>altlandkreis</strong>“-Redakteur Johannes Schelle.<br />
Niveau arbeiten. Und näher an <strong>den</strong><br />
Bergen sein. Insofern kamen nur<br />
zwei Standorte in Frage: Innsbruck<br />
und Murnau. Da ich Bayern letztlich<br />
doch nicht verlassen wollte,<br />
habe ich mich <strong>für</strong>s Oberland entschie<strong>den</strong><br />
und im Unfallklinikum als<br />
Intensivpfleger <strong>für</strong> Rückenmarksund<br />
Brandverletzte angefangen.<br />
Wie sah Ihr Arbeitsalltag im UKM<br />
aus?<br />
Grundsätzlich ist man als Pflegekraft<br />
auf Intensivstation da<strong>für</strong><br />
verantwortlich, dass eine vital gefähr<strong>den</strong>de<br />
Situation behoben wird,<br />
oder gar nicht erst eintritt. Auf gut<br />
Bayerisch gesagt: Wir sorgen da<strong>für</strong>,<br />
dass der Patient nicht stirbt.<br />
Ihr prägendstes Erlebnis als Intensivpfleger?<br />
Eine Verbrennung beider Beine<br />
bis hoch zur Hüfte, was fachlich<br />
betrachtet bei weitem nicht der<br />
schlimmste Fall war. Aber: Zugezogen<br />
hatte sich der Patient diese<br />
Verletzung, weil er, nachdem er<br />
seine Frau erstochen und seine<br />
Wohnung angezündet hatte, sich<br />
eine Kohlen-Monoxid-Vergiftung<br />
einhandelte, bewusstlos wurde<br />
und deshalb nicht mehr rechtzeitig<br />
aus der brennen<strong>den</strong> Wohnung fliehen<br />
konnte. Wir als Intensivpfleger<br />
wussten von diesem Mord, allein<br />
deshalb, weil Tag und Nacht ein<br />
Polizist vor der Behandlungsbox<br />
saß und Wache hielt. Aufregend<br />
wurde es vor allem dann, als der<br />
Mann zunehmend zu Bewusstsein<br />
gekommen ist, wir uns in einem<br />
irren Spannungsfeld bewegt haben:<br />
Einerseits arbeitest du unter<br />
dem Motto des Bayerischen Roten<br />
Kreuzes: „Helfen, ohne zu fragen,<br />
wem.“ Andererseits liegt da einer,<br />
der seine Frau umgebracht hat.<br />
Zwischen <strong>den</strong> Schichten im UKM<br />
haben Sie sich auch politisch immer<br />
stärker engagiert. Nicht mehr in<br />
München, sondern <strong>für</strong> die Ortsgruppe<br />
der Grünen in Murnau, die Sie<br />
plötzlich als Zugpferd in <strong>den</strong> Landtagswahlkampf<br />
schicken wollte?<br />
Ich habe relativ schnell guten Anschluss<br />
bei der Grünen-Ortsgruppe<br />
in Murnau gefun<strong>den</strong>. Einige aus<br />
der Partei kamen rund zwei Jahre<br />
vor der Landtagswahl 2018 auf mich<br />
zu und sagten: Jung, kein Akademiker,<br />
und einer, der als einziger<br />
im Ortsverband Dialekt spricht –<br />
die Sprache der Menschen. Nach<br />
kurzer Überlegung bin ich zu dem<br />
Entschluss gekommen: Warum eigentlich<br />
nicht!?<br />
Die intensivste Zeit Ihres Lebens?<br />
Es war Milchbauerntag des BDM in<br />
Peißenberg mit Robert Habeck als<br />
Ehrengast. Ich hatte vorher zehn<br />
Nachtschichten am Stück, nach<br />
diesen oft nur zwei, drei Stun<strong>den</strong><br />
geschlafen. So auch an diesem Tag.<br />
Am Abend aber wollte ich mich<br />
nicht Lumpn lassn, war bei <strong>den</strong> Ehrengästen<br />
gehockt und habe mir ein<br />
Weißbier bestellt – während Habeck<br />
<strong>den</strong> Leuten die Welt erklärte,<br />
bin ich eingeschlafen. Davon gibt’s