20.12.2021 Aufrufe

altlandkreis - Das Magazin für den westlichen Pfaffenwinkel - Ausgabe Januar/Februar 2022

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

historischer Tracht gekleidet, originelle<br />

Flechtfrisur und silberne<br />

Miederkette inklusive.<br />

Spalierstehen und<br />

Münzenwerfen<br />

Wenige Meter weiter wartete bereits<br />

Kutscher Günter Ortner mit<br />

Landauer und zwei prächtigen,<br />

davor gespannten Rappen auf<br />

das Brautpaar. „Einmal König und<br />

Königin sein“, schwelgt Corina<br />

Krippel, unter anderem gelernte<br />

Pferdewirtschafts-Meisterin und<br />

insofern ein Riesenfan von der<br />

Kutscherkunst nach Achenbach.<br />

Erst wurde das Brautpaar zu Michis<br />

im Rollstuhl sitzender Großmutter<br />

gefahren, hatten ihr damit<br />

eine Riesenfreude bereitet. Anschließend<br />

ging’s zum Gasthaus<br />

Westner, Weißwurstfrühstück,<br />

wo bereits alle 180 Hochzeitsgäste<br />

inklusive Aidling-Riegseeer<br />

Musikkapelle warteten, und das<br />

Brautpaar mit einem feierlichen<br />

Marsch in Empfang nahm. Besonders<br />

bewegend: Als die Mütter von<br />

Michi und Corina sie im Rahmen<br />

einer Ansprache „freigegeben“<br />

haben in ihr neues, eigenes Familienleben.<br />

Nach frischgezapftem<br />

Weißbier, Weißwurst, süßem<br />

Senf und knuspriger Breze ging’s<br />

erneut im Landauer weiter zur<br />

örtlichen Sankt-Stephanus-Kirche,<br />

in der die kirchliche Trauung der<br />

bei<strong>den</strong> stattgefun<strong>den</strong> hat. Und<br />

beim Zurückerinnern noch heute<br />

Gänsehaut-Feeling erzeugt bei<br />

<strong>den</strong> Krippels. Unter anderem dank<br />

„boarischm Zwoagsang“, musikalisch<br />

begleitet von Harfe und<br />

Zither. Als die bei<strong>den</strong> nach dem<br />

unter die Haut gehen<strong>den</strong> Gottesdienst<br />

aus der Kirche schritten,<br />

stan<strong>den</strong> die Trommler Spalier,<br />

sowie zahlreiche Dorfkinder im<br />

Halbkreis, um eine Art Wegsperre<br />

zu bil<strong>den</strong>. „Bei uns im Dorf wer<strong>den</strong><br />

nach einer Hochzeitmesse<br />

traditionell Münzen geworfen.“<br />

Auch Michael und Corina kamen<br />

um diesen alten Brauch nicht<br />

herum, um sich <strong>den</strong> Weiterweg<br />

mehr oder weniger freizukaufen.<br />

Danach ging’s erneut mit Kutsche<br />

sowie der hinterhermarschieren<strong>den</strong><br />

Hochzeitsgesellschaft, Blaskapelle<br />

und dem Trommlerzug in<br />

Richtung Haus des Gastes, in dessen<br />

Saal im Erdgeschoss nun die<br />

eigentliche Hochzeitsfeier Fahrt<br />

aufnahm. Davor allerdings hatte<br />

Michi seinen Ehering an die linke<br />

Hand genommen, Corina ihren<br />

sogar ab. „Ein gutgemeinter Rat<br />

vom Hochzeitslader.“ Hintergrund:<br />

Bei 180 Gratulanten, darunter eine<br />

ganze Reihe Männer mit kräftigen<br />

Pratzen, wäre das eine schmerzhafte<br />

Angelegenheit im Ringfinger-Bereich<br />

gewor<strong>den</strong>.<br />

Sonderlob <strong>für</strong><br />

Hochzeitslader<br />

Angefangen mit dem traditionellen<br />

Hochzeitswalzer, gefolgt vom<br />

Walzer mit Trauzeugen, Kranzlerpaar<br />

(ledige Frau und lediger<br />

Mann, die neben dem Hochzeitslader<br />

<strong>für</strong> Stimmung und Ordnung<br />

im Rahmen des Hochzeitstages<br />

sorgen und <strong>den</strong> Gästen ein kleines<br />

Gesteck an Hemd und Bluse<br />

anbringen) und Eltern des Brautpaars,<br />

wiederum gefolgt vom Walzertanzen<br />

mit allen Gästen, die<br />

Lust darauf hatten. Zu Essen gab’s,<br />

klassisch Bayerisch: Vorspeisensalat,<br />

Schweinsbraten mit Knödel<br />

und Kraut sowie Rinderbraten mit<br />

Spätzle. Nachmittags verdammt<br />

viele, von <strong>den</strong> Hochzeitsgästen<br />

selbstgemachte Kuchen. Darunter<br />

auch ein Campingtisch-großer<br />

Erdbeerkuchen in Herzform – die<br />

Hochzeitstorte. „Brutal, wie viele<br />

Mühe sich alle <strong>für</strong> uns gemacht<br />

haben“, sind Michael und Corina<br />

noch heute gleichermaßen dankbar<br />

wie überwältigt. Wobei letzteres<br />

auch schon vor der Hochzeit<br />

der Fall war. „Es gab natürlich viel<br />

zu organisieren im Vorfeld, aber<br />

weil nahezu alle eingela<strong>den</strong>en<br />

Gäste von sich aus angepackt und<br />

Dinge in die eigene Hand genommen<br />

haben, war es <strong>für</strong> uns wesentlich<br />

entspannter als zunächst<br />

gedacht.“ Sonderlob müssen die<br />

bei<strong>den</strong> an dieser Stelle nochmals<br />

an Hochzeitslader Martin Bergmeister<br />

aussprechen, der alle potentiellen<br />

Unannehmlichkeiten am<br />

Tag der Hochzeit „derart klug und<br />

geschickt von uns weggehalten<br />

hat, dass wir uns um wirklich gar<br />

nichts kümmern brauchten und<br />

<strong>den</strong> Tag voll und ganz genießen<br />

konnten“. Selbst dann, als Tochter<br />

Fritzi mit ihren schicken, frischpolierten<br />

Trachten-Pumps versehentlich<br />

in einen Hundehaufen<br />

getreten war, was Michael Krippel<br />

gesehen hatte, intuitiv zur Hilfe eilen<br />

wollte, aber nicht musste, weil<br />

ihm andere sofort zuvorgekommen<br />

sind – und ihn davon abhielten.<br />

Letztlich wurde verdammt viel<br />

geratscht, gelacht und getanzt im<br />

gut gefüllten Festsaal. Zumindest<br />

so lange, bis Bräutigam Michi<br />

plötzlich bemerkte, dass seine<br />

Braut Corina verschwun<strong>den</strong> war.<br />

<strong>Das</strong> „Brautverziagn“, in diesem<br />

Falle in einen Stadel außerhalb<br />

des Ortes, ist fester Bestandteil einer<br />

bayerischen Bauernhochzeit.<br />

Mit Hexenbesen und Laterne<br />

januar / februar <strong>2022</strong> | 53

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!